Eine Bürgschaft ist schnell unterschrieben – sei es für den
Mietvertrag der studierenden Tochter, den Geschäftskredit eines Freundes oder den
Autokauf des Partners. Die rechtlichen Konsequenzen, die sich aus einer einmal geleisteten Unterschrift ergeben, sind weitreichend und werden von Laien häufig unterschätzt. Wer bürgt, verpflichtet sich oftmals mit seinem gesamten Privatvermögen, für die Schulden einer anderen Person einzustehen, falls diese ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt. Diese enorme Haftungsgefahr macht es unerlässlich, die juristischen Grundlagen der Bürgschaft genau zu kennen, bevor man eine solche Verpflichtung eingeht.
Was genau ist eine Bürgschaft? Das rechtliche Dreiecksverhältnis
Die Bürgschaft ist im Bürgerlichen Gesetzbuch in den §§ 765 ff. BGB geregelt. Sie ist ein einseitig verpflichtender Vertrag, der zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger einer Forderung geschlossen wird. Durch diesen Vertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger, für die Erfüllung der Verbindlichkeit eines Dritten, des sogenannten Hauptschuldners, einzustehen. Es entsteht somit ein typisches Dreiecksverhältnis:
Der Gläubiger: Dies ist die Person oder das Unternehmen (z. B. eine Bank oder ein Vermieter), die eine Forderung gegen den Hauptschuldner hat.
Der Hauptschuldner: Dies ist die Person, die dem Gläubiger etwas schuldet (z. B. die Rückzahlung eines Kredits oder die Miete).
Der Bürge: Dies ist die Person, die sich gegenüber dem Gläubiger verpflichtet, für die Schuld des Hauptschuldners zu haften.
Die Bürgschaft ist dabei stets von der Existenz einer Hauptforderung abhängig. Juristen sprechen hier von der sogenannten Akzessorietät der Bürgschaft. Das bedeutet: Besteht die Hauptschuld nicht (mehr), erlischt auch automatisch die Bürgschaftsverpflichtung. Zahlt der Hauptschuldner also beispielsweise seinen Kredit vollständig zurück, kann der Bürge nicht mehr in Anspruch genommen werden. Ebenso ist die Bürgschaft unwirksam, wenn der zugrunde liegende Hauptvertrag (z. B. der Kreditvertrag) von Anfang an nichtig war.
Schriftform als unverzichtbare Voraussetzung
Zum Schutz des Bürgen vor übereilten Entscheidungen hat der Gesetzgeber eine strenge Formvorschrift etabliert. Gemäß § 766 Satz 1 BGB ist für die Gültigkeit der Bürgschaftserklärung die Schriftform erforderlich. Eine mündlich am Telefon oder per E-Mail abgegebene Zusage, für jemanden bürgen zu wollen, ist rechtlich unwirksam.
Die Schriftform verlangt, dass die Bürgschaftserklärung vom Bürgen eigenhändig mit voller Namensunterschrift auf einer Urkunde unterzeichnet wird. Eine elektronische Form, beispielsweise eine qualifizierte elektronische Signatur, ist laut Gesetzgeber explizit ausgeschlossen (§ 766 Satz 2 BGB). Der Gläubiger muss die Annahme der Bürgschaftserklärung hingegen nicht schriftlich bestätigen. Der Bürgschaftsvertrag kommt bereits durch die Annahme des schriftlichen Angebots des Bürgen zustande, die auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen kann.
Eine wichtige Ausnahme von diesem Schriftformerfordernis besteht im Handelsrecht. Ist der Bürge ein Kaufmann und stellt die Bürgschaft für ihn ein Handelsgeschäft dar, so kann die Bürgschaftserklärung formfrei, also auch mündlich, abgegeben werden (§ 350 HGB). Diese Ausnahme trägt der im Handelsverkehr üblichen Schnelligkeit und dem geringeren Schutzbedürfnis erfahrener Kaufleute Rechnung. Für Privatpersonen gilt jedoch ausnahmslos: Ohne eigenhändige Unterschrift gibt es keine wirksame Bürgschaft.
Selbstschuldnerische Bürgschaft und der Verzicht auf die Einrede der Vorausklage
Das Gesetz sieht im Grundsatz einen Schutzmechanismus für den Bürgen vor: die sogenannte „Einrede der Vorausklage“ (§ 771 BGB). Diese besagt, dass der Bürge die Zahlung an den Gläubiger verweigern kann, solange der Gläubiger nicht versucht hat, die Forderung im Wege der Zwangsvollstreckung beim Hauptschuldner einzutreiben. Der Bürge soll also erst dann haften, wenn nachweislich beim Hauptschuldner nichts mehr zu holen ist.
