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Keine Außervollzugsetzung der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung

Corona-Virus | Lesezeit: ca. 14 Minuten

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgewiesen.

Hierzu führte das Gericht u.a. aus:

Die Antragsteller im Popularklageverfahren wenden sich unter anderem gegen die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (3. BayIfSMV) des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 1. Mai 2020 (GVBl S. 255, BayMBl Nr. 239, BayRS 2126-1-7-G), die durch § 23 Abs. 2 und 3 der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 5. Mai 2020 (BayMBl Nr. 240) und erneut durch § 1 der Verordnung vom 7. Mai 2020 (BayMBl Nr. 247) geändert worden ist.

Die Antragsteller haben sich mit der am 24. April 2020 erhobenen Popularklage zunächst (unter anderem) gegen die Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung gewandt und ihre Popularklage mit weiteren Schriftsätzen begründet und erweitert. Sie beantragen zuletzt, auch die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung für verfassungswidrig und nichtig zu erklären. Weiter beantragen sie, diese vorläufig außer Vollzug zu setzen.

Sie machen insoweit im Wesentlichen geltend, die Verordnung verletze insbesondere die Grundrechte der Versammlungsfreiheit (Art. 113 BV), der Religionsfreiheit (Art. 107 Abs. 1 und 2 BV), der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Berufsfreiheit (Art. 101 BV), des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 118 Abs. 1 BV), der Ehe und Familie (Art. 124 Abs. 1 BV) und der Wissenschaftsfreiheit (Art. 108 BV). Die Verfassungswidrigkeit ergebe sich bereits daraus, dass die Verordnung unter Verstoß gegen die Notstandsregelung (Art. 48 BV), das Konnexitätsprinzip (Art. 83 Abs. 3 BV) und die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, zustande gekommen sei. Deshalb sei es ausnahmsweise zulässig, die Verordnung insgesamt anzugreifen. Aber auch inhaltlich seien die landesweit geltenden Verbote, Gebote und Beschränkungen angesichts der Entwicklung der COVID-19-Erkrankungen, die vor allem ältere und erheblich vorerkrankte Personen gefährdeten, nicht mehr verhältnismäßig und gegenüber der großen Mehrheit der Gesunden nicht zu rechtfertigen.

Das in § 1 3. BayIfSMV geregelte allgemeine Veranstaltungs- und Versammlungsverbot sei verfassungswidrig, weil es sogar Versammlungen im Landtag und in kommunalen Gremien verbiete und einer Ausnahmegenehmigung durch die zuständige Kreisverwaltungsbehörde unterstelle. Die Regelung des § 2 3. BayIfSMV für Gottesdienste sei grundrechtswidrig, weil die Höchstteilnehmerzahl im Freien anders als in Gebäuden sinnfrei und völlig losgelöst von jeder infektionsmedizinisch nachweisbaren Plausibilität auf eine Höchstteilnehmerzahl von 50 Personen begrenzt werde; außerdem sei nicht verständlich, weshalb im Freien ein Mindestabstand von 1,5 m, in Gebäuden aber unabhängig von der Größe und der Belüftungssituation ein solcher von 2,0 m eingehalten werden müsse. Die Beschränkungen des § 3 3. BayIfSMV für öffentliche Versammlungen verstießen gegen das höherrangige und abschließende Bayerische Versammlungsgesetz und seien im Übrigen unverhältnismäßig und gleichheitswidrig.

Die Betriebsuntersagungen und -beschränkungen nach § 4 3. BayIfSMV stellten, zumal mit zunehmender Zeitdauer, einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit dar und seien gleichheitswidrig, etwa weil ohne infektionsschutzrechtliche Notwendigkeit Autokinos und Reisebusreisen verboten seien, weil das für Hotels gewählte Unterscheidungskriterium des von den Gästen verfolgten Aufenthaltszwecks unplausibel sei und weil für Betriebskantinen unabhängig von ihrer Größe verlangt werde, dass sich in den Räumen trotz Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 m zu keinem Zeitpunkt mehr als 30 Personen gleichzeitig aufhalten dürften. Hinsichtlich der Beschränkungen für Ladengeschäfte, Einkaufszentren und Kaufhäuser des Einzelhandels habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, 27.04.2020 - Az: 20 NE 20.793) weitere Gleichheitsverstöße aufgrund bereichsspezifischer Ausnahmen bemängelt, ohne deshalb allerdings den Vollzug auszusetzen. Daraufhin sei zwar die Regelung so gefasst worden, dass nunmehr auch größere Ladengeschäfte öffnen dürften, wenn sie ihre Verkaufsfläche auf 800 m2 begrenzten. Das sei aber als Abgrenzungskriterium ebenfalls gänzlich unhaltbar. Auch die Vorgaben des § 4 Abs. 5 3. BayIfSMV für Dienstleistungsbetriebe seien unverhältnismäßig und gleichheitswidrig.

