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Verbot des Bereitstellens von Atemschutzmasken auf dem Markt

Firmen / Gewerbe | Lesezeit: ca. 17 Minuten

Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Verfügung des Antragsgegners, mit der der Antragstellerin untersagt wurde, Atemschutzmasken auf dem Markt bereitzustellen, und in der die unverzügliche Rücknahme dieser Atemschutzmasken angeordnet wurde.

Die Antragstellerin ist ein Großhandelsunternehmen für Geschenkartikel, Trendartikel und Scherzartikel. Seit April 2020 vertreibt sie unter den Artikelnummern F. und G. Atemschutzmasken, die in China hergestellt wurden. Bei diesen Atemschutzmasken soll es sich nach den Angaben der Antragstellerin um sogenannte Filtrierende Halbmasken, nämliche FFP2-Masken, handeln. Die Antragstellerin stellte am 23.03.2020 durch ihren Prokuristen eine Konformitätserklärung aus, wonach die Atemschutzmasken mit der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09.03.2016 über persönliche Schutzausrüstungen und zur Aufhebung der Richtlinie 89/686/EWG des Rates [im Folgenden: VO (EU) 2016/425] konform seien.

Hierzu führte das Gericht aus:

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig. Nach § 80 Absatz 3 Satz 1 VwGO ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Das hat den Zweck, dass sich die Behörde den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führt und sorgfältig prüft, ob tatsächlich ein überwiegendes Interesse erfordert, den Sofortvollzug anzuordnen. Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Untersagung der Bereitstellung von Atemschutzmasken sowie der unverzüglichen Rücknahme dem überwiegenden öffentlichen Interesse entspricht. Denn das öffentliche Interesse am Kauf anforderungskonformer oder getesteter Masken wiege höher als das Eigeninteresse der Antragstellerin am wirtschaftlichen Vorteil. Der Gesundheitsschutz von Personen, die diese Masken nutzen oder damit anders in Berührung kommen, stehe weit über den finanziellen Interessen der Antragstellerin. Diese Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung genügt den formalen Anforderungen des § 80 Absatz 3 Satz 1 VwGO. Sie zeigt, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst ist, und enthält die Erwägungen, die für die Anordnung des Sofortvollzugs maßgeblich waren. Ob die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung inhaltlich vollständig überzeugt, wäre jedenfalls keine Frage des § 80 Absatz 3 Satz 1 VwGO.

Die aufschiebende Wirkung ist nicht wiederherzustellen.

Nach § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage wiederherstellen, wenn die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes nicht im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt. Das ist dann der Fall, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt nach der im Rahmen des § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden summarischen Überprüfung aller Wahrscheinlichkeit nach als nicht rechtmäßig darstellt, da an der sofortigen Vollziehung einer rechtswidrigen Verfügung kein überwiegendes öffentliches Interesse anerkannt werden kann. Andererseits ist das überwiegende öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Verfügung dann anzunehmen, wenn sich diese mit großer Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig darstellt und ein besonderes Vollzugsinteresse besteht. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache respektive die Rechtmäßigkeit angegriffener behördlicher Maßnahmen offen, insbesondere wenn aufgrund besonderer Dringlichkeit oder Komplexität der Rechtsfragen keine verlässliche Abschätzung der Erfolgsaussichten vorgenommen werden kann, bleiben die gegenläufigen Interessen unter Berücksichtigung der mit einer aufschiebenden Wirkung einerseits bzw. deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten.

Dies zugrunde gelegt ist der Antrag nicht begründet.

Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs sind offen. Denn eine verlässliche Abschätzung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte und ab sofort geltende Untersagung der Bereitstellung der Atemschutzmasken und die ebenso für sofort vollziehbar erklärte angeordnete unverzügliche Rücknahme der Atemschutzmasken aus dem Handel, übersteigt unter Beachtung der Dringlichkeit und der Komplexität der aufgeworfenen Rechtsfragen den zumutbaren Aufwand im Eilverfahren.

