Die Situation ist für viele Großeltern ein Albtraum: Ein offiziell aussehender Brief flattert ins Haus, Absender ein Inkassounternehmen oder gar ein Anwalt. Der Inhalt: eine Zahlungsaufforderung über mehrere tausend Euro. Es geht um die Schulden des volljährigen Enkelkindes, das sich vielleicht ein teures Auto finanziert, einen Handyvertrag nicht bedient oder einfach über seine Verhältnisse gelebt hat. Doch können Großeltern überhaupt für die Schulden ihrer volljährigen Enkelkinder haftbar gemacht werden?
Im Grundsatz besteht keine „Sippenhaftung“
Zunächst die beruhigende Nachricht: Das deutsche Recht kennt keine sogenannte Sippenhaftung. Dies bedeutet, dass niemand allein aufgrund eines familiären Verwandtschaftsverhältnisses für die Schulden eines anderen Familienmitglieds einstehen muss. Sobald ein Mensch die Volljährigkeit mit der Vollendung des 18. Lebensjahres erreicht, ist er für seine rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten allein verantwortlich. Er schließt Verträge im eigenen Namen ab und haftet für die daraus entstehenden Verbindlichkeiten ausschließlich mit seinem eigenen Vermögen.
Eine automatische Zahlungspflicht gegenüber den Gläubigern des Enkels besteht für Großeltern daher nicht. Ein Gläubiger kann sich nicht einfach an die nächsten Verwandten wenden, wenn sein eigentlicher Schuldner zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist. Forderungen, die auf dieser alleinigen Grundlage an Großeltern herangetragen werden, sind rechtlich haltlos und können und sollten entschieden zurückgewiesen werden.
Eine Verpflichtung zur Begleichung fremder Schulden besteht nur dann, wenn man sich hierzu aktiv und rechtsverbindlich verpflichtet hat.
Die häufigste Falle: Die übernommene Bürgschaft
Der in der anwaltlichen Praxis mit Abstand häufigste Fall, in dem Großeltern für die Schulden ihrer Enkel haften, ist aufgrund der Übernahme einer Bürgschaft. Eine Bürgschaft ist ein einseitig verpflichtender Vertrag. Mit einer Bürgschaft verpflichten sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger (z. B. einer Bank), für die Erfüllung der Verbindlichkeiten eines Dritten einzustehen.
Banken und andere Kreditgeber verlangen oft einen Bürgen, wenn die Bonität des eigentlichen Kreditnehmers – hier des Enkels – nicht ausreichend ist. Gerade bei jungen Menschen ohne festes hohes Einkommen oder Sicherheiten ist dies an der Tagesordnung. Oftmals sind es die Großeltern, die vom Enkel oder sogar vom Bankberater gebeten werden, „nur kurz zu unterschreiben“, damit der Traum vom ersten eigenen Auto oder der Finanzierung der Ausbildung Wirklichkeit wird. Diese Unterschrift hat jedoch weitreichende Konsequenzen.
Entscheidend ist, dass die Bürgschaftserklärung zu ihrer Gültigkeit der Schriftform bedarf. Eine nur mündlich am Telefon oder im Gespräch zugesagte Bürgschaft ist unwirksam. Der Gesetzgeber hat diese Hürde bewusst eingebaut, um Menschen vor übereilten Entscheidungen zu schützen. Die Schriftform soll eine Warnfunktion erfüllen. In der Praxis wird ein Bürgschaftsvertrag vorgelegt, den unterzeichnet werden soll. Oftmals handelt es sich hierbei um eine „selbstschuldnerische Bürgschaft“. Dies bedeutet, dass auf die sogenannte „Einrede der Vorausklage“ verzichtet wird. Im Normalfall darf der Bürge nämlich die Zahlung verweigern, solange der Gläubiger nicht versucht hat, die Schuld beim Hauptschuldner per Zwangsvollstreckung einzutreiben. Bei einer selbstschuldnerischen Bürgschaft kann der Gläubiger sich jedoch sofort und direkt an den Bürgen wenden, sobald ein Zahlungsverzug entsteht.
