In sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren spielt die richtige Bestimmung der zuständigen Widerspruchsbehörde eine zentrale Rolle. Fehler in diesem Verfahrensstadium können weitreichende Folgen für die Betroffenen haben. Gerade im Bereich der Sozialhilfe, wo existenzsichernde Leistungen zur Diskussion stehen, ist die Kenntnis der Zuständigkeitsregeln von erheblicher Bedeutung.
Grundlage des Widerspruchsverfahrens im Sozialrecht
Das
Widerspruchsverfahren ist Teil des zweistufigen sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens. Nach Erlass eines belastenden Verwaltungsakts, etwa der Ablehnung eines Antrags auf Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), steht den Betroffenen der Rechtsbehelf des Widerspruchs zur Verfügung. Dieses Verfahren ist im Zehnten Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geregelt, konkret in den §§ 78 ff. SGB X.
Ziel des Widerspruchsverfahrens ist eine nochmalige Überprüfung der angegriffenen Entscheidung durch die Verwaltung selbst. Dadurch soll sowohl Rechtsschutz gewährt als auch eine gerichtliche Auseinandersetzung möglichst vermieden werden.
Selbstkontrolle durch die Ausgangsbehörde
Regelhaft überprüft zunächst die Ausgangsbehörde, also die Stelle, die den ursprünglichen Bescheid erlassen hat, den Widerspruch. Diese sogenannte Abhilfeprüfung ist in § 85 Abs. 1 SGB X geregelt. Kommt sie zu dem Ergebnis, dass der Widerspruch begründet ist, erlässt sie einen Abhilfebescheid, andernfalls gibt sie den Vorgang an die Widerspruchsbehörde zur Entscheidung weiter.
Zuständigkeit
Die gesetzliche Grundlage für die Bestimmung der Widerspruchsbehörde ergibt sich aus § 85 SGB X. Danach ist die „der Ausgangsbehörde übergeordnete Behörde“ zuständig. Diese Formulierung eröffnet eine Vielzahl von Konstellationen, insbesondere bei der Ausführung der Sozialhilfe durch kommunale Träger.
Besonderheiten in der Sozialhilfe nach dem SGB XII
Sozialhilfe wird grundsätzlich durch die Kommunen als Träger der öffentlichen Verwaltung erbracht. Die konkrete Ausgestaltung ist in den Ausführungsgesetzen der Länder geregelt. Dies hat zur Folge, dass die Verwaltungsstruktur und damit auch die Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde landesrechtlichen Regelungen unterliegt.
In vielen Fällen handelt es sich bei der Widerspruchsbehörde um den Landrat oder den Oberbürgermeister der kreisfreien Stadt, soweit die Sozialhilfe vom Landkreis oder der Stadtverwaltung ausgeübt wird. In anderen Konstellationen kann auch das jeweilige Landesministerium als Widerspruchsbehörde fungieren.
Delegation und Funktionstrennung
Von Bedeutung ist ferner die Unterscheidung zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde im Hinblick auf die Funktionstrennung innerhalb der Verwaltung. Auch wenn beide Stellen demselben Rechtsträger angehören, muss organisatorisch sichergestellt sein, dass die Widerspruchsentscheidung von einer anderen Stelle als die ursprüngliche Entscheidung getroffen wird. Eine formale Trennung auf Abteilungs- oder Referatsebene genügt unter bestimmten Voraussetzungen.
Teilweise wird die Widerspruchsbearbeitung durch eine zentrale Stelle im Land oder durch Zweckverbände wahrgenommen. Auch solche Modelle sind zulässig, solange die Anforderungen an die Unabhängigkeit und Sachprüfung gewahrt bleiben.
Bindungswirkung kommunaler Verfahrensordnungen
Die Frage, wer als Widerspruchsbehörde fungiert, kann auch durch kommunale Verfahrensvorschriften oder Landesgesetze konkretisiert sein. Hierzu gehören Geschäftsverteilungspläne oder Rechtsverordnungen, die die Ausführung des SGB XII durch kommunale Träger betreffen. Eine korrekte Auslegung dieser Regelungen ist für die Zuständigkeitsfrage entscheidend.
Fehlerhafte Zuständigkeit - und nun?
Eine fehlerhafte Bestimmung der Widerspruchsbehörde kann die Rechtswirksamkeit des Widerspruchsbescheids beeinträchtigen. Zwar ist ein solcher Fehler grundsätzlich heilbar, etwa wenn die unzuständige Behörde den Widerspruch an die zuständige Stelle weiterleitet. Erfolgt dies jedoch nicht und wird der Widerspruch unzulässigerweise zurückgewiesen oder nicht sachgerecht behandelt, kann dies zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führen.
Was gilt bei verwaltungsinternen Weisungen?
Oftmals werden innerhalb der Verwaltung Weisungen erteilt, wer für bestimmte Bescheide zuständig ist. Solche verwaltungsinternen Regelungen haben jedoch keine Außenwirkung. Für die Betroffenen zählt allein die gesetzlich bestimmte oder durch Verordnung geregelte Zuständigkeit. Eine fehlerhafte Weisungslage kann daher zu einer unzuständigen Entscheidung führen, wenn sich Behördenmitarbeiter daran orientieren, ohne die Rechtslage zu prüfen.
Einbindung von Zweckverbänden und interkommunalen Stellen
Im Bereich der Sozialhilfe finden sich zunehmend Modelle interkommunaler Zusammenarbeit. Zweckverbände oder gemeinsame Verwaltungseinheiten erledigen Aufgaben für mehrere Kommunen. Auch in diesen Fällen ist entscheidend, ob die Widerspruchsbehörde innerhalb dieser Konstruktion rechtlich eindeutig benannt ist und organisatorisch die Voraussetzungen für eine unabhängige Überprüfung gegeben sind.
Besonderheiten bei Leistungsgewährung durch freie Träger
Wird ein Bescheid durch einen freien Träger im Auftrag der öffentlichen Hand erlassen, stellt sich die Frage nach der Zuordnung der Ausgangsbehörde. Da Verwaltungsakte nur von Trägern öffentlicher Gewalt erlassen werden können, ist hier regelmäßig die delegierende Kommune Ausgangsbehörde. Entsprechend richtet sich die Widerspruchsbehörde nach der hierarchischen Struktur innerhalb dieser Kommune.
Rechtsschutzinteresse und Pflicht zur Sachprüfung
Die Widerspruchsbehörde hat nicht nur die formale Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids zu prüfen, sondern auch eine eigenständige Sachverhaltswürdigung vorzunehmen. Dies folgt aus dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 20 SGB X. Wird lediglich eine formale Prüfung vorgenommen, ohne den konkreten Einzelfall umfassend zu würdigen, liegt ein Ermessensfehler vor.
Übergang zur Sozialgerichtsbarkeit
Lehnt die Widerspruchsbehörde den Widerspruch ab, ist der
Klageweg zu den Sozialgerichten nach § 87 SGG (Sozialgerichtsgesetz) gegeben. Die ordnungsgemäße Bescheidung des Widerspruchsverfahrens durch die zuständige Behörde ist dabei Zulässigkeitsvoraussetzung für die sozialgerichtliche Klage. Ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregeln kann daher auch prozessuale Konsequenzen haben.