Rechtsfragen? Lösen unsere Rechtsanwälte für Sie.Bewertung: - bereits 390.325 Anfragen

Grundsicherung: Welches Sozialamt ist zuständig?

Betreuungsrecht | Lesezeit: ca. 13 Minuten

Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist eine wesentliche Sozialleistung, die den Lebensunterhalt für Personen sichern soll, die aufgrund ihres Alters oder einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung nicht mehr am Erwerbsleben teilnehmen können und deren Einkommen und Vermögen zur Deckung des Grundbedarfs nicht ausreichen.

Die gesetzlichen Regelungen hierzu finden sich im Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII). Während die materiellen Anspruchsvoraussetzungen oft im Mittelpunkt der Diskussion stehen, bereitet in der Praxis eine vorgelagerte Frage nicht selten erhebliche Schwierigkeiten: Welcher Sozialhilfeträger ist für die Gewährung der Leistungen überhaupt zuständig? Die korrekte Bestimmung der Zuständigkeit ist entscheidend, da ein Antrag bei einer unzuständigen Stelle zu Verzögerungen führen kann. Insbesondere durch die Reformen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) haben sich hierbei wichtige Änderungen ergeben, die für Leistungsberechtigte von großer Bedeutung sind.

Zuständigkeit des örtlichen Sozialamtes

Grundsätzlich gilt, dass existenzsichernde Leistungen wie die Grundsicherung beim örtlichen Sozialamt beantragt werden müssen. Als örtliche Träger der Sozialhilfe fungieren im Regelfall die Landkreise und die kreisfreien Städte. In einigen Bundesländern kann diese Aufgabe jedoch auch auf die kreisangehörigen Städte und Gemeinden übertragen worden sein, sodass das zuständige Amt bei der jeweiligen Stadt- oder Gemeindeverwaltung angesiedelt ist.

Maßgebliches Kriterium für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ist der sogenannte „gewöhnliche Aufenthalt“ der antragstellenden Person. Das Gesetz versteht unter dem gewöhnlichen Aufenthalt den Ort, an dem sich jemand nicht nur vorübergehend, sondern unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet seinen Lebensmittelpunkt hat. Es kommt also nicht auf eine lange Wohndauer an, sondern darauf, dass der Aufenthalt von einer gewissen Dauerhaftigkeit geprägt ist. Voraussetzung für einen Anspruch ist in jedem Fall, dass der gewöhnliche Aufenthalt im Inland liegt.

Antragstellung – Was passiert bei der falschen Behörde?

Die Gewährung von Grundsicherungsleistungen setzt zwingend einen Antrag voraus. Es ist wichtig, diesen rechtzeitig zu stellen, da die Leistungen frühestens ab dem Zeitpunkt der Antragstellung gewährt werden. Eine rückwirkende Zahlung für Zeiträume vor der Antragstellung ist ausgeschlossen. Doch was geschieht, wenn der Antrag aus Unkenntnis bei einem örtlich unzuständigen Sozialamt oder einer gänzlich anderen Behörde eingereicht wird?

Hier greift eine bürgerfreundliche Regelung des Sozialrechts. Nach § 16 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) ist jeder Sozialleistungsträger verpflichtet, einen gestellten Antrag entgegenzunehmen, auch wenn er für die begehrte Leistung nicht zuständig ist. Er muss den Antrag dann unverzüglich an den zuständigen Träger weiterleiten. Diese Regelung stellt sicher, dass dem Antragsteller keine Nachteile aus der Unkenntnis über die komplexen Zuständigkeitsregeln erwachsen. Die Frist zur Antragstellung gilt mit dem Eingang bei der unzuständigen Stelle als gewahrt.