Wann ist eine Bürgschaft sittenwidrig?
Der Gesetzgeber und die Rechtsprechung haben erkannt, dass Bürgschaften, die aus reiner emotionaler Verbundenheit eingegangen werden, für den Bürgen existenzbedrohend sein können. Unter ganz bestimmten, eng gefassten Voraussetzungen kann ein solcher Bürgschaftsvertrag daher als sittenwidrig und somit als nichtig angesehen werden.
Eine Bürgschaft ist in der Regel dann sittenwidrig, wenn zwei Voraussetzungen zusammenkommen:
Krasse finanzielle Überforderung: Der Bürge ist zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses finanziell krass überfordert. Das bedeutet, dass er voraussichtlich nicht einmal in der Lage wäre, die laufenden Zinsen der Hauptschuld aus seinem pfändbaren Einkommen und Vermögen zu begleichen. Es kommt also nicht darauf an, ob man die gesamte Kreditsumme auf einmal zahlen könnte, sondern ob bereits die Zinslast die finanzielle Leistungsfähigkeit bei Weitem übersteigt.
Ausnutzung der emotionalen Zwangslage: Der Kreditgeber hat die emotionale Verbundenheit zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner in unzulässiger Weise ausgenutzt. Die Rechtsprechung geht bei Bürgschaften von nahen Angehörigen wie Eltern oder Großeltern typischerweise davon aus, dass diese primär aus emotionaler Verbundenheit und nicht aus einem eigenen geschäftlichen Interesse handeln. Wenn die Bank dies erkennt und die krasse finanzielle Überforderung des Bürgen ebenfalls kennt oder sich dieser Kenntnis leichtfertig verschließt, handelt sie sittenwidrig.
Die Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liegt allerdings beim Bürgen. Es muss also im Streitfall dargelegt und bewiesen werden, dass die finanzielle Überforderung bereits bei Vertragsabschluss bestand und die Bank dies wusste oder hätte erkennen müssen. Dies kann in der Praxis schwierig sein, bietet aber einen wichtigen Schutzmechanismus.
Haftungsfalle Darlehen und Schenkungen
Neben der Bürgschaft gibt es weitere Wege, auf denen Großeltern finanziell involviert sein können. Gewähren die Großeltern Ihrem Enkel ein privates Darlehen, um ihm aus einer finanziellen Notlage zu helfen, haften Sie damit nicht gegenüber dessen anderen Gläubigern. Allerdings wird der Enkel den Großeltern gegenüber zum Schuldner. Diese haben einen Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens. Es ist zur Vermeidung von späteren Streitigkeiten dringend anzuraten, auch innerhalb der Familie einen schriftlichen Darlehensvertrag aufzusetzen, der die Summe, die Rückzahlungsmodalitäten und eventuelle Zinsen klar regelt. Ansonsten könnte im Streitfall oder bei einer späteren Insolvenz des Enkels argumentiert werden, es habe sich um eine Schenkung gehandelt, die nicht zurückzuzahlen ist.
Gemeinsamer Vertragsschluss führt zu Mithaftung
Ein weiterer, wenn auch seltenerer Fall der Haftung ist der gemeinsame Vertragsschluss. Wenn die Großeltern beispielsweise einen Mietvertrag oder einen Mobilfunkvertrag nicht nur als Bürge absichern, sondern gemeinsam mit dem Enkel als gleichberechtigter Vertragspartner unterschreiben, werden diese zum sogenannten Gesamtschuldner. Das bedeutet, der Gläubiger (z.B. Vermieter, Telefonanbieter) kann sich aussuchen, von wem er die volle Summe verlangt. Er muss sich nicht zuerst an den Enkel halten. Hier haften die Großeltern nicht nur für die Schulden ihres Enkels, sondern für ihre eigenen, vertraglich eingegangenen Verpflichtungen. Daher ist bei jedem Dokument, das zur Unterschrift vorgelegt wird, höchste Vorsicht geboten. Es muss genau geprüft werden, ob man als Bürge, als Mit-Vertragspartner oder in einer anderen Funktion unterschreibt.