Die Antragstellerinnen wenden sich mit ihrer Popularklage u. a. gegen die Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) vom 15. Dezember 2020 (BayMBl Nr. 737, BayRS 2126-1-15-G), die zuletzt durch Verordnung vom 20. Januar 2021 (BayMBl Nr. 54) geändert worden ist.
1. In diesem Zusammenhang beantragen sie mit Schriftsatz vom 11. Januar 2021, die Verordnung zur Änderung der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 8. Januar 2021 (BayMBl Nr. 5, BayRS 2126-1-15-G) im Weg einer einstweiligen Anordnung außer Vollzug zu setzen.
2. Mit weiterem Schriftsatz vom 22. Januar 2021 beantragen die Antragstellerinnen ferner, die Verordnung zur Änderung der Elften Bayerischen Infektionsschutz-maßnahmenverordnung vom 20. Januar 2021 (BayMBl Nr. 54, BayRS 2126-1-15-G) im Weg einer einstweiligen Anordnung außer Vollzug zu setzen. Auch diese vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege erlassene Rechtsverordnung ist auf § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1, §§ 28 a, 29, 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG gestützt. Sie ist am 21. Januar 2021 in Kraft getreten.
Ihren gegen die Änderungsverordnung vom 8. Januar 2021 gerichteten Antrag begründen die Antragstellerinnen wie folgt:
Sie machen geltend, die in § 1 Nr. 1 der Änderungsverordnung getroffene Neuregelung des § 4 Abs. 1 11. BayIfSMV (Kontaktbeschränkung) verletze die Grundrechte auf Freiheit der Person (Art. 102 BV), Freizügigkeit (Art. 109 Abs. 1 BV), Schutz der Familie (Art. 124 Abs. 1 BV) und allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV). Es sei danach untersagt, mehr als eine weitere, dem eigenen Hausstand nicht angehörende Person in der Öffentlichkeit oder im privaten Bereich zu treffen. Ein gleichzeitiger Kontakt der Antragstellerinnen mit ihren Eltern und Geschwistern werde dadurch unmöglich gemacht.
Die in § 1 Nr. 5 Buchst. c der Änderungsverordnung getroffene Neuregelung des § 12 Abs. 1 Satz 6 11. BayIfSG (Abholung vorbestellter Waren) verletze Art. 101 BV (Berufsfreiheit und allgemeine Handlungsfreiheit) und Art. 151 Abs. 2 BV (Freiheit zur Betätigung in der Wirtschaft), weil die Gewerbetreibenden durch die Verpflichtung zur Entwicklung von Hygienekonzepten und die Kunden durch die Verpflichtung zum Tragen von FFP2-Masken belastet würden. Da FFP2-Masken derzeit nicht ohne Weiteres zu erwerben seien, drohe für die Gewerbetreibenden ein weiterer Geschäftsrückgang.
Die in § 1 Nr. 8 der Änderungsverordnung getroffene Neuregelung des § 25 11. BayIfSG (Regelungen bei erhöhter Sieben-Tage-Inzidenz: Beschränkung touristischer Tagesausflüge, weitere Anordnungen der Kreisverwaltungsbehörden) beeinträchtigten die Betroffenen in ihren Grundrechten auf persönliche Freiheit, Freizügigkeit und allgemeine Handlungsfreiheit, da ihr Bewegungsradius auf einen Umkreis von 15 km um ihre Wohnortgemeinde eingeschränkt werde.
Die angegriffenen Bestimmungen verstießen schon deshalb gegen die Verfassung, weil in dem hier berührten grundrechtsrelevanten Bereich alle wesentlichen
Entscheidungen durch den Gesetzgeber selbst mittels parlamentarischen Gesetzes zu treffen seien. Dies gelte insbesondere mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 102 BV. Davon unabhängig stelle § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1, §§ 28 a, 29, 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die angegriffenen Vorschriften dar. § 28 a IfSG genüge seinerseits nicht den Vorgaben des Grundgesetzes und sei verfassungswidrig. Außerdem seien die Voraussetzungen für den Erlass einer Rechtsverordnung auf der Grundlage der §§ 28 ff. IfSG nicht erfüllt. Rechtsverordnungen auf der Grundlage der §§ 28 ff. IfSG könnten nicht gegen Nichtstörer gerichtet werden. Zudem halte die angegriffene Änderungsverordnung die in § 28 a Abs. 5 Satz 2 IfSG vorgesehene Befristung auf vier Wochen nicht ein.