Unabhängig davon, ob sich der Bescheid als formell rechtmäßig erweisen würde, wären Fragen im Zusammenhang mit dem erforderlichen Konformitätsbewertungsverfahren, insbesondere ob die von der Antragstellerin vorgelegten Prüfberichte ausreichend sind und ob die im Raum stehenden formellen Mängel, und auch eine womöglich fehlerhafte Kennzeichnung der Atemschutzmasken, die Untersagung der Bereitstellung sowie die Rücknahme der Atemschutzmasken rechtfertigen. Dabei sind nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Frage zu klären, insbesondere die Beteiligungen der verschiedenen (ausländischen) Firmen. Ebenso ist offen, ob die getroffenen Maßnahmen mit Blick auf die in Betracht zu ziehende Möglichkeit erforderlich sind, die Atemschutzmasken nach § 9 Absatz 2 Satz 1 MEdBVSV auf dem Markt bereitzustellen. Ob eine Bereitstellung nach § 9 Absatz 2 Satz 1 MedBVSV derzeit nicht erfolgen kann, wie der Antragsgegner meint, ist ebenso von vielen zu klärenden Fragen abhängig. Denn die allein in § 9 Absatz 1 MedBVSV als Voraussetzung genannte Mangelsituation müsste sich zum einen auch auf die Möglichkeit der Bereitstellung nach § 9 Absatz 2 MedBVSV beziehen und zum anderen wäre zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen und wer überhaupt feststellt, dass eine solche Mangelsituation besteht. Es ist nämlich auch nicht nachzuvollziehen, dass dies durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die die Medizinischer-Bedarf-Versorgungssicherstellungsverordnung nicht erlassen haben, geschehen kann. Hinzu kommt die von dem Antragsgegner geschaffene unklare Situation, dass er auf der einen Seite ausführt, dass er eine Bestätigung im Sinne des § 9 Absatz 3 MedBVSV nicht mehr erteilen könne, andererseits aber in der Antragserwiderung bemängelt, dass eine Bewertung im Sinne des § 9 Absatz 2 MedBVSV von der Antragstellerin bisweilen nicht vorgelegt worden ist. Außerdem stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Antragsgegner bzw. die Marktüberwachungsbehörden der Länder überhaupt entscheiden dürfen, ob eine Bereitstellung auf dem Markt nach § 9 Absatz 2 Satz 1 MedBVSV „ausgesetzt“ wird, indem sie entsprechende Bescheinigungen nicht mehr ausstellen. Denn nach § 9 Absatz 2 Satz 2 MedBVSV kontrollieren die Marktüberwachungsbehörden die Verkehrsfähigkeit. Die Befugnis zur Lenkung des Marktes, die hier offensichtlich stattfindet, ist dort nicht geregelt. Ebenso offen bleibt die Frage, ob die Atemschutzmasken als einfache Mund-Nasen-Bedeckung bereitgestellt werden könnten und inwieweit die vorhandene Kennzeichnung dem entgegensteht.

Die deswegen vorzunehmende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der mit einer aufschiebenden Wirkung einerseits bzw. deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen geht zu Lasten der Antragstellerin aus. Es ist kein überwiegendes Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs feststellbar.

Für die Antragstellerin streitet durchaus ein wirtschaftliches Interesse. Das Gericht erkennt an, dass es bei Ablehnung ihres Antrages zu wirtschaftlichen Nachteilen, insbesondere finanziellen Einbußen, kommen kann, wenn sie die Atemschutzmasken bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens (respektive bis zum rechtskräftigen Abschluss eines sich anschließenden gerichtlichen Verfahrens) nicht mehr auf dem Markt bereitstellen darf. Es ist für das Gericht aber nicht nachvollziehbar, inwieweit sie die Untersagung der Bereitstellung der Atemschutzmasken, wirtschaftlich bzw. finanziell trifft. Die Antragstellerin hat in diesem Zusammenhang nicht dargelegt, in welchem Ausmaß sie dies treffen würde. Auf die gerichtliche Verfügung vom 02.10.2020, wie auch auf eine entsprechende Nachfrage des Antragsgegners vor Erlass des Bescheides, wie hoch ihr Lagerbestand derzeit sei, reagierte die Antragstellerin ohne Nennung von Gründen bis zum Zeitpunkt dieser Entscheidung nicht. Vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin nur mitgeteilt hatte, dass sie bereit sei, die Masken jedenfalls nicht auf dem deutschen Markt anzubieten, ist auch nicht klar, ob und inwieweit die Antragstellerin die Atemschutzmasken in anderen Ländern vertreiben möchte oder dies bereits getan hat und zwar unabhängig davon, ob ihr dies durch die Untersagung noch erlaubt ist oder nicht. Die Antragstellerin hat auch nicht dargelegt, dass sie die Atemschutzmasken nicht später wirtschaftlich verwerten kann. Es handelt sich bei den Atemschutzmasken nicht um verderbliche Produkte und die Antragstellerin kann diese zu einem späteren Zeitpunkt noch vertreiben, sollte sich die Untersagung als rechtswidrig erweisen. Ein Bedarf an FFP2-Masken besteht nach vorläufiger Auffassung des Gerichts grundsätzlich auch nach einem – bisher nicht absehbareren – Ende der Corona-Epidemie. Dass die Antragstellerin die Atemschutzmasken dann eventuell nicht so schnell verkaufen könnte, wie dies jetzt der Fall sein dürfte, ist aus Sicht des Gerichts hinzunehmen, weil die Antragstellerin dies ohnehin nach wirtschaftlicher Betrachtung einzukalkulieren hätte. Daran ändert es auch nichts, dass die Antragstellerin gerade in dem Zeitpunkt mit dem Vertrieb der Masken begann, als entsprechende Atemschutzmasken schwer zu beschaffen und knapp waren. Im Übrigen vertreibt die Antragstellerin zur Kenntnis des Gerichts und ausweislich ihrer Internetseite diverse andere Waren, sodass nicht ersichtlich ist, dass der Handel mit den betreffenden Atemschutzmasken ihr Kerngeschäft ist, welches sie einstweilen nicht mehr durchführen könnte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin ihren seit Jahren betriebenen Großhandel wie vor weiter betreiben könnte. Ebenso hat die Antragstellerin eine von ihr behauptete Existenzgefährdung nicht dargelegt.

