Ohne Suche zum Ziel. Wir lösen Ihr Rechtsproblem!Bewertung: - bereits 392.390 Anfragen

Kontaktbeschränkungen und die Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen

Corona-Virus | Lesezeit: ca. 17 Minuten

Mit seinem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgt der Antragsteller das Ziel, den Vollzug von § 3 Abs. 1 sowie § 24 Abs. 1 Nr. 1 - betreffend die von der Kreisverwaltungsbehörde festzulegende Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen - der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30. Oktober 2020 (2126-1-12-G, BayMBl. Nr. 616, im Folgenden: 8. BayIfSMV) vorläufig auszusetzen.

Der Antragsteller, der in Bayern lebt, trägt zur Begründung seines mit Schriftsatz vom 2. November 2020 gestellten Eilantrags vor, an seinem Wohn- und Arbeitsort täglich Zonen mit Maskenpflicht durchqueren zu müssen, die sich regelmäßig änderten. Seine Lebensgefährtin, sein Bruder und seine Eltern lebten nicht in seinem Haushalt. Er treffe sich regelmäßig alleine oder mit seiner Lebensgefährtin mit Freunden in Gruppen von bis zu fünf Personen. In rechtlicher Hinsicht führt er an, dass eine summarische Prüfung von Rechtsfragen im Eilverfahren nicht ausreiche. Für die Kontaktbeschränkung in § 3 Abs. 1 8. BayIfSMV bestehe keine Rechtsgrundlage. Kleine Gruppen von drei Personen stellten keine „sonstige Ansammlung“ nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG dar. Das Kontaktverbot sei im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG unverhältnismäßig, weil es Familien aus verschiedenen Haushalten untersage, sich gemeinsam zu treffen. § 24 Abs. 1 Nr. 1 8. BayIfSMV sei unverhältnismäßig, weil er nicht verlange, dass die Kreisverwaltungsbehörde die Maskenpflicht auf den von der Kreisverwaltungsbehörde festgelegten Plätzen deutlich kennzeichne. Es sei unzumutbar, jeden Tag erneut und für jeden Ort, an dem man sich gerade befinde, die aktuelle Lage zu ermitteln. Ortsunkundigen würden nicht erbringbare Ermittlungsleistungen abverlangt.

Hierzu führte das Gericht aus:

Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ist in vollem Umfang zulässig. Der Antrag ist aber unbegründet.

Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrags in der Hauptsache gegen § 3 Abs. 1 8. BayIfSMV (Kontaktbeschränkung) und § 24 Abs. 1 Nr. 1 8. BayIfSMV (weitergehende Maskenpflicht) sind unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei der nur möglichen summarischen Prüfung als offen anzusehen (2.). Eine Folgenabwägung geht zulasten des Antragstellers aus (3.).

1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn - wie hier - die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.

Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist.

2. Nach diesen Maßstäben geht der Senat davon aus, dass die Erfolgsaussichten der Hauptsache bei der nur möglichen, aber ausreichenden summarischen Prüfung offen sind.

a) Der Senat hat nicht unerhebliche Zweifel geäußert, ob erhebliche Grundrechtseingriffe - jedenfalls im Bereich der Gastronomie, der von den pandemiebedingten Schutzmaßnahmen seit März 2020 schwer getroffen wurde - noch mit den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts bzw. des Bestimmtheitsgebots aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG vereinbar sind. Dabei hat er darauf abgestellt, dass mit zunehmender Dauer der Maßnahmen und Intensität der mit ihnen verbundenen Grundrechtseingriffe die Frage an Gewicht gewinnt, ob die Verordnungsermächtigung zugunsten der Ländern in den §§ 28, 32 IfSG noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG genügt. Im Hinblick auf künftige Verordnungen hat er es als fraglich bewertet, ob die bundesweit gegebene infektionsrechtliche Gefährdungslage weiterhin allein auf der Grundlage landesrechtlicher Verordnungen ohne vorheriges Tätigwerden des hierzu berufenen Bundesgesetzgebers behandelt werden kann.

