Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung einer 5-Punkt-Fixierung der Beschwerdeführerin zu 1. während ihrer vorübergehenden zivilrechtlichen
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Der Beschwerdeführer zu 2. ist der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin zu 1.
Soweit sich die Beschwerdeführer auch gegen die einstweilige Anordnung der vorläufigen Unterbringung und die Bestellung einer
Verfahrenspflegerin wenden, ist dieses Begehren Gegenstand des abgetrennten Verfassungsbeschwerdeverfahrens 2 BvR 1115/23.
I.
1. Die zu diesem Zeitpunkt 18-jährige Beschwerdeführerin zu 1. begab sich am 12. August 2020 wegen selbst beigebrachter Schnittverletzungen zur Behandlung in eine Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie (im Folgenden: Fachklinik), wo sie auf der geschlossenen Station aufgenommen wurde.
2. Am 14. August 2020 gegen 5:30 Uhr drang die Beschwerdeführerin zu 1. in den „Stützpunkt“ der Fachklinik ein und lief in Richtung eines Fensters, konnte aber noch von Mitarbeitern aufgehalten werden. Gegen 7:00 Uhr wurde sie dabei angetroffen, als sie ihren Kopf gegen eine Tür schlug. Zudem hatte sie sich in die Hände gebissen. Daraufhin wurde sie zunächst auf freiwilliger Basis 5-Punkt-fixiert, das heißt an allen Extremitäten und um den Bauch an ein Krankenbett gefesselt. Als sie mit der Fixierung nicht mehr einverstanden war, beantragte die Fachklinik mit Schreiben vom 14. August 2020 beim Amtsgericht als Betreuungsgericht - soweit hier verfahrensgegenständlich - die Genehmigung einer 5-Punkt-Fixierung. Das Schreiben beinhaltete ein ärztliches Zeugnis der Oberärztin, einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, in dem diese eine psychische Erkrankung der Beschwerdeführerin zu 1. in Gestalt einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung mit ausgeprägter Impulsivität und Suizidalität diagnostizierte. Zur Begründung der beantragten Fixierung führte die Ärztin unter anderem aus, diese sei erforderlich, um Verletzungen der Beschwerdeführerin zu 1. durch unkontrollierte Bewegungen, Stürze und fremdgefährdende Handlungen zu verhindern.
3. Infolge des Antrags der Fachklinik leitete das
Betreuungsgericht ein Verfahren zur Prüfung der Notwendigkeit einer Betreuung und einer vorläufigen Unterbringung sowie freiheitsbeschränkender Maßnahmen durch Fixierung ein. Noch am 14. August 2020 gegen 13:00 Uhr hörte das Gericht die zu diesem Zeitpunkt fixierte Beschwerdeführerin zu 1. in Anwesenheit einer hinzugezogenen, zu diesem Zeitpunkt noch nicht förmlich bestellten Verfahrenspflegerin und der Oberärztin persönlich an. Dabei stellte es alte und neue Schnittwunden an den Armen sowie Narben im vorderen Bereich der Oberschenkel fest. Während der Anhörung sei die Beschwerdeführerin zu 1. aggressiv und impulsiv gewesen und habe versucht, sich aus der Fixierung zu lösen.
4. Mit angegriffenem Beschluss vom 14. August 2020 ordnete das Amtsgericht einstweilen die vorläufige Unterbringung der Beschwerdeführerin zu 1. in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens zum 24. September 2020 an. Ferner wurde die 5-Punkt-Fixierung der Beschwerdeführerin zu 1. nach Weisung des behandelnden Arztes bis längstens zum 27. August 2020 angeordnet, wobei sich dieser vor und während der Maßnahme von deren Unbedenklichkeit überzeugen müsse, durch eine Eins-zu-eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal die Sicherheit der Betroffenen gewährleistet sein müsse, sich die Beschränkung immer nur auf das erforderliche Maß erstrecken dürfe und eine schriftliche Aufzeichnung der maßgeblichen Gründe der Maßnahme, ihrer Durchsetzung, Dauer sowie der Art der Überwachung zu erstellen sei. Soweit die Freiheitsentziehung nicht mehr erforderlich sei, sei sie zu beenden. Schließlich bestellte das Amtsgericht eine Rechtsanwältin zur Verfahrenspflegerin. Zur Begründung führte das Gericht - soweit hier verfahrensgegenständlich - im Wesentlichen aus, nach dem ärztlichen Zeugnis vom selben Tag bestehe die Gefahr, dass sich die Beschwerdeführerin zu 1. töte oder erheblichen Schaden zufüge. Zur Abwendung einer gegenwärtigen erheblichen Selbstgefährdung der Betroffenen sei eine 5-Punkt-Fixierung erforderlich.
5. Gegen diesen Beschluss erhoben am 16. August 2020 die Beschwerdeführerin zu 1. sowie der Beschwerdeführer zu 2. als von ihr benannte Vertrauensperson auch im eigenen Namen Beschwerde.
6. Mit Beschluss vom 17. August 2020, berichtigt mit Beschluss vom 19. August 2020, hob das Amtsgericht entsprechend einem Antrag der Fachklinik vom selben Tag den Beschluss vom 14. August 2020 auf. Der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin zu 1. rechtfertige die freiheitsentziehenden Maßnahmen nach dem aktuellen ärztlichen Zeugnis vom 17. August 2020 nicht mehr. Die Beschwerdeführerin wurde infolgedessen noch am selben Tag aus der Fachklinik entlassen. Daraufhin erklärten die Beschwerdeführer die Rechtsbehelfe vom 16. August 2020 für erledigt und beantragten nunmehr die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 14. August 2020.
