Rechtsfrage klären? Wir beraten per   E-Mail  -   Video  -   Telefon  -   WhatsAppBewertung: - bereits 388.284 Anfragen

Befreiung des Luftfahrtunternehmens von Ausgleichszahlungen bei großer Verspätung aufgrund außergewöhnlicher Umstände

Reiserecht | Lesezeit: ca. 8 Minuten

Beruht die große Verspätung eines Fluges von drei Stunden oder mehr darauf, dass für diesen Flug und für die drei unmittelbaren Vorflüge im Flugumlauf des eingesetzten Flugzeugs aufgrund von Kapazitätsbeschränkungen infolge von laufenden Arbeiten an einer Landebahn am Flughafen Amsterdam in Kombination mit Nordostwind und zusätzlicher Bildung von Cumulonimbuswolken in München von Eurocontrol jeweils verspätete Abflugslots erteilt wurden, begründet dies außergewöhnliche Umstände gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) 261/2004.

Hierzu führte das Gericht aus:

Außergewöhnliche Umstände sind Vorkommnisse, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind, wie beispielsweise Naturkatastrophen, versteckte Fabrikationsfehler oder terroristische Sabotageakte. In den Erwägungsgründen 14 und 15 der Verordnung (EG) 261/2004 sind als außergewöhnliche Umstände beispielsweise politische Instabilität, schlechte Wetterbedingungen, unerwartete Sicherheitsrisiken und Flugsicherheitsmängel, beeinträchtigender Streik und Entscheidungen des Flugverkehrsmanagements genannt, wobei diese Aufzählung nicht abschließend ist. Entscheidend ist nach dem Leitbild der Verordnung also die Beherrschbarkeit des Vorkommnisses für das Luftfahrtunternehmen sowie die Frage, ob das Vorkommnis aus dem gewöhnlichen Flugbetrieb herausragt.

Die große Verspätung des streitgegenständlichen Fluges von drei Stunden oder mehr beruht darauf, dass für diesen Flug und für die drei unmittelbaren Vorflüge im Flugumlauf des eingesetzten Flugzeugs mit der amtlichen Kennung G–EZWX aufgrund von Kapazitätsbeschränkungen infolge von laufenden Arbeiten an einer Landebahn am Flughafen Amsterdam in Kombination mit Nordostwind und zusätzlicher Bildung von Cumulonimbuswolken in München von Eurocontrol jeweils verspätete Abflugslots erteilt wurden. Die drei unmittelbaren Vorflüge wiesen eine Verspätung von 161 Minuten auf, weil aufgrund von laufenden Arbeiten auf dem Flughafen Amsterdam Regulierungsmaßnahmen der Flugsicherheitsbehörden erfolgt sind. Vor dem Start des streitgegenständlichen Fluges kamen dann noch zusätzliche Verkehrsflusssteuerungs- und Kapazitätsmanagementmaßnahmen insbesondere aufgrund der Wetterverhältnisse in München hinzu und der Abflugslot des streitgegenständlichen Fluges verschob sich bis letztlich 16:21 Uhr (UTC), mithin um mehr als 3 Stunden gegenüber der Flugplanung.

Die verspäteten Startfreigaben begründen im vorliegenden Fall außergewöhnliche Umstände im o. g. Sinne. Sie stellen von der Beklagten unbeherrschbare Entscheidungen des Flugverkehrsmanagements dar, die auf von der Beklagten – jeweils unbeherrschbare – laufende Arbeiten am Flughafen Amsterdam und auf Witterungsphänomenen beruhen und in dieser Ausprägung außerhalb der normalen Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens anzusiedeln sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kommt es für die Beurteilung der Frage, ob eine Annullierung oder große Verspätung eines Flugs darauf zurückgeht, nicht darauf an, ob der Flug von den Umständen unmittelbar betroffen ist oder die Umstände bei einem der vorangehenden Flüge des für den annullierten oder verspäteten Flugs vorgesehenen Flugzeugs eingetreten sind. Im Hinblick auf die Formulierung des Verordnungsgebers in Erwägungsgrund 15 der Verordnung (EG) 261/2004, wonach von außergewöhnlichen Umständen ausgegangen werden soll, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betroffenen Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, können außergewöhnliche Umstände noch zur Entlastung herangezogen werden, die sich auf unmittelbaren Vorflügen mit demselben Fluggerät jedenfalls bis zu 24 Stunden vor dem Start des annullierten oder verspäteten Fluges ereignet haben, sofern an einer ununterbrochenen kausalen Anknüpfung keine Zweifel bestehen. So liegt es hier.

Das ausführende Luftfahrtunternehmen muss aber nicht nur darlegen und beweisen, dass ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt, der ursächlich für die große Verspätung ist, sondern auch, dass sich die große Verspätung und ihre Folgen nicht haben oder hätten vermeiden lassen, obwohl bzw. wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären oder sind. Beruft sich ein Luftfahrtunternehmen auf einen außergewöhnlichen Umstand, muss es also nicht nur diesen genau beschreiben, sondern auch vortragen und beweisen,
- dass es unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel versucht hat, die Verspätung zu vermeiden und
- warum es ihm nicht möglich war, unter Berücksichtigung seiner Kapazitäten und Ressourcen diese Mittel einzusetzen bzw. warum derartige Maßnahmen von Vorneherein aussichtslos und damit sinnlos gewesen wären.


AG Erding, 03.07.2024 - Az: 116 C 1642/23

Wir lösen Ihr Rechtsproblem! AnwaltOnline - empfohlen von WDR „Mittwochs live“

Fragen kostet nichts: Schildern Sie uns Ihr Problem – wir erstellen ein individuelles Rechtsberatungsangebot für Sie.
  Anfrage ohne Risiko    vertraulich    schnell 

So bewerten Mandanten unsere Rechtsberatung

Durchschnitt (4,85 von 5,00 - 1.235 Bewertungen) - Bereits 388.284 Beratungsanfragen

Herzlichen Dank für die zügige und umfassende Beratung.

Verifizierter Mandant

Toller Anwalt mit direkten Lösungen ohne Umwege.
Vielen Dank für die zusammenarbeit.

Verifizierter Mandant