Ohne Suche zum Ziel. Wir lösen Ihr Rechtsproblem!Bewertung: - bereits 393.245 Anfragen

Verpflichtung von Ausländern zur Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft besteht auch während der Corona-Krise

Corona-Virus | Lesezeit: ca. 12 Minuten

Die Beschwerde, mit der die Antragsteller ihren Antrag,

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, sie „vorläufig und jedenfalls vorübergehend dezentral außerhalb der Einrichtung I. in L. unterzubringen“,

weiterverfolgen, hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeschriftsatz der Antragssteller vom 19. Mai 2020 - jedenfalls ausdrücklich - keinen bestimmten Antrag enthält. Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss eine Beschwerde gegen einen im Eilverfahren ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zwar einen bestimmten Antrag enthalten, dieser muss jedoch nicht notwendig ausdrücklich formuliert werden. Es genügt vielmehr, wenn sich der Beschwerdeschrift eindeutig entnehmen lässt, mit welchem Ziel und in welchem Umfang die infrage stehende Gerichtsentscheidung angefochten wird.

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen im Beschwerdeschriftsatz. Aus der Beschwerdebegründung, insbesondere aus den Ausführungen auf Blatt 3 a. E., ergibt sich, dass die Antragsteller den geltend gemachten und im erstinstanzlichen Verfahren ablehnend beschiedenen Anspruch auf eine dezentrale Unterbringung außerhalb der Gemeinschaftsunterkunft I. in L. weiterverfolgen und unter entsprechender Änderung des angefochtenen Beschlusses eine stattgebende Entscheidung des beschließenden Senats begehren.

Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Der Senat ist bei der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung auf die Prüfung der von den Rechtsmittelführern fristgerecht dargelegten Gründe beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i. V. m. Satz 1 und 3 VwGO). Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe rechtfertigen nicht die Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Das Verwaltungsgericht hat den auf eine dezentrale Unterbringung der Antragsteller außerhalb der Gemeinschaftsunterkunft I. in L. gerichteten Eilantrag abgelehnt und hierzu ausgeführt:

Die Antragsteller hätten einen Anordnungsanspruch auf eine anderweitige Unterbringung nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V .m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Der Unterbringungsanspruch aus § 14 Abs. 1 OBG NRW sei gegenwärtig erfüllt. Ein solcher Anspruch sei auf die Unterbringung in einer menschenwürdigen Unterkunft gerichtet, die Schutz vor den Unbilden der Witterung biete sowie Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lasse. Dabei müsse die Antragsgegnerin auch die spezifischen virologischen und epidemiologischen Anforderungen berücksichtigen, die sich aus der aktuellen Corona-Pandemie ergäben. Der aus Art. 2 Abs. 2 GG folgende Schutzanspruch der Antragsteller könne aber nicht darauf gerichtet sein, diese von dem allgemeinen Ansteckungsrisiko gänzlich zu befreien, sondern nur darauf, dass sich aus der gewählten Art der Unterbringung kein signifikant erhöhtes Ansteckungsrisiko ergebe. Ein solches erhöhtes Ansteckungsrisiko sei in der Gemeinschaftsunterkunft I. angesichts der von der Antragsgegnerin ergriffenen Schutzmaßnahmen - unter Einbeziehung der ergänzenden Anordnungen im angefochtenen Beschluss - nicht festzustellen. Die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft seien auf die sich aus §§ 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 CoronaSchVO NRW ergebenden Verhaltenspflichten, insbesondere auf die Einhaltung des Abstandsgebots, auf verschiedene Weise (Informationen in verschiedenen Sprachen, Piktogramme, persönliche Gespräche) hingewiesen worden. Die eigenverantwortliche Einhaltung dieser Regeln durch die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft sei nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragsgegnerin zu den getroffenen Schutzvorkehrungen auch in den von den Bewohnern gemeinschaftlich genutzten Bereichen (Flure, Außenbereich, Speiseräume) möglich. Um ein Fehlverhalten einzelner Bewohner zu verhindern, habe die Antragsgegnerin in den Speiseräumen Sicherheitspersonal damit beauftragt, die Einhaltung der Verhaltenspflichten sowie des Abstandgebotes zu kontrollieren. In Bezug auf die von den Bewohnern gemeinschaftlich genutzten Sanitäreinrichtungen hat das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im angefochtenen Beschluss zu ergänzenden (Kontroll-)Maßnahmen sowie - nach Maßgabe der insoweit formulierten Einschränkung - zur Aushändigung von Desinfektionsmittel an die Antragsteller verpflichtet.

