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Erforderlicher Umzug: Anerkennung der Doppelmietzahlung als Unterkunftsbedarf

Sozialrecht | Lesezeit: ca. 8 Minuten

Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden im Rahmen der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Hiervon erfasst werden nicht nur Leistungen für laufende, sondern auch für einmalige Bedarfe für Unterkunft und Heizung, und jeweils grundsätzlich alle unterkunfts- und heizungsbezogenen Zahlungsverpflichtungen, denen die Leistungsberechtigten im jeweiligen Monat ausgesetzt sind.

Durch diese existenzsichernden Leistungen soll der persönliche Lebensbereich "Wohnung" geschützt werden, sodass sich der Leistungsanspruch nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf die Sicherung des Grundbedürfnisses des Wohnens bezieht und deshalb grundsätzlich nur die Übernahme der Aufwendungen für die tatsächlich genutzte konkrete Wohnung umfasst, die den aktuellen räumlichen Lebensmittelpunkt bildet und den aktuell bestehenden Unterkunftsbedarf deckt. Der aktuelle bestehende Unterkunftsbedarf wird grundsätzlich nur durch eine Wohnung gedeckt. Existenzsicherungsrechtlich kommt danach die gleichzeitige Sicherung mehrerer Unterkünfte durch laufende Leistungen hierfür nicht in Betracht.

Dieser Grundsatz lässt indes Ausnahmen zu.

Eine Ausnahmelage kann der Monat des Umzugs von einer alten in eine neue Wohnung sein, in dem für beide Wohnungen vertragliche Verpflichtungen zu Zahlungen für Unterkunft und Heizung bestehen ("Doppelmiete" bzw. "Überschneidungskosten") und beide Wohnungen tatsächlich genutzt werden. Wird der Unterkunftsbedarf im Monat eines Umzugs durch die tatsächliche Nutzung sowohl der alten als auch der neuen Wohnung gedeckt, können die tatsächlichen Aufwendungen für beide in diesem Monat einen Lebensmittelpunkt bildenden Wohnungen als Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzuerkennen sein. Dies setzt grundsätzlich - neben der abstrakten Angemessenheit der jeweiligen Aufwendungen - voraus, dass die zeitliche Überschneidung sowohl der vertraglichen Verpflichtungen als auch der tatsächlichen Nutzung im Einzelfall nicht vermeidbar ist und die Bedarfe sich in diesem Sinne deshalb auch als konkret angemessen darstellen.

Diese ausnahmsweise Übernahme der Aufwendungen für zwei Wohnungen in einem Umzugsmonat nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II steht nicht im Widerspruch zur Regelung des § 22 Abs. 6 Satz 1 SGB II, wonach Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den zuständigen Leistungsträger als Bedarf anerkannt werden können. Bei der Übernahme solcher Kosten handelt es sich um ergänzende, von denen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II abzugrenzende Leistungen im Hinblick auf den Bedarf des Wohnens.

Abgrenzungsmerkmal mit Blick auf die Aufwendungen für eine Unterkunft ist, ob diese in dem Umzugsmonat, für den Leistungen begehrt werden, tatsächlich genutzt wird. Bei einer zeitlichen Überschneidung allein der vertraglichen Verpflichtungen zu Zahlungen für Unterkunft und Heizung für die alte und die neue Wohnung kommt die Anerkennung der Aufwendungen für die nicht tatsächlich genutzte Unterkunft nur im Rahmen des § 22 Abs. 6 Satz 1 SGB II in Betracht, was insbesondere eine vorherige Zusicherung erfordert. Die Aufwendungen für die tatsächlich genutzte Unterkunft, sei es die alte oder die neue, sind dagegen als Bedarf im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzuerkennen. Insoweit stehen die Regelungen in § 22 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 SGB II hinsichtlich der Unterkunftsbedarfe in Umzugssituationen nicht in einem Entweder-Oder-Verhältnis.

Für den Umzug als Zäsur bei der Abgrenzung von § 22 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 SGB II spricht, dass der Umzug für den Leistungsberechtigten eine Hinweis- und Warnfunktion hat: Werden im Umzugsmonat beide Wohnungen tatsächlich genutzt, ohne dass dies vermeidbar ist, liegt die Erwartung der Übernahme der Kosten für beide Wohnungen als laufender Bedarf im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nahe. Wird eine der beiden Wohnungen im Überschneidungszeitraum der vertraglichen Verpflichtungen noch nicht oder nicht mehr genutzt, liegt die Erwartung nahe, dass nur die Kosten der tatsächlich genutzten Wohnung als laufender Bedarf übernommen werden. Für das Begehren nach einer ergänzenden Übernahme der Kosten für die andere, nicht tatsächlich genutzte Wohnung bedarf es demgegenüber zuvor einer gesonderten Kontaktaufnahme des Leistungsberechtigten mit dem Jobcenter. Hierfür hält das SGB II mit dem Zusicherungsverfahren nach § 22 Abs. 6 Satz 1 SGB II eine sachgerechte Lösung bereit. Ausfluss des Monatsprinzips des SGB II ist es, mit Blick auf die anzuerkennenden Aufwendungen aufgrund der zeitlichen Überschneidung sowohl der vertraglichen Verpflichtungen als auch der tatsächlichen Nutzung zweier Wohnungen grundsätzlich auf den Monat des Umzugs insgesamt abzustellen.

Begrenzt wird dieser Leistungsanspruch nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II durch die Angemessenheit der Aufwendungen. Dies erfordert neben der - abstrakten oder ggf. konkreten - Angemessenheit der Unterkunftsaufwendungen für beide im Umzugsmonat tatsächlich genutzten Wohnungen, dass die zeitliche Überschneidung sowohl der vertraglichen Verpflichtungen als auch der tatsächlichen Nutzung im Umzugsmonat im Einzelfall nicht vermeidbar ist. Dies ist der Fall, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls es nicht zumutbar möglich war, die Laufzeiten der vertraglichen Verpflichtungen für beide Unterkünfte so aufeinander abzustimmen, dass keine "Doppelmiete" entsteht, und die tatsächliche Nutzung beider Wohnungen im Umzugsmonat zu unterlassen. Zu diesen Umständen zählen neben den individuellen Mietverhältnissen u.a. die konkreten Verhältnisse auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, die persönlichen Lebensverhältnisse der leistungsberechtigten Personen (insbesondere Alleinerziehung, Gesundheitszustand, soziale Schwierigkeiten) und deren Unterstützung (Beratung) durch das Jobcenter oder Dritte beim Wohnungswechsel.


BSG, 30.10.2019 - Az: B 14 AS 2/19 R

ECLI:DE:BSG:2019:301019UB14AS219R0

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