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Vaterschaftsfeststellung: genetische Abstammungsuntersuchungen bei eineiigen Zwillingen zumutbar?

Familienrecht | Lesezeit: ca. 30 Minuten

In Verfahren zur gerichtlichen Feststellung der Abstammung gilt grundsätzlich, dass jede betroffene Person - auch wenn sie als mutmaßlicher leiblicher Vater beteiligt ist - zur Mitwirkung an der Aufklärung der Abstammung verpflichtet ist, sofern die Untersuchungsmaßnahme nicht unzumutbar erscheint. Insbesondere wenn herkömmliche DNA-Analysen (z. B. mittels PCR-basierter STR-Systeme) aufgrund genetischer Besonderheiten - wie bei eineiigen Zwillingen - nicht zwischen den Beteiligten unterscheiden können, ist der Einsatz moderner, umfassender genetischer Testverfahren (z. B. mittels whole genome sequencing) als geeignet anzusehen, um differenzierte Abstammungsfeststellungen zu ermöglichen.

Dabei wird das schutzwürdige Interesse des Kindes, seine leibliche Abstammung zu erfahren, dem Eingriff in die Persönlichkeitsrechte (wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit und informationelle Selbstbestimmung) der Beteiligten grundsätzlich vorgezogen. Selbst wenn die an der Untersuchung beteiligten Personen - etwa aufgrund ihres früheren Lebensverhaltens - private Interessen geltend machen, steht das Interesse des Kindes an einer umfassenden Aufklärung seiner Abstammung im Vordergrund. Eine Weigerung zur Mitwirkung an weiterführenden Untersuchungen, die zur eindeutigen Feststellung der Abstammung erforderlich sind, wird daher in der Regel als unzumutbar abgelehnt, auch wenn dadurch höhere Kosten und ein intensiver Eingriff in den persönlichen Lebensbereich verbunden sein können.

Diese Rechtsauffassung erfordert eine einzelfallbezogene, sorgfältige Interessenabwägung, wobei der Stand der wissenschaftlichen Methodik und die praktischen Erfahrungen mit modernen DNA-Analysen zu berücksichtigen sind.

Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:

Die Antragstellerin beantragt im gerichtlichen Abstammungsverfahren die Feststellung, dass der Antragsgegner ihr Vater ist.

Der Antragsgegner hat die Einrede des Mehrverkehrs erhoben und behauptet, dass die Mutter der Antragstellerin als Prostituierte bei einer Escort-Agentur tätig gewesen sei. Er habe sie zwei- oder dreimal in seine Wohnung bestellt und bei dieser Gelegenheit hätten dort nicht nur er, sondern auch jeweils sein eineiiger Zwillingsbruder mit ihr geschlechtlich verkehrt. Das Amtsgericht hat die Mutter der Antragstellerin und den Antragsgegner persönlich angehört und den Bruder des Antragsgegners sowie den früheren Arbeitgeber der Kindesmutter als Zeugen vernommen. Es hat sodann ein DNA-Abstammungsgutachten durch das DD Institut in Ort3 eingeholt unter Einbeziehung der Antragstellerin und ihrer Mutter sowie des Antragsgegners und dessen Bruder. Das Institut hat dem Amtsgericht mit Schreiben vom 10.07.2024 mitgeteilt, dass es sich bei den Brüdern um eineiige Zwillinge handele, die durch das Institut genetisch nicht zu unterscheiden seien. Weiter sei festgestellt worden, dass einer der beiden Zwillinge der leibliche Vater der Antragstellerin sei. Für das Gutachten seien PCR-basierte Microsatelliten-Systeme (STR-Systeme) eingesetzt worden. Die Zwillinge besäßen ein identisches STR-Profil, so dass davon auszugehen sei, dass es sich um eineiige Zwillinge handele. In den untersuchten zweiundzwanzig DNA-Systemen fänden sich keine Ausschlussmöglichkeiten für den Antragsgegner und für seinen Bruder. Der Vaterschaftswahrscheinlichkeitswert betrage 99,9999%, so dass davon auszugehen sei, dass der Antragsgegner oder sein Bruder der Vater des Kindes seien. Auf Anregung des Instituts hat das Amtsgericht Kontakt mit dem Sachverständigen für Forensische DNA-Spurenanalytik und Abstammungsbegutachtung EE aufgenommen. Dieser hat mitgeteilt, die Firma FF GmbH, für die er tätig ist, biete einen von dieser entwickelten und 2014 erstmals vorgestellten Test zur Unterscheidung von eineiigen Zwillingen an, bei dem im Unterschied zu den „herkömmlichen“ DNA-Gutachten nicht nur einzelne Abschnitte der DNA der betroffenen Zwillinge, sondern die komplette DNA durch Sequenzierung untersucht werde. Hierbei könnten sich minimale Veränderungen in der DNA, die sich während der Embryonalentwicklung bei den Zellteilungen zufällig und jeweils nur in einem der beiden Embryonen entwickelten (Mutationen), finden lassen. Aufgrund der erforderlichen umfangreichen Untersuchungen sei mit Kosten von rund 60.000 € zu rechnen. Der Test sei in einem Gerichtsverfahren in Ort4 (USA) erfolgreich angewandt worden, bei dem einer der beiden Täter einen eineiigen Zwillingsbruder hatte und hätte in Deutschland in drei Verfahren zur Klärung der Abstammung sowie in einem Strafverfahren zu einer Unterscheidung der betroffenen Zwillinge geführt.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 16.10.2024 die Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens angeordnet und EE als Sachverständigen bestimmt.

