Auf die Beschwerde des Betroffenen vom 18.08.2022 in Gestalt des Antrags vom 08.09.2022 wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg in Holstein vom 09.08.2022 über die Anordnung der Fünf-Punkt-Fixierung den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Hierzu führte das Gericht aus:
Nach
§ 331 S. 1 FamFG kann das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme anordnen, wenn
- dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Genehmigung oder Anordnung einer Unterbringungsmaßnahme gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht (Nr. 1),
- ein ärztliches Zeugnis über den Zustand des Betroffenen und über die Notwendigkeit der Maßnahme vorliegt; der Arzt, der das ärztliche Zeugnis ausstellt, soll Arzt für Psychiatrie sein; er muss Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie haben (Nr. 2),
- im Fall des
§ 317 FamFG ein
Verfahrenspfleger bestellt und angehört worden ist (Nr. 3) und
- der Betroffene persönlich angehört worden ist (Nr. 4).
§ 30 MVollzG mit der Überschrift „Besondere Sicherungsmaßnahmen“ lautet:
„(1) Bei einem untergebrachten Menschen dürfen zeitweise besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn und solange die Gefahr besteht, dass der untergebrachte Mensch gegen Personen gewalttätig wird oder sich selbst tötet oder erheblich verletzt. Für besondere Sicherungsmaßnahmen gilt § 29 nach Maßgabe dieses Paragraphen.
(2) Eine besondere Sicherungsmaßnahme darf nur angeordnet werden, wenn und soweit mildere Mittel nicht in Betracht kommen, insbesondere, weil Maßnahmen nach § 29 in der konkreten Situation aussichtslos erscheinen oder bereits erfolglos geblieben sind und ein durch die Maßnahme zu erwartender Schaden nicht erkennbar außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg steht.
(3) Besondere Sicherungsmaßnahmen sind:
1. die Unterbringung in einem besonderen Raum ohne gefährdende Gegenstände (Kriseninterventionsraum) oder
2. die sedierende Medikation oder
3. die Fixierung durch mechanische Hilfsmittel einschließlich der medizinisch erforderlichen Medikation (Fixierungsmaßnahme). Nicht umfasst ist die Fixierung an weniger als zwei Gliedern (sogenannte 1-Punkt-Fixierung) zur Sicherstellung einer laufenden somatischen Behandlung.
(4) Der von einer besonderen Sicherungsmaßnahme betroffene Mensch ist in besonderem Maße zu überwachen und betreuen. Nach Beendigung der Maßnahme ist ihm die Möglichkeit einer Nachbesprechung im Hinblick auf eine therapeutische Aufarbeitung einzuräumen.
(5) Eine nicht nur kurzfristige oder sich regelmäßig wiederholende Fixierungsmaßnahme bedarf einer Anordnung des Gerichts auf schriftlichen Antrag der Einrichtung. Dem Antrag ist eine ärztliche Stellungnahme hinzuzufügen.
(6) Bei Gefahr im Verzug darf eine Fixierungsmaßnahme von einer Ärztin oder einem Arzt aufgrund eigener Untersuchung angeordnet werden. Ein Antrag auf richterliche Entscheidung ist unverzüglich nach Beginn der Maßnahme zu stellen. Die Beendigung der Maßnahme ist dem Gericht mitzuteilen. Der untergebrachte Mensch ist nach Beendigung einer Fixierungsmaßnahme, die nicht richterlich angeordnet oder genehmigt wurde, auf die Möglichkeit eines Antrags auf gerichtliche Überprüfung der durchgeführten Maßnahme hinzuweisen.
(7) Bei Fixierungsmaßnahmen ist kontinuierlich eine Betreuung durch unmittelbaren Sicht- und Sprechkontakt durch hinreichend geschultes Einrichtungspersonal sicherzustellen. Auf eine unmittelbare räumliche Anwesenheit kann auf Wunsch des betroffenen Menschen oder in medizinisch begründeten Ausnahmefällen verzichtet werden; ein ständiger Sicht- und Sprechkontakt außerhalb des Fixierungsraumes zum fixierten Menschen ist aufrecht zu erhalten. Fixierungs- und Isolierungsmaßnahmen müssen in gesonderten Räumen so durchgeführt werden, dass die Privatsphäre des betroffenen Menschen soweit wie möglich gewahrt wird.
(8) Die Anordnung und Durchführung besonderer Sicherungsmaßnahmen sind zu dokumentieren; es ist mindestens aufzuzeichnen:
1. die Ankündigung und Begründung gegenüber dem untergebrachten Menschen oder ihr Unterbleiben,
2. die Gründe für die Anordnung einschließlich der vergeblich ergriffenen milderen Mittel,
3. die gerichtliche Anordnungsentscheidung, sofern erforderlich,
4. die Art und der Beginn der Maßnahme,
5. die Art der Betreuung,
6. eine etwaige Verlängerung oder das Ende der Maßnahme,
7. die Nachbesprechung und
8. der Hinweis auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Maßnahme.
Die Aufzeichnung ist zu den Krankenakten zu nehmen und von einer Ärztin oder einem Arzt zu verantworten. Die Aufzeichnung ist anonymisiert zu einer jährlichen Dokumentation zusammenzufassen und an das zuständige Ministerium zu übermitteln. Das zuständige Ministerium berichtet einmal in der Legislaturperiode schriftlich an den Sozialausschuss des Landtages.
(9) Von der Anordnung einer besonderen Sicherungsmaßnahme ist die gesetzliche Vertretung des untergebrachten Menschen unverzüglich zu benachrichtigen.“
Die Fünf-Punkt-Fixierung des Betroffenen hätte am 09.08.2022 gegen 15.55 Uhr nicht gerichtlich angeordnet werden dürfen. Denn zu diesem Zeitpunkt hat als milderes Mittel die Unterbringung in einem besonderen Raum ohne gefährdende Gegenstände (Kriseninterventionsraum) zur Verfügung gestanden. Diese Maßnahme des § 30 Abs. 3 Nr. 1 MVollzG SH ist in der konkreten Situation nicht aussichtslos erschienen und ist auch nicht schon erfolglos geblieben.
Die Unterbringung in einem besonderen Raum ohne gefährdende Gegenstände ist eine besondere Form der Krisenintervention und erfolgt in einem speziellen Raum für akute Krisenfälle, welcher entweder leer oder reizarm nur mit wenigen Gegenständen (Matratze, Schaumgummi-Möbel, Toilette) ausgestattet ist, die weder für eine Selbstverletzung noch für eine Fremdgefährdung genutzt werden können. Die Fixierungsmaßnahme ist dagegen die intensivste Form der Freiheitsentziehung.
Die auf der Verletzung materiellen Rechts beruhende Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Amtsgerichts begründet eine Verletzung der Rechte des Betroffenen, namentlich des Grundrechts auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 in Verbindung mit Art. 104 GG).