Das OVG Sachsen hat es in einem Normenkontrollverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (Eilverfahren) abgelehnt, § 4 Abs. 1 Nr. 19 der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung in der seit 2. November 2020 geltenden Fassung vom 30. Oktober 2020 (SächsCoronaSchVO a. F.) vorläufig außer Vollzug zu setzen.
Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 19 SächsCoronaSchVO a. F. - und inhaltsgleich gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 21 der ab 13. November 2020 geltenden neuen Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung - ist die Öffnung und das Betreiben von Betrieben im Bereich der körpernahen Dienstleistung, mit Ausnahme medizinisch notwendiger Behandlungen und von Friseuren, verboten. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht geht im Eilverfahren davon aus, dass diese Vorschrift in Bezug auf Tätowier- und Piercing-Studios einem Normenkontrollantrag in der Hauptsache, mit dem diese Vorschrift endgültig für unwirksam erklärt werden könnte, standhalten wird:
Die gesetzliche Ermächtigung zum Erlass der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung in
§ 32 Satz 1 i. V. m.
§ 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes des Bundes sieht das Oberverwaltungsgericht trotz teilweise daran geübter Kritik in Rechtsprechung und Schrifttum weiterhin als ausreichend an, auch für den Erlass eines Betriebsverbots u. a. für Tätowier- und Piercing-Studios.
Die Voraussetzungen nach dem Infektionsschutzgesetz für den Erlass eines solchen Betriebsverbots durch Rechtsverordnung der Länder sind gegeben.
Nach den vorliegenden medizinischen Erkenntnissen ist die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachte Erkrankung (COVID-19) sehr infektiös, hat ein erhöhtes Risiko schwerer Verläufe bei vielen unterschiedlichen Personengruppen und breitet sich als Pandemie welt-, deutschland- und sachsenweit rasant aus, ohne dass bisher eine Impf- oder spezifische Medikationsmöglichkeit besteht.
Diese ernstzunehmende Situation verpflichtet die Behörden der Länder zum Handeln, wobei ihnen von Verfassungs wegen ein Wertungsspielraum bleibt, welche Maßnahmen sie im Einzelnen ergreifen. Dieser Wertungsspielraum wurde auf Grundlage der von den Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin am 28. Oktober 2020 beschlossenen Maßnahmekonzeption (sog. „Lockdown light“) mit der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung sachlich und willkürfrei wahrgenommen. Alternative Empfehlungen zum Umgang mit der Pandemie, v. a. eine Konzentration der Schutzmaßnahmen auf Risikogruppen, hält das Oberverwaltungsgericht u. a. wegen der vielen Risikopersonen (bis zu 40 % der Bevölkerung) nicht für erfolgversprechend.
Deshalb stellt auch das Betriebsverbot für körpernahe Dienstleistungen in § 4 Abs. 1 Nr. 19 SächsCoronaSchVO a. F. eine durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigte Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) dar, die dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) entspricht.
Der Eingriff ist für die betroffenen Gewerbetreibenden zwar gravierend. Dem steht jedoch das durch die Pandemie dramatisch bedrohte Recht auf Leben und körperlicher Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) der Bevölkerung gegenüber. Denn nach den dem Gericht vorliegenden Daten wird bei ungebremstem Fortgang der Pandemie in wenigen Wochen die Kapazitätsgrenze der Krankenhaus- und Intensivbetten in Sachsen erreicht sein. Hinzu kommen die gravierenden Folgen für Bildung und Wirtschaft, falls wieder ein vollständiger Lockdown nötig würde. Demgegenüber ist das aktuelle Betriebsverbot auf nur vier Wochen befristet und für die betroffenen Betriebe wurden erhebliche staatliche Entschädigungen angekündigt.
Die Ausnahme für Friseure in § 4 Abs. 1 Nr. 19 SächsCoronaSchVO a. F. ist sachlich gerechtfertigt, weil deren Tätigkeit zur Grundversorgung der Bevölkerung im Bereich der Körperhygiene gehört. Die Kontaktbeschränkungen gemäß § 2 Abs. 1 SächsCoronaSchVO a. F. widersprechen dem Betriebsverbot ebenfalls nicht, weil beim erlaubten Zusammentreffen von Personen im öffentlichen oder privaten Raum der Mindestabstand von 1,5 Metern grundsätzlich einzuhalten ist, so dass dies mit den Betrieben der körpernahen Dienstleistungen nicht vergleichbar ist. Gleiches gilt für den für die Grundversorgung der Bevölkerung bedeutsamen Einzelhandel, wo das Abstandsgebot durch bestimmte organisatorische Maßnahmen sicherzustellen ist.
Die Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist unanfechtbar.