Der Antragsgegner hat mitgeteilt, in eine weitere genetische Untersuchung nicht einzuwilligen.

Mit Beschluss vom 21.11.2024 hat das Amtsgericht eine Zwischenentscheidung getroffen und die Weigerung des Antragsgegners, an der weiteren Begutachtung mitzuwirken, als unberechtigt zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die weitere Beweisaufnahme erforderlich sei. Zwar stehe fest, dass der Antragsgegner mit der Mutter der Antragstellerin in der gesetzlichen Empfängniszeit geschlechtlich verkehrt habe und dieser und sein Bruder eineiige Zwillinge seien. Davon, dass die Mutter – wie sie behauptet – nur mit dem Antragsgegner verkehrt habe, sei das Gericht aber nicht überzeugt. Mit der beabsichtigten weiteren Begutachtung stehe ein Beweismittel zur Verfügung, das grundsätzlich geeignet sei, die Vaterschaft festzustellen. Die Entscheidung des OLG Celle vom 30.01.2013 (OLG Celle, 30.01.2013 - Az: 15 UF 51/06) sei überholt. Es handele sich nicht mehr um einen theoretischen Ansatz oder eine Verlagerung von Grundlagenforschung in das gerichtliche Verfahren. Das ultra-deep next generation sequencing sei mittlerweile in der gerichtlichen Praxis zur Anwendung gekommen. Auch die hohen Kosten rechtfertigten es nicht, von der Begutachtung abzusehen und dem Kind die Kenntnis seiner Abstammung vorzuenthalten.

Der Antragsgegner hat gegen die Entscheidung sofortige Beschwerde erhoben. Er beantragt, die Beschlüsse vom 16.10.2024 und 21.11.2021 aufzuheben. Zur Begründung führt er aus, dass seine weitere Begutachtung unzumutbar sei. Das beabsichtigte Verfahren sei erst dreimal in einem Familiengerichtsverfahren und einmal in einem Strafverfahren zur Anwendung gekommen und dürfte als nicht ausreichend erprobt anzusehen sein. Der Antragsgegner wolle nicht als Versuchskaninchen für ein solches Verfahren dienen. Die Duldung der Begutachtung schränke sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein, was auch aufgrund der Vorgeschichte unverhältnismäßig sei. Er habe die Kindesmutter für ihre sexuellen Dienstleistungen als Prostituierte bezahlt. Ausreichende Vorkehrungen zur Verhinderung einer Schwangerschaft dürften deren vertragliche Nebenpflicht gewesen sein, die sie offensichtlich verletzt habe. Es stehe nach dem ersten Gutachten fest, dass auch sein Bruder als biologischer Vater in Betracht komme. Ein Anspruch auf Begutachtung bestehe nach der Entscheidung des BVerfG vom 19.04.2016 (1 BvR 3309/13) nicht. Außerdem könne sich die im Beschluss vom 16.10.2024 festgelegte Duldung der Untersuchung zur Abstammung nicht gegen den Bruder als Zeugen richten. Ein gesondertes gerichtliches Verfahren werde gegen diesen nicht geführt.

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