Die hiergegen mit der Beschwerde erhobenen Einwendungen führen zu keiner abweichenden Entscheidung.

Die Antragsteller - unerlaubt in das Bundesgebiet eingereiste Ausländer, für die eine Entscheidung über eine Verteilung nach § 15a AufenthG wegen der Corona-Pandemie noch nicht vorliegt - machen geltend, die Unterbringung in einer Sammelunterkunft führe zu einem erhöhten, ihnen nicht zumutbaren Ansteckungsrisiko. Hierzu berufen sie sich auf Medienberichte aus Mai 2020 über hohe Infektionszahlen in anderen Flüchtlingsunterkünften, u. a. in einer Flüchtlingsunterkunft in Sankt Augustin.

Dieses Vorbringen greift nicht durch. Mit dem pauschalen Hinweis auf die Infektionszahlen in anderen Flüchtlings- bzw. Gemeinschaftsunterkünften haben die Antragsteller ein grundsätzlich erhöhtes Ansteckungsrisiko in der von ihnen bewohnten Gemeinschaftsunterkunft I. nicht glaubhaft gemacht. Die Frage der Ansteckungsgefahr lässt sich nur einzelfallbezogen für die jeweilige Einrichtung anhand des dort ergriffenen Schutzkonzepts beantworten. Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung (vgl. Entscheidungsabdruck, Blatt 3 f.) die Schutzmaßnahmen der Antragsgegnerin in der Gemeinschaftsunterkunft I. beschrieben und diese - unter Einbeziehung der ergänzenden Anordnungen im angegriffenen Beschluss - als ausreichend erachtet. Damit setzt sich die Antragsbegründung nicht auseinander. Die Antragsteller, die für sich nicht geltend machen, einer besonderen Risikogruppe anzugehören, zeigen nicht auf, dass sich die getroffenen Schutzmaßnahmen als nicht ausreichend erweisen könnten. Dafür ist auch sonst nichts ersichtlich. Vielmehr spricht der Umstand, dass es trotz der in der Gemeinschaftsunterkunft I. nachgewiesenen Infektionsfälle Ende April/Anfang Mai 2020 in zwei Familien zu keinen weiteren Erkrankungen gekommen ist, dafür, dass die Schutzmaßnahmen der Antragsgegnerin effektiv sind. Nach den Angaben der Antragsgegnerin wurden aufgrund der festgestellten Erkrankung eines Kindes sämtliche Bewohner getestet und - nachdem ein weiteres Kind erkrankt war - mit Allgemeinverfügung vom 2. Mai 2020 eine Quarantänemaßnahme angeordnet. Die betroffenen zwei Familien und weitere Kontaktpersonen wurden anderweitig untergebracht. Weitere Infektionen in der Gemeinschaftsunterkunft I. blieben aus.

Soweit die Antragsteller weiter geltend machen, dass sie durch eigene Vorsichtmaßnahmen einen (durch andere Bewohner verursachten) Infektionsfall nicht vermeiden könnten und so schutzlos einer möglichen Freiheitsentziehung durch Quarantänemaßnahmen ausgeliefert seien, rechtfertigt auch dies keine andere Bewertung.

