Gelingt es dem
Arbeitgeber im Prozess um Leistungen nach
§ 3 Absatz 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) den Beweiswert einer ärztlichen
Arbeitsunfähigkeit zu erschüttern, kann bei dahingehendem Beweisantritt des Arbeitnehmers die Vernehmung des behandelnden Arztes als sachverständiger Zeuge geboten sein.
Auch im Rahmen der Vernehmung des behandelnden Arztes als Zeugen darf sich die Beweiswürdigung des Tatrichters indes nicht in Widerspruch zu der Ausgangsüberlegung setzen, wonach einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein hoher Beweiswert zukommt. Daher darf das Gericht von der Richtigkeit der ärztlichen Diagnose ausgehen, sofern es sich von einer pflichtgemäß erfolgten Diagnosestellung überzeugt. Zu diesem Zweck können wiederum die Vorgaben der vom Gemeinsamen Bundesausschuss herausgegebenen Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-RL) herangezogen werden.
Für die richterliche Überzeugungsbildung gelten hiernach folgende Maßstäbe:
Das Gericht muss die Überzeugung davon gewinnen, dass der Feststellung der streitigen Arbeitsunfähigkeit überhaupt eine ärztliche Untersuchung vorangegangen ist, die in der Regel unmittelbar persönlich erfolgt sein muss. Insofern kann aufgrund des oft hohen Patientenandrangs in Arztpraxen schon eine Untersuchungszeit von wenigen Minuten genügen.
Je nach Art der diagnostizierten Erkrankung muss das Gericht sich zudem davon überzeugen, dass der Arzt den körperlichen, geistigen und seelischen Gesundheitszustand des
Arbeitnehmers bei der Diagnosestellung berücksichtigt hat. Es muss insbesondere ausgeschlossen werden, dass es sich bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung um ein „Gefälligkeitsattest“ handelt, dessen Vorlage dem Arbeitnehmer lediglich einen Weg eröffnen sollte, der Arbeit mit formaler „Entschuldigung“ fernzubleiben.
Die Beweisaufnahme muss dem Gericht ferner die hinreichende Gewissheit hinsichtlich einer durch die festgestellte Erkrankung hervorgerufenen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vermitteln. Die Vernehmung muss insoweit erkennen lassen, dass auch der Arzt die Notwendigkeit eines entsprechenden Ursachenzusammenhangs erkannt und er die Ursächlichkeit bezogen auf die vom Arbeitnehmer konkret auszuübende Tätigkeit aufgrund hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte bejaht hat. Der ärztlichen Diagnose muss daher regelmäßig eine Befragung des Arbeitnehmers zur ausgeübten Tätigkeit sowie den damit verbundenen Anforderungen und Belastungen vorausgegangen sein, wobei die insoweit gewonnenen Erkenntnisse vom Arzt bei der Festlegung von Grund und Dauer der Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt worden sein müssen.