In der Vertragspraxis wird dieser Schutz jedoch nahezu standardmäßig ausgehebelt. Banken, Vermieter und andere Gläubiger bestehen in ihren Formularverträgen fast immer auf einer „selbstschuldnerischen Bürgschaft“. Dies bedeutet, dass der Bürge auf die Einrede der Vorausklage verzichtet. Die rechtliche Folge dieses Verzichts ist gravierend: Der Gläubiger kann sich bei Fälligkeit der Schuld sofort und unmittelbar an den Bürgen wenden, ohne zuvor den Hauptschuldner verklagen oder eine Zwangsvollstreckung gegen ihn versuchen zu müssen. Der Bürge wird dadurch quasi zu einem gleichrangigen Schuldner neben dem Hauptschuldner. Er haftet „wie ein Selbstschuldner“. Bevor eine Bürgschaftsurkunde unterzeichnet wird, ist daher unbedingt zu prüfen, ob sie eine Klausel wie „Der Bürge verzichtet auf die Einrede der Vorausklage“ enthält. In den allermeisten Fällen wird dies der Fall sein, und der Bürge muss sich des damit verbundenen erhöhten Risikos bewusst sein.
Wenn eine Bürgschaft sittenwidrig ist
Obwohl eine Bürgschaft eine hohe finanzielle Belastung darstellt, ist sie grundsätzlich rechtlich zulässig. Es gibt jedoch Konstellationen, in denen eine Bürgschaftsverpflichtung als sittenwidrig und damit nach § 138 BGB als nichtig eingestuft wird. Eine Sittenwidrigkeit liegt typischerweise dann vor, wenn eine krasse finanzielle Überforderung des Bürgen vorliegt und der Gläubiger dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.
Dies ist vor allem bei Bürgschaften von nahen Angehörigen (Ehepartner, Kinder, Eltern) der Fall, die aus reiner emotionaler Verbundenheit handeln und selbst keinerlei wirtschaftliches Interesse am Geschäft des Hauptschuldners haben. Die Gerichte prüfen hier eine Kombination aus mehreren Faktoren:
Krasse finanzielle Überforderung: Der Bürge ist bereits bei Vertragsabschluss objektiv nicht in der Lage, die Hauptschuld auch nur annähernd aus seinem pfändbaren Einkommen oder Vermögen zu bedienen. Er wäre also im Ernstfall hoffnungslos überschuldet.
Emotionale Zwangslage: Der Bürge handelt aus einer engen emotionalen Bindung zum Hauptschuldner und befindet sich dadurch in einer psychischen Drucksituation.
Ausnutzung durch den Gläubiger: Der Gläubiger kennt die finanzielle Situation des Bürgen und nutzt die emotionale Verbundenheit zum Hauptschuldner gezielt aus, um eine ansonsten wertlose Forderung abzusichern.
Stellt ein Gericht die Sittenwidrigkeit fest, ist der Bürgschaftsvertrag von Anfang an unwirksam. Der Bürge wird so behandelt, als hätte er die Verpflichtung nie unterschrieben. Die Hürden für die Annahme einer Sittenwidrigkeit sind jedoch hoch, und die Beweislast liegt in der Regel beim Bürgen.
Wege aus der Haftung: Kündigung und Widerruf der Bürgschaft
Ist eine Bürgschaft einmal wirksam eingegangen, ist es schwer, sich wieder von ihr zu lösen. Eine ordentliche Kündigung ist nur bei unbefristeten Bürgschaften möglich, die für eine unbestimmte Vielzahl zukünftiger Verbindlichkeiten eingegangen wurden (z.B. zur Absicherung eines Kontokorrentkredits). Bei Bürgschaften, die für eine konkrete, feststehende Schuld (wie einen einzelnen Ratenkredit) abgeschlossen wurden, ist eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist zwar theoretisch denkbar, setzt aber eine grundlegende und unzumutbare Veränderung der Umstände voraus, was in der Praxis nur selten gelingt.
Eine in der Praxis relevantere Möglichkeit bietet das Verbraucherwiderrufsrecht. Handelt es sich bei dem Hauptvertrag um ein Verbraucherdarlehen und wird die Bürgschaft ebenfalls von einem Verbraucher abgeschlossen, so steht diesem unter Umständen ein 14-tägiges Widerrufsrecht zu. Voraussetzung ist, dass der Bürge ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt wurde. Fehlt eine solche Belehrung oder ist sie fehlerhaft, kann die Widerrufsfrist unter Umständen gar nicht erst zu laufen beginnen, was ein „ewiges“ Widerrufsrecht zur Folge haben kann.
Hat der Bürge den Gläubiger befriedigt, ist er jedoch nicht schutzlos gestellt. Mit der Zahlung geht die ursprüngliche Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner kraft Gesetzes auf den Bürgen über (§ 774 BGB). Der Bürge kann dann also versuchen, sich das gezahlte Geld vom Hauptschuldner zurückzuholen (Regress). Ob dies wirtschaftlich erfolgreich ist, hängt freilich von der Bonität des Hauptschuldners ab.