Das Läuten von Kirchenglocken ist von Anwohnern von Gotteshäusern hinzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn der zulässige Lärmpegel im Einzelfall überschritten wird. Diese Privilegierung ergibt sich aus dem Schutz der Religionsausübung.Der Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit der Immissionen ergibt sich auch für das sakrale Läuten grundsätzlich aus § 22 Abs. 1 des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG), der insoweit zu demselben Ergebnis führt, wie § 906 BGB im privatrechtlichen Nachbarschaftsverhältnis.
Danach sind schädliche Umwelteinwirkungen, die nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet sind, erhebliche Belästigungen u.a. für die Nachbarschaft herbeizuführen (§ 3 Abs. 1 BImSchG), zu verhindern, soweit sie nach dem Stand der Technik vermeidbar sind und soweit dies nicht der Fall ist, auf ein Mindestmaß zu beschränken.
Für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Glockengeläut ist grundsätzlich die sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz von 26. August 1998 (TA Lärm) geeignet.
Die Immissionsrichtwerte der TA Lärm richten sich zunächst nach der Schutzwürdigkeit des Gebiets, in dem der Immissionsort liegt. Es bestehen keine Bedenken, den unbeplanten Bereich, in dem das Wohngrundstück der Kläger gelegen ist, als allgemeines Wohngebiet i.S.v. § 4 Baunutzungsverordnung (BauNVO) zu charakterisieren. Das ergibt sich aus der tatsächlich vorhandenen Bebauung, die vorwiegend aus Wohnhäusern sowie dem Schul- /Kindergartengebäude und der Kirche besteht.
Nach Ziffer 6.1 Satz 1 Buchstabe d) TA Lärm beträgt der Immissionsrichtwert in allgemeinen Wohngebieten tags 55 dB (A). Gemäß Ziffer 6.1 Satz 2 TA Lärm dürfen einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen die Immissionsrichtwerte am Tage um nicht mehr als 30 dB (A) überschreiten. Hiernach ist daher grundsätzlich ein Spitzenpegelwert von 85 dB (A) zulässig.
Ergänzend hierzu bestimmt Ziffer 3.2.2 TA Lärm: "Liegen im Einzelfall besondere Umstände vor, die bei der Regelfallprüfung keine Berücksichtigung finden, nach Art und Gewicht jedoch wesentlichen Einfluss auf die Beurteilung haben können, ob die Anlage zum Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen relevant beiträgt, so ist ergänzend zu prüfen, ob sich unter Berücksichtigung dieser Umstände des Einzelfalls eine vom Ergebnis der Regelfallprüfung abweichende Beurteilung ergibt." Als Umstände, die eine Sonderfallprüfung erforderlich machen können, kommen nach Buchstabe d) der Ziffer 3.2.2 TA Lärm besondere Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit und der sozialen Adäquanz der Geräuschimmission in Betracht.
Vorliegend sind solche besonderen Umstände, die eine Sonderfallprüfung erforderlich machen, gegeben. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit des sakralen Läutens gilt nach der ständigen Rechtsprechung im Vergleich zum Zeitschlagen ein anderer Maßstab, der sich aus der Priviligierung dieser kirchlichen Lebensäußerung aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und dem von Schutz des Art. 4 Abs. 2 GG erfassten Akt freier Religionsausübung ergibt.
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Liturgisches Glockenläuten ist danach regelmäßig keine schädliche Lärmimmission, sondern eine zumutbare, sozialadäquate und allgemein akzeptierte Äußerung kirchlichen Lebens. Für die Frage der Zumutbarkeit ist in erster Linie auf die Lautstärke und Lästigkeit des Einzelgeräusches und damit auf den Wirkpegel abzustellen, während die Mittelwertbildung an Bedeutung zurücktritt. Für die Überschreitung der Schädlichkeitsgrenze ist zwar zunächst entscheidend, ob der gemessene Wirkpegel des einzelnen Läutegeräuschs den Maximalpegel für Einzelgeräusche - von hier 85 dB (A) - überschreitet.
Hierbei handelt es sich allerdings um keine starre Grenze, sondern um einen Orientierungswert, der im Rahmen der Sonderfallprüfung gegebenfalls zu korrigieren ist.
Im Rahmen des zivilrechtlichen Verfahrens sind durch das Staatliche Umweltamt Lippstadt Geräuschmessungen vor dem Wohnhaus (im Bereich der Terrasse) der Kläger erfolgt, die auch das sakrale Läuten mit berücksichtigt hatten. Insofern konnte im vorliegenden Verfahren auf die Erstellung eines weiteren Gutachtens verzichtet werden.
