Im Wege der einstweiligen Anordnung wird vorläufig festgestellt, dass § 7 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 (Sächsische Corona-Schutz-Verordnung – SächsCoronaSchVO) mit Art. 18 Abs. 1 SächsVerf unvereinbar sind. Im Übrigen werden die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Hierzu führte das Gericht u.a. aus:
Ergingen die beantragten einstweiligen Anordnungen nicht und hätten die Verfassungsbeschwerden Erfolg, wäre die Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 Quadratmetern, von der hier die Antragstellerinnen erfasst sind, mit ihren erheblichen und voraussichtlich teilweise auch irreversiblen Folgen zu Unrecht erfolgt.
Nach dem insoweit hinreichenden Vorbringen der Antragstellerinnen droht durch die angegriffenen Maßnahmen, soweit sie auf die von ihr betriebenen Ladengeschäfte Anwendung finden – namentlich § 7 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 3 Satz 1, 2 SächsCoronaSchVO –, eine weitgehende Verkürzung jedenfalls ihrer grundrechtlich geschützten Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 28 Abs. 1 SächsVerf, weil sie trotz fortlaufender Kosten durch die angeordnete vollständige Schließung dieser Ladengeschäfte nicht wie bisher geschäftsmäßig tätig sein noch ihren Betrieb aufrechterhalten können. Es kommt zu einem schwerwiegenden und teils irreversiblen Eingriff in die geschützte Berufsfreiheit mit erheblich nachteiligen wirtschaftlichen Folgen, die bis hin zu einer existenzbedrohenden Situation reichen können. Diese Gefahr ist ungeachtet möglicher anderweitiger Vertriebswege oder einer etwaigen Milderung der Folgen durch Hilfsprogramme staatlicher Stellen und sonstige Unterstützungsmaßnahmen jedenfalls nachvollziehbar.
Die angegriffenen Bestimmungen verstoßen voraussichtlich in Bezug auf das Teil-Absperrverbot (§ 7 Abs. 1 Satz 3 und § 7 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 SächsCoronaSchVO) gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 18 Abs. 1 SächsVerf, weil sie im Wesentlichen gleiche Sachverhalte ungleich behandeln, obwohl nach derzeitigem Erkenntnisstand hierfür keine sachliche Rechtfertigung besteht, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Art. 18 Abs. 1 SächsVerf gebietet, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu regeln. Dabei ist es wiederum grundsätzlich Sache des Normgebers zu entscheiden, welche Merkmale er beim Vergleich von Lebenssachverhalten als maßgebend ansieht, um sie im Recht gleich oder verschieden zu behandeln (SächsVerfGH, Beschluss vom 28. August 2015 – Vf. 57-IV-15; Urteil vom 21. Juni 2012 – Vf. 77-II-11). Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Bei der Prüfung ist zu berücksichtigen, dass die Beschränkung der zulässigen Verkaufsfläche auf 800 Quadratmeter und das damit verbundene Verbot der Teilabsperrung nicht nur unerheblich in die Berufsausübungsfreiheit der Antragstellerinnen eingreifen.
Der Verfassungsgerichtshof lässt offen, ob die Freistellung diverser Geschäfte der Grundversorgung – wie etwa des Buchhandels – ohne Begrenzung der Verkaufsfläche nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 SächsCoronaSchVO, nicht aber von Ladengeschäften mit einem Sortiment wie dem der Antragstellerinnen aus infektionsschutzrechtlicher Sicht sachlich hinreichend gerechtfertigt ist (vgl. hierzu auch Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 27.04.2020 - Az:
20 NE 20.793 zur Parallelregelung im Freistaat Bayern). Entsprechendes gilt für die zulässige Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels und – dort sortimentsgebunden – Geschäften in Einkaufszentren, deren Verkaufsräume eine Fläche von 800 Quadratmetern nicht überschreiten, gegenüber dem generellen Öffnungsverbot für solche, deren Verkaufsfläche über dieser Größe liegen.
Unter Gleichheitsgesichtspunkten offenkundig nicht zu rechtfertigen ist indes das Verbot, die Ladenfläche durch Absperrung oder ähnliche Maßnahmen auf unter 800 Quadratmeter zu reduzieren, und zwar selbst dann, wenn dem Verordnungsgeber weiterhin und ungeachtet der im Zeitverlauf wachsenden Anforderungen an die Rechtfertigung der zur Pandemiebewältigung zu treffenden Maßnahmen ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zugebilligt wird. Der Verordnungsgeber geht davon aus, dass eine „Sogwirkung“ großfla¨chiger Einzelhandelsbetriebe auch bei einer entsprechenden Reduktion der Verkaufsfläche noch in relevantem Maße fortbesteht. Dem Verordnungsgeber ist zwar grundsätzlich eine Einschätzungsprärogative zuzubilligen. Nach derzeitigem Stand der Erkenntnis und der Strategien zur Bekämpfung der epidemiologischen Gefahrenlage ergeben sich aber keine hinreichend tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung zutrifft und für diesen Fall die Infektionsgefahr nicht durch die nach § 7 Abs. 3 SächsCoronaSchVO zu treffenden Sicherheitsmaßnahmen hinreichend begrenzt werden kann.