Die Besuchsverbote (§ 5 3. BayIfSMV) schränkten die Handlungsfreiheit und das Familienleben viel zu stark und zudem gleichheitswidrig ein. Ähnliches gelte für die Hochschulen betreffende Vorschrift des § 6 3. BayIfSMV. So sei es nicht nachvollziehbar, warum nicht in größeren Seminarräumen Präsenzveranstaltungen mit geringer Teilnehmerzahl stattfinden dürften. Die in § 8 3. BayIfSMV geregelte Maskenpflicht ab dem siebten Lebensjahr im öffentlichen Personennahverkehr verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz; denn es gebe keinen sachlichen Grund, sie in den nach Maßgabe von § 6 3. BayIfSMV geöffneten Hochschulen, Bibliotheken und Archiven oder im Fernverkehr außen vor zu lassen. Zudem sei sie völlig unverhältnismäßig, weil ihr Nutzen auch aus fachlicher Sicht grundsätzlich in Zweifel zu ziehen sei und ein unsachgemäßer Gebrauch möglicherweise das Gesundheitsrisiko erhöhe. Insgesamt seien die in §§ 5 und 8 3. BayIfSMV normierten strikten Besuchsverbote und Mundschutzpflichten jedenfalls deshalb grundrechtswidrig, weil sie keine Ausnahmen zuließen.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei geboten, weil die Popularklage hinreichende Erfolgsaussichten habe und eine Folgenabwägung wegen der massiven und direkten Eingriffe unter Bußgeldbewehrung in zentrale Grundrechte mit krassen wirtschaftlichen Auswirkungen im Interesse der Allgemeinheit zu einer Außervollzugsetzung führen müsse.

2. Mit heute eingegangenem Schriftsatz beantragen sie ferner, einstweilen bis zur Entscheidung in der Hauptsache festzustellen, dass die Zweite Bayerische lnfektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 16. April 2020 und die Verordnung zur Änderung der Zweiten Bayerischen lnfektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 21. April 2020 verfassungswidrig gewesen sind.

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben keinen Erfolg.

1. Der Verfassungsgerichtshof kann auch im Popularklageverfahren eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund dringend geboten ist (Art. 26 Abs. 1 VfGHG). Wegen der weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung im Popularklageverfahren in der Regel auslöst, ist an die Voraussetzungen, unter denen sie erlassen werden kann, ein strenger Maßstab anzulegen. Aufgrund des Wesens der Popularklage dürfen konkrete Maßnahmen zugunsten einzelner von einem Rechtssatz betroffenen Personen nicht erlassen werden; vielmehr kommt auch im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nur eine Regelung infrage, die generell den Vollzug vorläufig aussetzt. Die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Vorschrift vorgetragen werden, haben im Regelfall außer Betracht zu bleiben. Nur wenn bereits offensichtlich ist, dass die Popularklage aus prozessualen oder sachlichen Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat, kommt eine einstweilige Anordnung von vornherein nicht in Betracht. Umgekehrt kann der Erlass einer einstweiligen Anordnung dann geboten sein, wenn die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Vorschrift offensichtlich ist. Ist der Ausgang des Popularklageverfahrens dagegen als offen anzusehen, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Popularklage aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Popularklage aber der Erfolg zu versagen wäre. Bei dieser Abwägung müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe so gewichtig sein, dass sie im Interesse der Allgemeinheit eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile unabweisbar machen.

2. Nach diesen Maßstäben ist eine einstweilige Anordnung nicht zu erlassen.

a) Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Außervollzugsetzung besteht nur hinsichtlich der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung in ihrer aktuell geltenden Fassung, also einschließlich der am 6. Mai 2020 in Kraft getretenen Änderungen durch § 23 Abs. 2 4. BayIfSMV sowie der am 8. Mai 2020 in Kraft getretenen Änderungen durch § 1 der Verordnung zur Änderung der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 7. Mai 2020, aber ohne die erst am 9. Mai 2020 in Kraft tretende Änderung der in § 5 geregelten Besuchsverbote durch § 23 Abs. 3 4. BayIfSMV. Die früher geltenden Fassungen und erst recht die mit Ablauf des 3. Mai 2020 außer Kraft getretene Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, gegen die sich die Antragsteller in der Hauptsache ebenfalls wenden, können nicht mehr vorläufig außer Vollzug gesetzt werden.

b) Bezogen auf die aktuell geltenden Bestimmungen kann im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens bei überschlägiger Prüfung nicht von offensichtlichen Erfolgsaussichten, aber auch nicht von einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Hauptantrags im Popularklageverfahren ausgegangen werden. Ob die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung insgesamt oder teilweise gegen die als verletzt gerügten Grundrechte oder sonstiges Verfassungsrecht verstößt, bedarf einer eingehenden Prüfung, die im Rahmen dieses Eilverfahrens nicht möglich ist.

c) Die gebotene Folgenabwägung ergibt, dass der Vollzug der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung in ihrer aktuell geltenden Fassung weder ganz noch teilweise auszusetzen ist.

d) Der Antrag, einstweilen bis zur Entscheidung in der Hauptsache festzustellen, dass die bereits außer Kraft getretene Zweite Bayerische lnfektionsschutzmaßnahmenverordnung und die Verordnung zur Änderung der Zweiten Bayerischen lnfektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 21. April 2020 verfassungswidrig gewesen sind, kann jedenfalls aus den Gründen der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 24. April 2020 - Az: 29-VII-20 - und den oben dargelegten Erwägungen keinen Erfolg haben.


VerfGH Bayern, 08.05.2020 - Az: 34-VII-20

Nachfolgend: VerfGH Bayern, 15.05.2020 - Az: 34-VII-20

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