Eine besondere Rolle nehmen in diesem Zusammenhang auch die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung ein. Obwohl sie selbst für die Bewilligung und Zahlung der Grundsicherung nicht zuständig sind, trifft sie eine gesetzliche Informations- und Mitwirkungspflicht. Sie sind gehalten, ihre Versicherten über die Leistungsvoraussetzungen zu informieren, Anträge entgegenzunehmen und diese an das zuständige Sozialamt weiterzuleiten. Bezieher kleiner Renten erhalten daher oft bereits zusammen mit ihrem Rentenbescheid ein entsprechendes Antragsformular für die Grundsicherung.

Besonderheiten durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG)

Mit dem Inkrafttreten der letzten Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes zum 1. Januar 2020 kam es zu einer grundlegenden Systemumstellung, die auch die Zuständigkeitsregeln im Bereich der Grundsicherung maßgeblich beeinflusst hat. Eine zentrale Änderung ist die Trennung von existenzsichernden Leistungen (Grundsicherung nach dem SGB XII) und den sogenannten Fachleistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Für die örtliche Zuständigkeit bei gleichzeitigem Bezug von Grundsicherung und Leistungen der Eingliederungshilfe ist seither die Vorschrift des § 98 Abs. 6 SGB XII maßgeblich. Nach dieser Regelung folgt die Zuständigkeit für die existenzsichernden Leistungen der Zuständigkeit für die Fachleistungen der Eingliederungshilfe. Allerdings enthält diese Vorschrift einen entscheidenden Vorbehalt: Sie gilt nur, soweit das jeweilige Landesrecht keine abweichende Regelung trifft. Die Ausführungsgesetze der Bundesländer zum BTHG enthalten häufig spezielle Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit für existenzsichernde Leistungen. Diese landesrechtlichen Regelungen gehen der bundesgesetzlichen Norm vor und sind daher vorrangig zu prüfen.

Zuständigkeit bei Heim- und Wohneinrichtungen

Besonders herausfordernd gestaltet sich die Bestimmung der Zuständigkeit, wenn leistungsberechtigte Personen in stationären Einrichtungen, Wohngruppen oder im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens leben. Hier hat der Gesetzgeber spezielle Regelungen getroffen, um eine klare Zuordnung zu gewährleisten.

Wird Sozialhilfe an Personen in einer stationären Einrichtung geleistet, ist in aller Regel der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die leistungsberechtigte Person vor der Aufnahme in die Einrichtung zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Diese Zuständigkeit bleibt auch dann bestehen, wenn die Unterbringung in einer Einrichtung außerhalb des bisherigen Wohnortes erfolgt. Entsteht die Sozialhilfebedürftigkeit erst durch den Umzug in eine solche Einrichtung, so sind diese Regelungen entsprechend auf die erste Einrichtung anzuwenden, in die die Person aufgenommen wurde.

Für Personen, die in einer Wohngruppe untergebracht sind oder Hilfen im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens beziehen, gilt ein ähnlicher Grundsatz. Hier ist der Träger der Sozialhilfe zuständig, der bereits vor dem Beginn dieser Leistungen für die Person örtlich zuständig war oder gewesen wäre. Das Bundessozialgericht hat in einer Entscheidung klargestellt, dass ein Wechsel aus einer stationären in eine ambulante Betreuungsform die einmal begründete Zuständigkeit des ursprünglichen Sozialhilfeträgers nicht aufhebt. Diese bleibt auch für eventuelle zukünftige stationäre Unterbringungen bestehen, sogenannte „gemischte Einrichtungsketten“ wurden vom Gericht verneint (BSG, 05.07.2018 - Az: B 8 SO 32/16 R).

Was passiert, wenn der Aufenthaltsort unklar ist?

In manchen Fällen lässt sich ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht feststellen oder ist innerhalb einer Frist von vier Wochen nicht zu ermitteln. Um sicherzustellen, dass die betroffene Person dennoch nicht ohne existenzsichernde Leistungen bleibt, hat der Gesetzgeber eine Regelung für die vorläufige Leistungserbringung geschaffen. In einer solchen Konstellation ist der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich sich die Person tatsächlich aufhält, verpflichtet, die Leistungen vorläufig zu erbringen.

