Steuerschulden treffen grundsätzlich denjenigen, dem gegenüber der Steueranspruch gesetzlich begründet ist. In bestimmten Fällen kann aber auch eine andere Person als der eigentliche Steuerschuldner in Anspruch genommen werden. Die Abgabenordnung regelt hierfür unterschiedliche Haftungstatbestände. Diese greifen insbesondere dann, wenn Dritte in einer rechtlich relevanten Nähe zur Steuerentstehung stehen oder wenn Steueransprüche aufgrund insolvenzbedingter oder sonstiger wirtschaftlicher Schwierigkeiten gefährdet sind.
Die gesetzliche Grundlage: Haftungstatbestände in der Abgabenordnung
Die Haftung für fremde Steuerschulden ist in den §§ 69 bis 75 AO geregelt. Dabei handelt es sich nicht um eine gesamtschuldnerische Haftung neben dem eigentlichen Steuerschuldner, sondern um eine eigenständige Anspruchsgrundlage des Fiskus gegenüber Dritten.
Entscheidend ist dabei nicht die zivilrechtliche Verantwortlichkeit, sondern ein spezifisch steuerrechtlicher Haftungstatbestand. Die Finanzbehörden müssen die Voraussetzungen im jeweiligen Einzelfall prüfen und durch Verwaltungsakt feststellen. Eine solche Haftungsinanspruchnahme kann mit einem eigenständigen Rechtsbehelfsverfahren angefochten werden.
Haftung des gesetzlichen Vertreters
Besondere Bedeutung kommt der Haftung von gesetzlichen Vertretern juristischer Personen zu. Nach § 69 AO haften diese, wenn sie steuerliche Pflichten der vertretenen Organisation verletzen und dadurch Steueransprüche nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden.
Typischer Anwendungsfall ist die Haftung des GmbH-Geschäftsführers für Steuerschulden der Gesellschaft. Die Haftung tritt allerdings nicht automatisch ein, sondern setzt ein schuldhaftes Verhalten voraus. Dies umfasst beispielsweise die Verletzung der Pflicht zur fristgerechten Abgabe von Steueranmeldungen oder die Nichtabführung einbehaltener Lohnsteuer.
Bei Zahlungsschwierigkeiten der Gesellschaft trifft den Geschäftsführer die Pflicht zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger. Werden in dieser Phase noch Zahlungen an andere Gläubiger geleistet, ohne die Steuern abzuführen, kann dies als pflichtwidrig und damit haftungsbegründend angesehen werden. Besonders problematisch ist dies bei der sogenannten Masseschmälerung nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit.
Haftung bei Verletzung steuerlicher Mitwirkungspflichten
Eine besondere Haftung greift bei natürlichen Personen, die durch vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung bewirken, dass Steueransprüche nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Diese Haftung gemäß § 70 AO knüpft nicht an eine Organstellung an, sondern an ein individuelles Fehlverhalten im Zusammenhang mit steuerlichen Feststellungen.
Betroffen sind häufig Steuerberater, Buchhalter oder sonstige Dritte, die bei der Erstellung von Steuererklärungen mitwirken. Eine Haftung kann etwa dann entstehen, wenn infolge falscher Angaben Steuerverkürzungen eintreten oder die Festsetzungsfrist zu verstreichen droht, weil relevante Daten nicht übermittelt wurden.
Haftung von Vermögensverwaltern
Vermögensverwalter haften unter den Voraussetzungen des § 71 AO für Steueransprüche, wenn sie als faktische Verwalter steuerpflichtiger Vermögen handeln. Dies betrifft insbesondere Treuhänder, Nachlassverwalter oder Insolvenzverwalter, soweit sie aus dem verwalteten Vermögen Mittel entnehmen, ohne Steuerforderungen zu erfüllen.
Ein häufiges Beispiel ist die Entnahme von Geldern durch einen Nachlasspfleger, bevor etwaige Erbschaftsteuern beglichen wurden. Ebenso haftet ein Insolvenzverwalter, der trotz Kenntnis der Steuerforderungen keine entsprechenden Rückstellungen bildet.
Entscheidend ist, dass die Mittel dem Zugriff des Fiskus entzogen werden und dadurch die Realisierung der Forderung gefährdet wird. Die Haftung knüpft auch hier an ein schuldhaftes Verhalten an, wobei einfache Fahrlässigkeit ausreichen kann.
Haftung im Rahmen von Betriebsübergängen
Ein Sonderfall der Haftung besteht beim Erwerb eines Unternehmens oder Betriebsteils. Nach § 75 AO haftet der Erwerber für alle Steuerschulden, die durch den Betrieb bis zum Zeitpunkt des
Übergangs verursacht wurden. Dies gilt sowohl für bereits festgesetzte als auch für noch nicht festgesetzte, aber dem Grunde nach entstandene Steuern.
Die Haftung ist auf den Wert des übernommenen Vermögens beschränkt, sodass keine darüber hinausgehende persönliche Haftung entsteht. Dennoch kann sie erhebliche Bedeutung erlangen, insbesondere bei der Übernahme von Unternehmen mit steuerlicher Altlast. Der Erwerber hat daher ein erhebliches Interesse an einer umfassenden steuerlichen Due-Diligence-Prüfung.