Vorauszuschicken ist, dass die Antragsteller gegenwärtig keiner Quarantänemaßnahme unterliegen. Die mit Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 2. Mai 2020 angeordnete Quarantänemaßnahme war befristet bis zum 13. Mai 2020 und wurde, nachdem keine weiteren Infektionen bei den Bewohnern festgestellt wurden, nicht verlängert. Die grundsätzliche Möglichkeit, dass es - trotz der gegenwärtig rückläufigen Infektionszahlen - künftig erneut zu einer freiheitsbeschränkenden Quarantänemaßnahme auf der Grundlage von § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG kommen könnte, was naturgemäß nicht absehbar ist, lässt die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft - die gebotenen Schutzvorkehrungen vorausgesetzt - nicht als unzumutbar erscheinen. Dieses Risiko stellt für die Antragsteller keine besondere, individuelle Belastung dar. Vielmehr betrifft dieses Risiko in der gegenwärtigen Situation der Corona-Pandemie einen Großteil der Bevölkerung und ist daher hinzunehmen. Eine potentielle Ansteckungsgefahr besteht immer dort, wo es zu Kontakten mit anderen Personen kommt. Diese hängen nach Art und Umfang von der jeweiligen individuellen Lebenssituation ab, sind häufig in Beruf und Alltag aber nicht zu vermeiden. Diese Situation bringt es mit sich, dass immer dort, wo eventuelle Infektionsketten nachzuverfolgen sind, etwa im beruflichen Umfeld oder - wie hier - aufgrund der Wohn- bzw. Unterbringungssituation, das Risiko besteht, als Kontaktperson einer erkrankten Person für einen überschaubaren Zeitraum eine Quarantäne einhalten zu müssen, um der Gefahr einer weiteren Verbreitung des Virus zu begegnen. Überdies sind die Antragsteller in der Gemeinschaftsunterkunft I. nur vorübergehend untergebracht bis zu einer Entscheidung im Verteilungsverfahren nach § 15a AufenthG, die - voraussichtlich - zeitnah erfolgen soll. Nach der Mitteilung der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 9. Juni 2020 soll die erforderliche Vorsprache der Antragsteller im Ausländeramt der Antragsgegnerin am 18. Juni 2020 stattfinden; anschließend sei die Einleitung des Verteilungsverfahrens bei der Bezirksregierung Arnsberg vorgesehen. Die Antragsgegnerin hat bereits angekündigt, dass sie für den Fall, dass die Antragsteller der Stadt L. zugewiesen würden, diese in einem Regelwohnheim mit der Möglichkeit der Selbstverpflegung unterbringen werde. Bei einer Verteilung an einen anderen Ort müssten die Antragsteller sich dorthin begeben und die Gemeinschaftsunterkunft I. ebenfalls verlassen.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


OVG Nordrhein-Westfalen, 16.06.2020 - Az: 9 B 765/20

ECLI:DE:OVGNRW:2020:0616.9B765.20.00

Vorgehend: VG Köln, 14.05.2020 - Az: 22 L 805/20

Wir lösen Ihr Rechtsproblem! AnwaltOnline - empfohlen von Die Welt online

Fragen kostet nichts: Schildern Sie uns Ihr Problem – wir erstellen ein individuelles Rechtsberatungsangebot für Sie.
  Anfrage ohne Risiko    vertraulich    schnell 

So bewerten Mandanten unsere Rechtsberatung

Durchschnitt (4,85 von 5,00 - 1.239 Bewertungen) - Bereits 393.245 Beratungsanfragen

Wow, innerhalb eines Tages eine Antwort bekommen. Ich habe nicht viel erwartet und dann kam eine richtig ausführliche Antwort. Damit kann ich erstmal ...

Erik, Oranienburg

Ich bin ehrlich, eigentlich bin ich recht skeptisch, was Online-Beratungs-Websites betrifft, aber ich habe dringend Rat in einer Angelegenheit ...

Birgül D., Mannheim