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Unfall in der Pause: Wann die gesetzliche Unfallversicherung zahlt und wann nicht

Arbeitsrecht | Lesezeit: ca. 16 Minuten

Ein Sturz in der Mittagspause, ein Missgeschick beim Kaffeetrinken oder ein Unfall auf dem Weg zur Toilette – nicht jedes Unglück, das sich während der Arbeitszeit ereignet, ist automatisch ein Arbeitsunfall. Die gesetzliche Unfallversicherung schützt Arbeitnehmer bei Tätigkeiten, die in einem direkten Zusammenhang mit ihrer beruflichen Beschäftigung stehen. Doch gerade in den Pausen verschwimmen die Grenzen zwischen versicherter betrieblicher Tätigkeit und unversichertem privatem Handeln. Die entscheidende Frage lautet stets: Diente die Handlung im Moment des Unfalls dem Unternehmen oder verfolgte sie rein private, sogenannte eigenwirtschaftliche Zwecke?

Grundsatz: Versicherungsschutz nur bei betriebsdienlichen Tätigkeiten

Dreh- und Angelpunkt für den Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung ist der sogenannte innere oder sachliche Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Versicherten und dem Unfall. Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer versicherten Tätigkeit. Es muss also eine Handlungstendenz vorliegen, die dem Unternehmen dient. Verrichtet ein Arbeitnehmer eine Tätigkeit, die ausschließlich seinen persönlichen Interessen, Bedürfnissen oder seiner Freizeitgestaltung zuzuordnen ist, handelt es sich um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Erfolgt hierbei ein Unfall, besteht in der Regel kein Versicherungsschutz, selbst wenn sich der Vorfall auf dem Betriebsgelände und während der bezahlten Arbeitszeit ereignet. Die Gerichte prüfen in jedem Einzelfall anhand objektiver Kriterien, ob die Verrichtung des Versicherten im Unfallzeitpunkt dem betrieblichen oder dem privaten Lebensbereich zuzuordnen war.

Die klassische Pause: Spaziergang und Co. sind rein privat

Pausen dienen der Erholung und der Wiederherstellung der Arbeitskraft. Man könnte meinen, dass sie damit auch im Interesse des Arbeitgebers liegen. Juristisch betrachtet sind die Handlungen während einer regulären Arbeitspause jedoch grundsätzlich dem privaten Lebensbereich zuzuordnen. Ein Spaziergang an der frischen Luft, das private Telefonat oder das Lesen einer Zeitung sind typische eigenwirtschaftliche Verrichtungen. Verunglückt ein Arbeitnehmer dabei, greift der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht.

Dies verdeutlicht ein Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG). Ein Fondsmanager verließ in seiner Mittagspause das Firmengebäude für einen Spaziergang, um den Kopf freizubekommen. Dabei stolperte er und verletzte sich. Er argumentierte, die Pause sei aufgrund seiner hohen Arbeitsbelastung zur Fortsetzung seiner Arbeit zwingend erforderlich gewesen. Die Richter folgten dieser Argumentation jedoch nicht. Ein Spaziergang sei keine arbeitsvertragliche Haupt- oder Nebenpflicht. Auch bestehe keine rechtliche Verpflichtung, gesundheitsfördernde Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit durchzuführen. Das Spazierengehen sei vielmehr eine privatnützige Verrichtung, vergleichbar mit Einkaufen, Essen oder Joggen. Ein Versicherungsschutz wurde daher verneint, da keine besondere betriebliche Belastung vorlag, die ausnahmsweise einen Versicherungsschutz hätte begründen können (LSG Hessen, 14.06.2019 - Az: L 9 U 208/17).

Private Erledigungen sind nicht versichert

Auch das kurzzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes, um eine private Besorgung zu erledigen, unterbricht den Versicherungsschutz. Selbst wenn der Vorgesetzte die Erlaubnis dafür erteilt, ändert dies nichts am privaten Charakter der Tätigkeit. Die Erlaubnis stellt lediglich eine Freistellung von der Arbeitspflicht dar, wandelt die private Erledigung aber nicht in eine betriebsdienliche Tätigkeit um.