7. Mit Stellungnahme vom 19. August 2020 führte die Verfahrenspflegerin aus, der Beschluss vom 14. August 2020 sei aus ihrer Sicht rechtmäßig ergangen. Die 5-Punkt-Fixierung sei nach dem tatsächlichen Eindruck, den sie bei der Anhörung gewonnen habe, geboten gewesen.
8. Im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens beantragte der Beschwerdeführer zu 2. wiederholt, zuletzt mit Schreiben vom 30. September 2022, Fristverlängerungen, um die Beschwerde weiter begründen zu können. Das Amtsgericht gewährte die beantragten Fristverlängerungen, bis es mit Verfügung vom 6. Oktober 2022 darauf hinwies, dass ausreichend Zeit gewesen sei, ergänzend zur Beschwerde vorzutragen, und eine weitere Fristverlängerung nicht gewährt werde. Mit Beschluss vom 6. Oktober 2022 half es der Beschwerde nicht ab.
9. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2022 trugen die Beschwerdeführer zur Beschwerdebegründung unter anderem vor, das Betreuungsgericht habe es versäumt, einen vorläufigen Betreuer zu bestellen. Es sei möglich und geboten gewesen sei, die Eltern der Beschwerdeführerin zu 1. oder den Beschwerdeführer zu 2. zu kontaktieren und zum (vorläufigen) Betreuer zu bestellen. Daraus ergebe sich ohne Weiteres die Unzulässigkeit der Fixierung. Ferner hätte die Genehmigung zur Fixierung mangels Vorliegens der Voraussetzungen von § 1906 Abs. 1 BGB a.F. nicht erteilt werden dürfen, weil die Beschwerdeführerin zu 1. keine Suizidabsicht gehabt habe. Sie leide unter einer Parasuizidalität, das heißt sie verspüre einen inneren Druck, sich zu verletzen, und hege teilweise auch Suizidgedanken, intendiere aber niemals final eine Selbsttötung. Das ärztliche Zeugnis sei unzureichend und fehlerhaft, weil es sich in völlig unsubstantiierten, apodiktisch-phrasenhaften Obersätzen erschöpfe. Es unterscheide auch nicht zwischen Suizidalität und Parasuizidalität. Zur weiteren Begründung legten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme der die Beschwerdeführerin zu 1. ambulant behandelnden Psychotherapeutin vom 22. Oktober 2020 vor, wonach die in Rede stehende Fixierung zu einer erheblichen psychischen Belastung und Retraumatisierung der Beschwerdeführerin zu 1. geführt habe. Sie, die Psychotherapeutin, habe in mehreren Telefonaten mit Pflegern und Ärzten der Fachklinik während des geschlossenen Aufenthalts im August 2020 erklärt, dass sie eine Fixierung „über mehrere Stunden und Tage und Nächte“ als kontraindiziert ansehe.
10. Hierzu gaben die Verfahrenspflegerin, die Fachklinik und die dortige Oberärztin weitere Stellungnahmen ab. Letztere führte insbesondere aus, die Beschwerdeführerin zu 1. habe bei der Aufnahme von rezidivierenden Suizidgedanken, Ängsten vor sich selbst und davon, dass sie sich nicht mehr unter Kontrolle habe, berichtet. Sie habe außerdem gesagt, eine Nahtoderfahrung machen zu wollen, um das Leben wieder schätzen zu können. In Anbetracht der hohen Ausprägung einer akuten Selbstgefährdung sei eine lange Kenntnis der Beschwerdeführerin zu 1. nicht nötig gewesen, um die Gefahrenlage zu erkennen. Bei deren Erkrankung könne es immer wieder zu krisenhaften Zuspitzungen der Selbstschädigung kommen, die recht schnell wieder abklingen könnten.
11. Mit angegriffenem Beschluss vom 22. Mai 2023 wies das Landgericht die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 14. August 2020 zurück.
Die Genehmigung der 5-Punkt-Fixierung sei rechtmäßig ergangen. Zum Zeitpunkt der Anordnung habe die Gefahr bestanden, dass sich die Beschwerdeführerin zu 1. aufgrund ihrer psychischen Erkrankung selbst töte oder zumindest erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB a.F.). Dies ergebe sich aus den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen der behandelnden Oberärztin, den Feststellungen der Betreuungsrichterin in der Anhörung vom 14. August 2020 und den Ausführungen der Verfahrenspflegerin. Auch die Voraussetzungen für eine 5-Punkt-Fixierung nach § 1906 Abs. 4 BGB a.F. hätten vorgelegen. Insbesondere habe das Betreuungsgericht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet.
Das Verfahren nach
§ 331 FamFG sei ebenfalls eingehalten worden. Zwar habe für die Beschwerdeführerin zu 1. zum Zeitpunkt der Anordnung der Fixierung noch keine Betreuung bestanden. Aufgrund des vorliegenden Einzelfalls habe das Betreuungsgericht jedoch vorläufige Unterbringungsmaßnahmen anordnen dürfen. Das Gericht habe unverzüglich, nämlich noch am 14. August 2020, ein Betreuungsverfahren eingeleitet. Auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens sei nicht erforderlich gewesen. Gemäß § 331 Satz 1 Nr. 2 FamFG sei das Zeugnis einer Ärztin mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie ausreichend gewesen. Die Einholung weiterer Unterlagen und Atteste aus früheren Behandlungen sei wegen der erheblichen Eilbedürftigkeit nicht geboten gewesen. Zudem habe sich die Beschwerdeführerin zu 1. bereits seit dem 12. August 2020 in der Fachklinik befunden, sodass ihr Zustand und ihr Verhalten medizinisch ausreichend hätten beurteilt werden können.
12. Die gegen diesen Beschluss erhobene Anhörungsrüge wies das Landgericht mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 26. Juni 2023 zurück.
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