Nicht erfasst sind Fälle reiner Anteilskäufe, da hier keine Betriebsveräußerung im haftungsrechtlichen Sinne stattfindet. Entscheidend ist der Übergang der wirtschaftlichen Einheit, nicht der Gesellschaftsanteile.
Haftung bei Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei
In Fällen von Steuerstraftaten wie der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder der Steuerhehlerei (§ 374 AO) kommt eine Haftung ebenfalls in Betracht. Wer vorsätzlich eine Steuerhinterziehung begeht, kann gemäß § 71 AO für die verkürzten Beträge in Anspruch genommen werden – selbst dann, wenn er nicht der eigentliche Steuerschuldner ist.
Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf Steuerhehlerei ist in der Rechtsprechung anerkannt. Damit kann auch derjenige haften, der etwa vorsätzlich Schmuggelware erwirbt und dadurch eine Steuerverkürzung ermöglicht.
In solchen Fällen wird die Haftung regelmäßig im Rahmen des Strafverfahrens geprüft und mit einer nachfolgenden steuerlichen Inanspruchnahme verbunden. Es handelt sich um eine besonders eingriffsintensive Form der Haftung, die neben einer strafrechtlichen Sanktion eine vollständige wirtschaftliche Belastung ermöglichen kann.
Besonderheiten im Insolvenzverfahren
Kommt es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens, können steuerliche Haftungsansprüche eine besondere Rolle spielen. Die Finanzbehörden prüfen regelmäßig, ob eine Pflichtverletzung durch den Geschäftsleiter zur Insolvenz geführt oder eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung verhindert hat.
In der Praxis führt dies häufig zu Haftungsbescheiden gegenüber ehemaligen Geschäftsführern. Dabei ist insbesondere auf den Zeitpunkt der Insolvenzreife abzustellen. Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit erfolgen und den Steueranspruch vereiteln, gelten als haftungsbegründend.
Zudem besteht eine Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Zahlungsunfähigkeit – eine verspätete Antragstellung kann nicht nur strafrechtlich relevant sein, sondern auch die Grundlage für eine Haftung bilden.
Verhältnis zwischen Haftung und Steuerfestsetzung
Die Haftung nach der Abgabenordnung ist grundsätzlich von der ursprünglichen Steuerfestsetzung unabhängig. Das bedeutet, dass die Haftung selbstständig durch Bescheid geltend gemacht werden kann, ohne dass der ursprüngliche Steuerbescheid gegenüber dem Steuerschuldner bestandskräftig sein muss.
Allerdings darf die Haftung nicht dazu führen, dass ein Dritter für Steuerforderungen haftet, die bereits verjährt oder nichtig sind. Auch die Dauer der Festsetzungs- und Zahlungsverjährung richtet sich nach den allgemeinen Regeln, wobei bestimmte Hemmungstatbestände – etwa durch Einspruchsverfahren – beachtet werden müssen.
Der Haftungsbescheid hat eigenständige Rechtswirkungen und kann mit Einspruch angefochten werden. Das Verfahren richtet sich dabei nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechtswegs.
Abgrenzung zur zivilrechtlichen Haftung
Die steuerrechtliche Haftung ist von der zivilrechtlichen Haftung zu trennen. So kann ein Geschäftsführer zivilrechtlich gegenüber der Gesellschaft auf Schadensersatz haften, wenn er steuerliche Pflichten verletzt und dadurch finanzielle Schäden verursacht.
Umgekehrt kann eine steuerrechtliche Haftung auch dann bestehen, wenn zivilrechtlich kein Ersatzanspruch geltend gemacht wird. Der Fiskus ist nicht auf die Durchsetzung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche angewiesen, sondern kann unmittelbar auf Grundlage der AO vorgehen.
Dies gilt insbesondere für Organhaftung, Vermögensverwalter oder Erwerber haftungspflichtiger Betriebe. In solchen Fällen dient das Steuerrecht dem Schutz fiskalischer Interessen mit eigenen Zugriffsbefugnissen.
Beweislast und Ermessensspielraum der Finanzbehörden
Bei der Haftungsinanspruchnahme tragen die Finanzbehörden die Darlegungs- und Beweislast für alle haftungsbegründenden Tatsachen. Dies umfasst etwa den Zeitpunkt und die Art der Pflichtverletzung, die Höhe des Steuerschadens sowie das schuldhafte Verhalten.
Zudem besteht ein Ermessensspielraum, ob und in welchem Umfang eine Haftung geltend gemacht wird. Die Ermessensausübung ist im Haftungsbescheid zu dokumentieren und kann gerichtlich überprüft werden. Ermessensfehler – etwa das Übergehen von Entlastungsargumenten – führen zur Aufhebung des Bescheids.
In der Praxis empfiehlt sich daher eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Haftungsbescheids und sofern Erfolg versprechend die Geltendmachung entlastender Umstände im Einspruchsverfahren.