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Keine Außervollzugsetzung von Regelungen zu Präsenz-, Wechsel- und Distanzunterricht sowie zur „Testpflicht“ an Schulen

Corona-Virus | Lesezeit: ca. 13 Minuten

Die Voraussetzungen für eine vorläufige Außervollzugsetzung der in Rede stehenden Verordnungsbestimmungen liegen nicht vor.

Bei Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Staat wegen seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit zum Handeln grundsätzlich nicht nur berechtigt, sondern auch verfassungsrechtlich verpflichtet ist. Zwar lässt sich nicht jegliche Freiheitsbeschränkung damit rechtfertigen, dass sie dem Schutz der Grundrechte Dritter diene. Vielmehr hat der Staat stets einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen der Freiheit der einen und dem Schutzbedarf der anderen zu schaffen. Für eine Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen sprechen angesichts der Gefahren, die ein ungehindertes Infektionsgeschehen für Leib und Leben der Menschen und die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems mit sich bringen kann, aber gute Gründe.

Bei überschlägiger Prüfung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Popularklage in der Hauptsache offensichtlich erfolgreich sein wird.

Ein offensichtlicher und schwerwiegender Verstoß des Verordnungsgebers gegen Bundesrecht lässt nicht feststellen.

Es spricht viel dafür, dass es sich bei der Obliegenheit einer negativen Testung auf das Coronavirus um eine Auflage im Sinn von § 28 a Abs. 1 Nr. 16 IfSG handelt. § 18 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 12. BayIfSMV enthält dem Grunde nach eine solche Nebenbestimmung, die Lehrerinnen und Lehrern sowie Schülerinnen und Schülern ein Tun, nämlich die Testung, auferlegt, um in letzter Konsequenz eine Schulschließung bei aufflammendem Infektionsgeschehen zu vermeiden.

Die aus § 18 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 12. BayIfSMV folgende Obliegenheit, einen negativen PCR- oder POC-Antigentest vorzuweisen bzw. in der Schule unter Aufsicht einen Selbsttest vorzunehmen, führt nicht zu einem Eingriff in die durch Art. 100, 101 BV geschützte körperliche Unversehrtheit, weil die Testung letztlich freiwillig ist. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV keine Testpflicht im Rechtssinn statuiert, weil die Nichtvorlage eines negativen Tests nicht erzwungen werden kann. Vielmehr handelt es sich um eine Obliegenheit, zur Teilnahme am Präsenzunterricht ein negatives Testergebnis vorzulegen.

Selbst wenn man von einer echten Testpflicht ausginge, wäre die Verpflichtung, einen Abstrich aus dem Mund-, Nasen- oder Rachenraum testen zu lassen, zwar wohl zumindest bei einem Teil der zugelassenen Testvarianten als Beeinträchtigung der körperlichen Integrität zu werten. Diese Beeinträchtigung wäre indes nur von kurzer Dauer und niedrigschwelliger Intensität und damit jedenfalls nicht offensichtlich ungerechtfertigt.

Der damit verbundene Eingriff kann nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht offenkundig als nicht geeignet, erforderlich und angemessen angesehen und damit kein offenkundiger Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip angenommen werden. Die Testung erscheint jedenfalls geeignet, zum Zweck einer Eindämmung der Dynamik des Infektionsgeschehens beizutragen. Bereits die Antragsteller selbst argumentieren nicht widerspruchsfrei, wenn sie diese Eignung einerseits in Frage stellen, andererseits aber für freiwillige Tests im geschützten Umfeld plädieren. Das Robert Koch-Institut (RKI), dem der Gesetzgeber in § 4 IfSG die Rolle einer nationalen Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen zugewiesen und eine besondere epidemiologische Expertise zugemessen hat, geht in seinem Lagebericht vom 20. April 2021 davon aus, dass, solange die Impfstoffe noch nicht in ausreichenden Mengen für alle Altersgruppen zur Verfügung stehen, Antigentests als zusätzliches Element zur frühzeitigen Erkennung der Virusausscheidung die Sicherheit erhöhen können. Das RKI stellt ferner fest, um einen möglichst kontinuierlichen Betrieb von Kitas und Schulen gewährleisten zu können, erfordere die aktuelle Situation den Einsatz aller organisatorischen und individuellen Maßnahmen zur Infektionsprävention.

Auch die Erforderlichkeit der Testobliegenheit steht nach vorläufiger Einschätzung nicht in Frage. Die vorhandenen milderen Mittel wie die „AHA + L-Regeln“ werden bereits angewendet, jedoch nicht mit durchschlagendem Erfolg. Die Argumentation der Antragsteller, die Durchführung eines Tests könne per se keine Infektion verhindern, greift zu kurz, denn die Testung ermöglicht im Fall eines positiven Ergebnisses die sofortige Absonderung der betroffenen Person zur Verhinderung von Ansteckungen. Selbst wenn die Zuverlässigkeit von Antigen-Schnelltests hinter derjenigen von PCR-Tests zurückbleibt, leisten sie aus Sicht des Verordnungsgebers, dem hierbei eine Einschätzungsprärogative zukommt, einen unverzichtbaren Beitrag im Rahmen seines Gesamtkonzepts. (Nur) durch diese Zugangsbeschränkung und die damit verbundene Möglichkeit, einen Schulbesuch infektiöser Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen, hält es der Verordnungsgeber auch angesichts des äußerst dynamischen und durch besorgniserregende Virusvarianten (VOC) geprägten Infektionsgeschehens für vertretbar, flächendeckende Schulschließungen abzuwenden und weiter Unterrichtsangebote in Präsenzform anzubieten. Diese Einschätzung zum Infektionsgeschehen ist nachvollziehbar.