Das Gutachten vom 14. Dezember 2005, welches eine Spitzenpegelüberschreitung von 3,9 dB (A) ergab, dürfte insofern nachrangig sein, weil dort keine differenzierte Messung des sakralen Läutens im Hinblick auf die unterschiedlichen Einsatzarten der Glocken erfolgte. Zudem sind nach Angaben der Beklagten in Nachhinein nochmals Geräuschminderungsmaßnahmen erfolgt.
Nach dem somit hier vorrangig einschlägigem Gutachten vom 26. September 2006 sind für das sakrale Läuten zwei unterschiedliche Spitzenpegel zu verzeichnen. Bei Einsatz der kleinen Glocken beträgt der Wirkpegel LmaxF 79,2 dB (A), während bei Einsatz der großen Glocke ein Wert von 87,2 dB (A) erreicht wird.
Es besteht auch kein Anlass, die Richtigkeit dieser Ergebnisse und damit die Korrektheit der Immissionsmessung in Zweifel zu ziehen.
Im vorliegenden Fall wird der Mittelungspegel für allgemeine Wohngebiete von 55 dB (A) mit 62 dB (A) zwar um 7 dB (A) überschritten, der Maximalpegel für Einzelgeräusche in Höhe von 85 dB (A) wird für das täglich stattfindende Gebetsläuten, welches laut Läuteordnung montags bis freitags um 7.Uhr, 12.00 Uhr und 18.00 Uhr, samstags um 7.00 Uhr und 12.00 Uhr sowie sonntags um 12.00 und 18.00 Uhr stattfindet, der Maximalpegel mit 79,2 dB (A) deutlich unterschritten. Für dieses regelmäßig stattfindende sakrale Läuten wird lediglich die Glocke 2 eingesetzt, während die große Glocke (Glocke 1) nicht zum Einsatz kommt.
Dagegen ist zwar hinsichtlich des sakralen Läutens anläßlich der Gottesdienste, Trauerfeiern, Hochzeiten und Konfirmation eine Überschreitung des Maximalpegels festzustellen. Nach dem hier entscheidenden Gutachten vom 26. September 2006 wird bei einem Einsatz der großen Glocke ein Maximalpegel von 87,2 dB (A), also eine Überschreitung des Spitzenpegelwertes um 2,2 dB (A) erreicht.
Die Priviligierung des liturgischen Glockengeläuts führt jedoch im vorliegenden Fall dazu, dass geringfügige Überschreitungen der Grenzwerte hingenommen werden müssen.
Diese Vorgehensweise erscheint zumindest gerechtfertigt, wenn das liturgische Glockenläuten täglich nur wenige Male zu festgelegten Zeiten und für kurze Dauer stattfindet. Es ist daher bei liturgischen Glockenläuten zum Gottesdienst, anders als beim täglichen Gebetsläuten, der Anspruch auf ungestörte Religionsausübung selbst dann höher zu gewichten als das Ruhebedürfnis der Anwohner, wenn der Maximalpegel den Immissionswert um mehr als 30 dB(A) überschreitet.
Dieser Einschätzung ist auch für den vorliegenden Fall zuzustimmen. Der Einsatz der großen Glocke anläßlich des Läutens für Gottesdienste findet laut Läuteordnung lediglich Samstags abends sowie Sonntags morgens statt. Für den Mittwochs morgens erfolgenden Schulgottesdienst wird keine große Glocke geläutet. Damit sind die Anzahl der Überschreitungen des Spitzenpegelwertes aufgrund von Gottesdiensten gering und auch hinsichtlich der Tageszeit als sozialüblich und adäquat hinzunehmen. Abgesehen davon, dass es bei der Beurteilung der Zumutbarkeit anhand des Spitzenpegels nach allgemeiner Ansicht nicht auf die Dauer des Glockenläutens ankommt, kann vorliegend die Läutedauer von 5 Minuten, die durch den Nachhall zur der von der Klägern angegebenen Zeit von 6 Minuten 33 Sekunden führt, nicht als unüblich lang und exzessiv angesehen werden, sondern hält sich im Rahmen des allgemein üblichen.
Auch der Einsatz der großen Glocke - und damit die Überschreitung des Spitzenpegelwertes - für kirchlich bedeutsame Ereignisse wie Trauerfeiern, Hochzeiten und Konfirmationen ist zumutbar. Nach Angaben der Beklagten finden Beerdigungen in der Regel mittwochs nachmittags statt, also während einer Zeit, in der die Kläger regelmäßig noch ihrem Beruf oder anderen Beschäftigungen nachgehen dürften. Konfirmationen finden lediglich ein bis zweimal jährlich statt. Auch Hochzeiten treten nur unregelmäßig auf. Vor diesem Hintergrund erscheint das Läuten mit großer Glocke den Klägern noch zumutbar.