Die angegriffene Neuregelung des § 25 11. BayIfSMV verstoße gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot. Es sei nicht ersichtlich, was der Normgeber unter „touristischen Tagesausflügen“ im Sinn des § 25 Abs. 1 11. BayIfSMV verstehe. Aus dem Verordnungstext ergebe sich nicht, ob das Verbot, den Umkreis von 15 km um die Wohnortortgemeinde zu verlassen, auch hinsichtlich der Ausübung von Sport und Bewegung an der frischen Luft gelte. Die Bemessung des 15 km-Umkreises sei nicht eindeutig geregelt, vor allem erschließe sich nicht, ob die Berechnung der Entfernung ab der Gemeindegrenze oder ab der jeweiligen Wohnung zu erfolgen habe. Unbestimmt sei außerdem der Begriff der „ortsüblichen Bekanntmachung“ in § 25 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV. Der Normadressat könne ferner nicht ersehen, wann ein „deutlich erhöhter Inzidenzwert“ im Sinn des § 25 Abs. 2 11. BayIfSMV vorliege und welche „weitergehenden Anordnungen“ die Kreisverwaltungen in diesem Fall zu treffen hätten. Eine derartige Blankoermächtigung an die Verwaltungsbehörden sei verfassungswidrig.
Die angegriffenen Vorschriften verstießen gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Insbesondere die Verpflichtung zum Tragen von Schutzmasken und zur Einhaltung der Abstandsregelungen stellten mildere Mittel dar. Durch Schutzimpfungen und die kostenlose Versorgung der Bürger mit FFP2-Masken könne den Infektionsrisiken ebenso wirksam begegnet werden. Insgesamt sei vorrangig für einen gezielten Schutz der Risikogruppen, hauptsächlich in Alten- und Pflegeheimen, zu sorgen. Mehreren Verlautbarungen der Weltgesundheitsorganisation sei zu entnehmen, dass diese Lockdowns nicht als primäres Mittel zur Bekämpfung des Infektionsgeschehens ansehe. Die beanstandeten Grundrechtseingriffe ließen sich nicht unter Hinweis auf die gestiegenen Inzidenzzahlen und das Ziel, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, rechtfertigen. Ein positiver PCR-Test könne nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mit einer Corona-Infektion gleichgesetzt werden. Zudem seien PCR-Tests äußerst fehleranfällig. Bei einer Fehlerquote der Tests von 0,1 % könne eine Inzidenz von unter 100 SARS-CoV-2 Fällen pro 100.000 Einwohner nie erreicht werden. Nach den von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) gemeldeten Zahlen zur durchschnittlichen Auslastung der Intensivstationen in Deutschland drohe keine Überlastung des Gesundheitssystems. Statistisch lasse sich für das Jahr 2020 keine Übersterblichkeit wegen SARS-CoV-2 nachweisen. Letztlich sei Corona nicht gefährlicher als Grippe. Vor diesem Hintergrund komme den durch die beanstandeten Vorschriften hervorgerufenen Grundrechtsbeeinträchtigungen höheres Gewicht zu als den vom Normgeber zur Rechtfertigung herangezogenen Gefahren für Leib und Leben der Bevölkerung. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass Ausgangsbeschränkungen selbst mit der Gefahr psychischer Folgeerkrankungen, des Anstiegs von Suiziden und der Zunahme häuslicher Gewalt verbunden seien.
Die Antragstellerinnen sind der Auffassung, der Verfassungsgerichtshof dürfe sich im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht mit der summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache begnügen, sondern müsse eine darüber hinausgehende inhaltliche Überprüfung vornehmen.
Gegen die Änderungsverordnung vom 20. Januar 2021 bringen die Antragstellerinnen im Wesentlichen vor, zum Stichtag 19. Januar 2021 habe sich die tatsächliche Ausgangslage hinsichtlich des Infektionsgeschehens erheblich geändert. Die Werte der 7-Tages-Inzidenz und die Sterbezahlen seien zurückgegangen. Eine Überlastung des Gesundheitssystems drohe nicht mehr, nachdem die Zahl der freien Intensivbehandlungsplätze zugenommen habe. Zudem habe die Staatsregierung mit der Errichtung einer Task Force zum Schutz von Senioren in Alten- und Pflegeheimen eine neue Maßnahme eingeleitet, die zu einer weiteren Abnahme der tödlichen Krankheitsverläufe führen werde. Außerdem seien in die Gefahrenprognose nunmehr auch die angelaufenen Impfungen mit einzubeziehen.
Hierzu führte das Gericht aus:
1. Soweit sich der Antrag vom 11. Januar 2021 gegen § 1 Nr. 8 der Änderungsverordnung vom 8. Januar 2021 richtet, ist er teilweise unzulässig. Dort wurde § 25 11. BayIfSMV neu gefasst. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 26. Januar 2021 (Az. 20 NE 21.162) § 25 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 11. BayIfSMV außer Vollzug gesetzt. Zudem hat der Normgeber mit Verordnung vom 28. Januar 2021 (BayMBl Nr. 75) § 25 Abs. 1 11. BayIfSMV mit Wirkung vom 29. Januar 2021 neu gefasst; die Regelungen der bisherigen Sätze 1 bis 3 sind entfallen. Damit besteht insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für eine etwaige vorläufige Außervollzugsetzung im Eilverfahren durch den Verfassungsgerichtshof.
Ob der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 11. Januar 2021 im Übrigen zulässig ist, kann dahinstehen, da er jedenfalls unbegründet ist.
2. Der Eilantrag vom 22. Januar 2021 ist insgesamt unzulässig.
Zum Weiterlesen bitte anmelden oder kostenlos und unverbindlich registrieren.