Eine Gegenüberstellung verdeutlicht dies. Der Lagebericht des RKI vom 23. März 2021 berichtet über vom Vortag gemeldete 7.485 Neuinfektionen und 3.171 durch COVID-19-Patienten belegte Intensivbetten, die 7-Tage-Inzidenz betrug 108, der 7-Tage-R-Wert lag bei 1,04. Nach dem Lagebericht vom 20. April 2021 (a. a. O.) werden vom Vortag 9.609 Neuinfektionen gemeldet, 4.966 Intensivbetten sind mit COVID-19-Patienten belegt, die 7-Tage-Inzidenz liegt bundesweit bei 162, in Bayern deutlich darüber, und der 7-Tage-R-Wert um 1.

Die Antragsteller rügen ferner eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, ebenfalls geschützt durch Art. 100, 101 BV, durch die von ihnen so bezeichnete Testpflicht. Ein Eingriff ist schon deshalb zu verneinen, weil es sich, wie bereits dargelegt, tatsächlich nicht um eine Testpflicht, sondern um eine Testobliegenheit handelt. Wird die Vorlage eines negativen PCR- oder POC-Antigentests bzw. eine Selbsttestung in der Schule durch einen Schüler oder eine Schülerin verweigert, folgt daraus nicht ein Unterrichtsausschluss generell, sondern lediglich ein Ausschluss vom Präsenzunterricht.

Im Übrigen wäre auch bezüglich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Rechts der Schülerinnen und Schüler auf informationelle Selbstbestimmung nicht offenkundig von einem unverhältnismäßigen Eingriff auszugehen.

Ein offensichtlicher Verstoß der Testobliegenheit gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 118 Abs. 1 BV) ist nicht festzustellen. Weder ist eine Gleichheitswidrigkeit darin zu erblicken, dass § 18 Abs. 4 Satz 7 12. BayIfSMV es Lehrern und Lehrerinnen ermöglicht, sich zu Hause ohne Aufsicht selbst zu testen, noch verletzt es den Gleichheitsgrundsatz, dass der Verordnungsgeber für Arbeitsstätten nicht ebenfalls eine Testobliegenheit eingeführt hat. In beiden Fällen gibt es sachliche Differenzierungsgründe. Lehrerinnen und Lehrer sowie das Schulverwaltungspersonal sind ein kleinerer und überschaubarerer Personenkreis als Schülerinnen und Schüler. Dass der Verordnungsgeber bei diesem Personenkreis, der zu einem großen Teil beamtenrechtlichen Verpflichtungen unterliegt, bei pauschalierender Betrachtung im Rahmen seines Einschätzungsspielraums eine höhere Verlässlichkeit annimmt, begründet keinen Verstoß gegen das Willkürverbot. Arbeitsstätten sind wegen des regelmäßig höheren Bewegungs und Nähebedürfnisses von Kindern und Jugendlichen mit Schulen nicht vergleichbar. Im Übrigen wurde durch § 1 der Verordnung vom 16. April 2021 (BayMBl Nr. 280) in § 25 12. BayIfSMV mit Wirkung vom 17. April 2021 ein Absatz 2 angefügt, demzufolge in Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen eine 7-Tage-Inzidenz von 200 überschritten wird, die zuständige Kreisverwaltungsbehörde durch Allgemeinverfügung anordnen kann, dass Beschäftigte bestimmter Betriebe und Einrichtungen nur dann in Präsenz am Arbeitsplatz eingesetzt werden dürfen, wenn sie zu Beginn des Arbeitstages über den Nachweis eines vor höchstens 24 Stunden vorgenommenen POC-Antigentests oder Selbsttests oder eines vor höchstens 48 Stunden vorgenommenen PCR-Tests in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 mit negativem Ergebnis verfügen.

Auch im Übrigen ist ein Verfassungsverstoß durch § 18 Abs. 1 Satz 3 12. BayIfSMV nicht offensichtlich festzustellen.

Bei der demnach gebotenen Folgenabwägung überwiegen die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe.

Selbst wenn man den Beitrag der angeordneten Maßnahmen als nicht sehr hoch einschätzen würde, überwiegen angesichts der Bedeutung von Leben und Gesundheit der Gefährdeten und der aktuellen Dynamik des Infektionsgeschehens die Gründe gegen das Außerkraftsetzen der angegriffenen Regelungen.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung bezogen auf den Hilfsantrag der Außervollzugsetzung von § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV ist ebenfalls unbegründet. Soweit § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV auch im Rahmen von § 18 Abs. 1 Sätze 1 und 2 die Teilnahme am Präsenzunterricht vom Vorliegen eines aktuellen negativen PCR- oder POC-Antigentests abhängig macht, gelten die Ausführungen unter a) aa) (5) und a) bb) entsprechend.


VerfGH Bayern, 21.04.2021 - Az: 26-VII-21

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