Ein Fall vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg illustriert dies eindrücklich. Eine Näherin bemerkte während ihrer Schicht, dass sie ihre regelmäßig einzunehmenden Epilepsie-Tabletten im Auto vergessen hatte. Mit Erlaubnis ihrer Vorgesetzten verließ sie die Näherei, um die Medikamente aus ihrem auf einem öffentlichen Parkplatz stehenden Pkw zu holen. Auf dem Rückweg stürzte sie und brach sich das Handgelenk. Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, die Gerichte bestätigten diese Entscheidung. Die Einnahme von Medikamenten, so die Richter, gehöre zum höchstpersönlichen, unversicherten Lebensbereich. Ein Versicherungsschutz hätte nur dann bestehen können, wenn die Einnahme zwingend erforderlich gewesen wäre, um die Arbeit unmittelbar fortsetzen zu können. Ein vom Gericht befragter Arzt erklärte jedoch, dass eine Einnahme nach Schichtende ausgereicht hätte. Das bloß abstrakte Risiko eines Anfalls begründe kein überwiegendes betriebliches Interesse. Die Richter zogen einen Vergleich zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG): Das Holen einer vergessenen Brille oder eines Spindschlüssels sei versichert, da diese Gegenstände zur Fortsetzung der Arbeit unerlässlich sind. Das Holen von nicht akut benötigten Medikamenten sei damit aber nicht vergleichbar (LSG Berlin-Brandenburg, 26.09.2024 - Az: L 21 U 40/21).

Der Gang zur Toilette: Klare Grenze an der Tür

Der Gang zur Verrichtung der Notdurft ist ein Sonderfall. Die Rechtsprechung erkennt an, dass dieser Weg notwendig ist, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten und somit mittelbar auch betrieblichen Zwecken dient. Daher ist der unmittelbare Weg zur Toilette auf dem Betriebsgelände versichert. Der Versicherungsschutz endet jedoch abrupt, sobald der persönliche Lebensbereich beginnt. Und dieser beginnt nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg bereits an der Außentür der Toilettenanlage.

In dem verhandelten Fall war eine Verkäuferin auf dem Weg zur Toilette im Vorraum, in dem sich auch die Waschbecken befanden, auf einem nassen Boden ausgerutscht und gestürzt. Das Gericht entschied, dass dies kein Arbeitsunfall war. Zwar sei der Weg zur Toilette versichert, der Aufenthalt in der Toilettenanlage selbst – also sowohl im Vorraum als auch in den Kabinen – sei jedoch der unversicherten privaten Sphäre zuzuordnen. Die Verrichtung der Notdurft selbst und auch das anschließende Händewaschen sind höchstpersönliche Tätigkeiten. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität zogen die Richter eine klare, objektive Grenze an der Außentür zur Toilettenanlage. Ab dem Durchschreiten dieser Tür endet der Versicherungsschutz. Auch das Argument einer besonderen betrieblichen Gefahr durch den nassen Boden verfing nicht. Die Gefahr, in Sanitäranlagen auf nassen Böden auszurutschen, sei ein allgemeines Lebensrisiko und keine spezifische, vom Üblichen abweichende Gefahrensituation des Betriebs (LSG Baden-Württemberg, 30.04.2020 - Az: L 10 U 2537/18).

Weg zum Essen: Wann besteht Versicherungsschutz?

Ein weiterer klassischer Fall ist der Weg zur Nahrungsaufnahme. Für Mitarbeiter im Betrieb ist seit Langem geklärt, dass der direkte Weg zur Kantine oder zu einem nahegelegenen Restaurant während der Mittagspause versichert ist. Denn die Nahrungsaufnahme dient der Erhaltung der Arbeitskraft für den Rest des Arbeitstages und ist somit auch im betrieblichen Interesse. Doch wie verhält es sich bei Beschäftigten im Homeoffice?

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Stand: 29.08.2025
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