Die Grundsätze der Anscheinsvollmacht sind auch beim
Erwerb digitaler Inhalte über Online-Vertriebsplattformen anwendbar, wenn ein fremdes Nutzerkonto zur Durchführung der Transaktion verwendet wird. Maßgeblich ist, ob der Inhaber des Nutzerkontos durch sein Verhalten einen zurechenbaren Rechtsschein gesetzt hat, wonach die Nutzung seines Kontos für entsprechende Käufe autorisiert war.
Für die Zurechnung von In-App-Käufen über ein fremdes Konto ist zunächst entscheidend, dass der Plattformbetreiber mangels persönlicher Identitätsprüfung regelmäßig nicht erkennen kann, wer tatsächlich hinter einem Konto handelt. Der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die Zurechnung ist daher das Vertrauen auf die Autorisierung der Transaktionen durch den Kontoinhaber selbst. Eine Anscheinsvollmacht liegt vor, wenn dieser den Anschein erweckt hat, ein Dritter sei zur Nutzung des Kontos befugt, und er bei pflichtgemäßer Sorgfalt das Handeln des Dritten hätte erkennen und verhindern können (vgl. BGH, 11.05.2011 - Az:
VIII ZR 289/09; BGH, 06.04.2017 - Az:
III ZR 368/16).
Ein zurechenbarer Rechtsschein entsteht insbesondere dann, wenn über einen längeren Zeitraum eine Vielzahl von Transaktionen über ein Konto erfolgt, ohne dass der Inhaber einschreitet. Eine bloß kurzzeitige unautorisierte Verwendung eines Nutzerkontos genügt demgegenüber regelmäßig nicht. Wird ein Konto jedoch über einen Zeitraum von mehreren Monaten oder Jahren unbeanstandet für Käufe genutzt und bleiben E-Mail-Benachrichtigungen, Rechnungen oder Kreditkartenbelastungen unbeachtet, ist der Rechtsschein einer fortdauernden Autorisierung zurechenbar gesetzt.
Die schuldhafte Mitverursachung des Rechtsscheins setzt voraus, dass der Kontoinhaber bei pflichtgemäßer Sorgfalt in der Lage gewesen wäre, das Handeln des tatsächlichen Nutzers zu verhindern. Dazu gehören insbesondere die Pflicht zur regelmäßigen Kontrolle der Kreditkartenabrechnungen, die Überwachung des hinterlegten E-Mail-Kontos sowie die Nutzung vorhandener Sicherheitsmechanismen der Plattform wie Budgetbegrenzungen, Passwörter oder Familienkonten mit Genehmigungsfunktionen. Unterbleiben solche Kontrollmaßnahmen, ist die Annahme einer zurechenbaren Anscheinsvollmacht gerechtfertigt.
Der Umstand, dass die unautorisierte Nutzung durch einen Minderjährigen erfolgt, steht der Anwendung der Anscheinsvollmacht nicht entgegen, sofern der Minderjährige bereits beschränkt geschäftsfähig ist (
§ 104 Nr. 1, § 165 BGB). Maßgeblich ist allein die Geschäftsfähigkeit des Vertretenen, nicht die des Handelnden. Eine andere Beurteilung wäre nur dann geboten, wenn der Minderjährige völlig geschäftsunfähig wäre.
Die Anwendung der Grundsätze der Anscheinsvollmacht führt dazu, dass der Plattformbetreiber berechtigt ist, von einem wirksamen Vertragsschluss mit dem Kontoinhaber auszugehen. Der Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB scheidet in diesem Fall aus, da ein Rechtsgrund in Form des jeweils wirksam zustande gekommenen Kaufvertrags besteht. Der Plattformbetreiber durfte darauf vertrauen, dass die über das Konto abgegebenen Willenserklärungen vom Inhaber autorisiert oder zumindest gebilligt waren.
Hinsichtlich des anwendbaren Rechts ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Rom-II-VO i. V. m. Art. 6 Abs. 1 Rom-I-VO, dass deutsches Sachrecht maßgeblich ist, wenn der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat und der Unternehmer seine Tätigkeit auch auf den deutschen Markt ausrichtet. Selbst wenn das Vertragsverhältnis lediglich vermeintlich besteht, genügt es für die Bestimmung des Bereicherungsstatuts, dass zwischen den Parteien eine enge Verbindung über das zugrunde liegende Rechtsverhältnis besteht.
Für den Plattformbetreiber als Anbieter digitaler Inhalte auf dem Massenmarkt besteht keine Pflicht zur Überprüfung der tatsächlichen Identität des Nutzers, solange keine objektiven Anhaltspunkte für eine unautorisierte Nutzung des Kontos bestehen. Auch der Umstand, dass die erworbenen Inhalte altersgemäß Kindern zuzuordnen sein könnten, reicht nicht aus, um Zweifel an der Autorisierung durch den Kontoinhaber zu begründen.