Stellt sich im Nachhinein heraus, dass ein anderer Träger der örtlich zuständige gewesen wäre, kann der vorleistende Träger sich die entstandenen Kosten von diesem erstatten lassen. Ist auch weiterhin kein gewöhnlicher Aufenthalt feststellbar und war ein örtlicher Träger sachlich zuständig, so hat der überörtliche Träger der Sozialhilfe die Kosten zu erstatten.

Antragsrückwirkung und Beratungspflicht der Sozialleistungsträger

Neben der reinen Zuständigkeitsfrage sind zwei prozessuale Aspekte für Leistungsberechtigte von besonderer Relevanz, die durch die Rechtsprechung weiter konkretisiert wurden.

Ein wichtiger Punkt betrifft die Rückwirkung des Antrags. Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung setzen die bindende Feststellung der dauerhaft vollen Erwerbsminderung durch den zuständigen Rentenversicherungsträger voraus. In der Praxis kann es vorkommen, dass diese Feststellung erst einige Zeit nach der Antragstellung beim Sozialamt eingeht. Das Sozialgericht Rostock hat hierzu klargestellt, dass der Antrag dennoch auf den Ersten des Monats zurückwirkt, in dem er gestellt wurde (SG Rostock, 09.02.2021 - Az: S 8 SO 24/20). Entscheidend für den Leistungsbeginn ist demnach das tatsächliche Vorliegen der vollen Erwerbsminderung im Antragsmonat, nicht der Zeitpunkt, zu dem der formale Nachweis hierüber bei der Behörde eingeht. Die Leistungsberechtigung hängt laut Gericht davon ab, dass die Person voll erwerbsgemindert „ist“, und nicht davon, dass sie dies bereits nachgewiesen hat.

Von ebenso großer praktischer Bedeutung ist die Beratungspflicht der Sozialleistungsträger. Der Bundesgerichtshof hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem der Betreuer eines jungen, schwerbehinderten Mannes Grundsicherung wegen Erwerbsminderung beantragt hatte, ohne auf die Möglichkeit eines vorrangigen Anspruchs auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung hingewiesen worden zu sein. Der BGH urteilte, dass die Sozialleistungsträger eine umfassende Beratungs- und Betreuungspflicht trifft (vgl. BGH, 02.08.2018 - Az: III ZR 466/16). Ist für den Sachbearbeiter des Sozialamtes ein dringender rentenversicherungsrechtlicher Beratungsbedarf eindeutig erkennbar, muss er den Antragsteller von Amts wegen darauf hinweisen, dass eine Beratung durch den zuständigen Rentenversicherungsträger geboten ist. Diese Pflicht ist nicht auf die Gesetze beschränkt, die der Träger selbst anwendet, sondern erstreckt sich auf die Verknüpfungen der verschiedenen Sozialleistungssysteme. Eine Verletzung dieser Amtspflicht kann zu Schadensersatzansprüchen führen.
Stand: 02.10.2025
Feedback zu diesem Tipp

Wir lösen Ihr Rechtsproblem! AnwaltOnline - empfohlen von stern.de

Fragen kostet nichts: Schildern Sie uns Ihr Problem – wir erstellen ein individuelles Rechtsberatungsangebot für Sie.
  Anfrage ohne Risiko    vertraulich    schnell 

So bewerten Mandanten unsere Rechtsberatung

Durchschnitt (4,85 von 5,00 - 1.239 Bewertungen) - Bereits 390.325 Beratungsanfragen

Die Stellungnahme waren präzis und zielführend. Auf meinen Nachfragen wurde zeitnah geantwortet. Kann ich jedermann weiter empfehlen.

Verifizierter Mandant

Ich bin wieder sehr zufrieden, hatte in der Vergangenheit schon mal den Rechtsanwaltservice genutzt. Die Antwort kam wieder sehr schnell, ausführlich ...

Simon, Mecklenburg Vorpommern