Soweit die Antragstellerin anführt, dass die Rücknahme der Atemschutzmasken sie wirtschaftlich ruinieren würde, so hat sie dies trotz entsprechender Nachfrage durch das Gericht und den Antragsgegner nicht dargelegt. Die Antragstellerin hat nicht darauf reagiert, wie viele Atemschutzmasken überhaupt von ihr vertrieben worden sind. Damit kann das Ausmaß einer Rücknahme überhaupt nicht eingeschätzt werden und rechtlich bewertet werden. Allein die theoretische Möglichkeit des Eintretens wirtschaftlicher Schäden reicht nicht aus. Überdies ist auch nicht ersichtlich, dass es der Antragstellerin unzumutbar sein könnte, ihre Abnehmer entsprechend zu informieren, sollte sich die Rücknahme als rechtswidrig erweisen. Außerdem ist in diesem Zusammenhang beachtlich, dass der Handel mit Atemschutzmasken nicht das Kerngeschäft der Antragstellerin ist und sie zahlreiche andere Waren, wie Geschenkartikel oder Dinge des täglichen Lebens, vertreibt. Es ist nicht ersichtlich, dass sie diese Waren an dieselben Abnehmer vertreibt, die sie wegen einer Rücknahme der Atemschutzmasken zu kontaktieren hätte. Ihr weiteres Geschäft könnte ungestört weiterlaufen, ohne dass dort Beeinträchtigungen wegen einer Rücknahme von Waren aus einem völlig anderem Wirtschaftsbereich zu erwarten sind.

Den nicht dargelegten erheblichen oder schwerwiegenden wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin treten der Gesundheitsschutz der gesamten Bevölkerung und der Verbraucherschutz entgegen. Dieser fällt schwerer ins Gewicht. Sollte sich herausstellen, dass die von der Antragstellerin vertriebenen Atemschutzmasken nicht die materiellen Anforderungen erfüllen, die an FFP2-Masken zu stellen sind oder diese Atemschutzmasken auch kein vergleichbares Schutzniveau haben, so wären all diejenigen, die sich diese Atemschutzmasken beschafften und zukünftig beschaffen, nicht in der Weise geschützt, wie dies bei FFP2-Masken zu erwarten ist. Dies wäre nicht nur der Verbraucher, der aus persönlichen Gründen auf den besonderen Schutz solcher Atemschutzmasken vertraut und im Einzelfall darauf angewiesen ist, sondern möglicherweise auch Personal aus dem Gesundheitsbereich bzw. Menschen, die auf das Tragen dieser Atemschutzmasken besonders angewiesen sind, weil sie beispielsweise mit besonders ansteckungsgefährdeten und schutzbedürftigen Personen zu tun haben. Gerade in der Zeit der Corona-Epidemie wie auch sonst kann nicht hingenommen werden, dass Atemschutzmasken als FFP2-Masken auf den Markt gelangen bzw. weiter auf dem Markt erhältlich sind, ohne dass sie entsprechenden oder vergleichbaren Schutz aufweisen bzw. ein solcher verlässlich nachzuvollziehen ist. Hieran ändert es auch nichts, dass die von der Antragstellerin vorgelegten Prüfberichte nach Auffassung der Antragstellerin bescheinigten, dass die besonderen Anforderungen an FFP2-Masken erfüllt seien und es sich vorliegend nur um formelle Mängel handele. Es ist gerade unklar, ob die Stelle, die dies bescheinigt, derart vertrauenswürdig ist, dass von der Richtigkeit ihrer Prüfung und Ergebnisse ausgegangen werden kann.


VG Stade, 20.10.2020 - Az: 6 B 1479/20

ECLI:DE:VGSTADE:2020:1020.6B1479.20.00

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