Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufforderung, ein Masern-Impfnachweis vorzulegen, kommt es auf den Zeitpunkt dieser Aufforderung an.
Das ärztliche Zeugnis zur Befreiung vom Nachweis der Masern-Impfung darf sich nicht damit begnügen, den Gesetzeswortlaut zum Bestehen einer medizinischen Kontraindikation zu wiederholen, sondern muss wenigstens solche Angaben zur Art der Kontraindikation enthalten, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen, das ärztliche Zeugnis auf die Plausibilität hin zu überprüfen.
Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:
Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Wiederherstellung ihrer beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach anhängigen Klage gegen zwei Bescheide der Antragsgegnerin vom 21. April 2021 weiter. Mit diesen Bescheiden war den Antragstellern jeweils unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgegeben worden, bis zum 7. Juni 2021 für ihre gemeinsame am 28. August 2010 geborene Tochter einen Nachweis über die Immunität gegen Masern oder über eine medizinische Kontraindikation des Kindes gegen eine Masernschutzimpfung vorzulegen.
Den von den Eltern zusammen mit ihrer Klage erhobenen Eilantrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Mai 2021 abgelehnt. Im Eilverfahren gehe das Gericht bei summarischer Prüfung davon aus, dass die als Rechtsgrundlage in Frage kommenden § 20 Abs. 9 bis 14 IfSG nicht so offensichtlich verfassungswidrig seien, dass ihre Nichtanwendung im Eilverfahren in Betracht komme. Für die Tochter der Antragsteller liege kein hinreichend aussagekräftiges ärztliches Zeugnis über eine Immunität oder eine medizinische Kontraindikation gegen eine Masernschutzimpfung vor. Da ihre Tochter minderjährig sei, treffe die Antragsteller als Eltern die Verpflichtung eines entsprechenden Nachweises. Die vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 14. August 2020 sei inhaltlich nicht geeignet, eine medizinische Kontraindikation nachzuweisen. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG sei dahin zu verstehen, dass es für einen entsprechenden Nachweis nicht ausreiche, wenn das ärztliche Zeugnis - wie hier - lediglich den Gesetzeswortlaut wiederhole. Es müsse dem zuständigen Gesundheitsamt und dem Gericht zumindest möglich sein, das ärztliche Zeugnis auf seine Plausibilität hin zu überprüfen. Darüber hinaus bestünden Zweifel an der Glaubhaftigkeit der bescheinigten Kontraindikation, die den Beweiswert des ärztlichen Zeugnisses erschütterten. So bescheinige das Zeugnis eine Kontraindikation „im Kindes- und Jugendalter“. Es sei nicht ersichtlich, welche der vom Robert-Koch-Institut beschriebenen Kontraindikationen vorliegen solle, die nach dem Eintritt in das Erwachsenenalter verschwinden könnte. Das Verhalten und einzelne Aussagen der Antragstellerin zu 1 im Verfahren ziehe die Glaubhaftigkeit des ärztlichen Zeugnisses weiter in Zweifel. Diese habe insbesondere angedeutet, dass bei ihrer Tochter eine chronische Erkrankung vorliege. Warum diese nach Eintritt in das Erwachsenenalter entfallen solle, erschließe sich dem Gericht nicht. Eine Verlängerung der Frist zur Erfüllung der Nachweispflicht gem. § 20 Abs. 10 Satz 1 IfSG komme nicht in Betracht, da das Kind der Antragsteller am Stichtag des 1. März 2020 bereits eine Grundschule besucht habe und damit nun ein Wechsel der Gemeinschaftseinrichtung vorliege, für den die verlängerte Frist nicht gelte.
Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde. Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die alleinige Bestätigung einer Kontraindikation im ärztlichen Zeugnis nicht ausreiche, könne nicht gefolgt werden. Die Anforderungen an das Attest habe der Gesetzgeber hinreichend bestimmt und normenklar beschrieben. Der Bundesrat gehe in einer Entschließung vom 28. Mai 2021 (BR-Drs. 426/21) selbst davon aus, dass weitergehende Angaben zum medizinischen Grund der Kontraindikation im ärztlichen Zeugnis nicht enthalten sein müssten. Das ärztliche Zeugnis vom 14. August 2020 sei auch nicht unglaubhaft. Eine Beschränkung des ärztlichen Beurteilungsspielraums anhand der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim Robert-Koch-Institut sei vom Gesetzgeber ausdrücklich nicht gewollt gewesen. Ein entsprechender Vorschlag des Bundesrats habe keinen Eingang in den Gesetzestext gefunden.
Mit der Beschwerde legten die Antragsteller ein weiteres ärztliches Zeugnis vom 4. Juni 2021 vor. Darin ist ausgeführt: „Bei o.g. Patientin besteht eine medizinische Kontraindikation für eine Masernimpfung im Kindes- und Jugendalter. Die zeitliche Begrenzung der Phase Kindes- und Jugendalter besteht deshalb, da das Immunsystem und die körperliche Entwicklung der Patientin noch nicht ausgereift ist, und sie daher vulnerabler ist. Eine Neubewertung muss daher im Erwachsenenalter nach Ausreifung erfolgen und vom zuständigen Facharzt der Erwachsenenmedizin. (…) Die obige Patientin hat durch ihre besondere Anamnese ein obiges Attest bekommen.“
Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen und verteidigt den angegriffenen Beschluss. Auf das neue ärztliche Zeugnis komme es für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide nicht an. Abgesehen davon sei auch damit eine medizinische Kontraindikation nicht nachgewiesen.
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