Hieran hält der Senat fest. Die endgültige Klärung dieser Frage bedarf aber einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren, so dass der Senat von offenen Erfolgsaussichten ausgeht. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht, die Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Im Verfahren des fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes dürfen Entscheidungen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Unter welchen Voraussetzungen etwas anderes gilt, etwa in Fällen, in denen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, kann dahinstehen. Anhaltspunkte dafür, dass das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht hat der Antragsteller nicht dargetan; solche sind für den Senat auch sonst nicht erkennbar.

b) Der Annahme offener Erfolgsaussichten stehen auch die vom Antragsteller gegen die Regelungen der § 3 Abs. 1 und § 24 Abs. 1 Nr.1 8. BayIfSMV vorgebrachten Einwendungen nicht entgegen. Im Rahmen einer prognostischen Einschätzung erweisen sich die angegriffenen Maßnahmen derzeit wohl als verhältnismäßig.

aa) Die Kontaktbeschränkung in § 3 Abs. 1 8. BayIfSMV kann dem Grunde nach - vorbehaltlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Parlamentsvorbehalt bzw. Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG (vgl. oben Rn. 21) - voraussichtlich auf die Generalklausel in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt werden. Die vom Antragsteller aufgeworfene Rechtsfrage, welcher Personenzahl es mindestens bedarf, damit eine „Ansammlung“ i.S.d. § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG vorliegt, kann deshalb dahinstehen.

Der Senat kann bei summarischer Prüfung auch nicht erkennen, dass sich die Beschränkung des gemeinsamen Aufenthalts auf Angehörige des eigenen Hausstands und zusätzlich Angehörige eines weiteren Hausstands bei einer Gesamtzahl von höchstens zehn Personen in der gegenwärtigen Pandemielage aus der im Eilverfahren maßgeblichen ex-ante-Sicht im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG als offensichtlich nicht notwendig (§ 28 Abs. 1 Satz 1 HS 1 IfSG) und damit unverhältnismäßig erweisen sollte, weil sich in unterschiedlichen Hausständen lebende Familienangehörige gegebenenfalls nicht gleichzeitig, sondern in kleineren Gruppen treffen müssen.

bb) Die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung (MNB) war nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats als Bestandteil früher geltender Gesamtkonzepte verschiedener Fassungen der BayIfSMV zum Schutz vor einer ungehinderten Ausbreitung bzw. zur Kontrolle des Infektionsgeschehens voraussichtlich von der Ermächtigungsgrundlage in § 28 Abs. 1 IfSG gedeckt. Die dort dargelegten Erwägungen gelten entsprechend für die in § 24 Abs. 1 Nr. 1 8. BayIfSMV eingeräumte Möglichkeit der Kreisverwaltungsbehörde, stark frequentierte öffentliche Plätze festzulegen, auf denen Maskenpflicht besteht.

Dass die Norm nicht vorgibt, dass die die Maskenpflicht durch Schilder vor Ort deutlich kennzeichnet werden muss, macht sie entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht rechtsfehlerhaft. Maßgeblich ist vielmehr, ob der von der Kreisverwaltungsbehörde getroffenen Festlegung, an welchen stark frequentierten öffentlichen Plätzen die Maskenpflicht besteht, der jeweilige Geltungsbereich eindeutig entnommen werden kann.

3. Die Folgenabwägung ergibt, dass die Interessen der Gesamtbevölkerung am Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) die Interessen des Antragstellers, sich mit Personen aus mehr als zwei Hausständen gemeinsam zu treffen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG) und keine Mund-Nase-Bedeckung auf stark frequentierten öffentlichen Plätzen tragen zu müssen (Art. 2 Abs. 1 GG), überwiegen.

Das pandemische Geschehen hat sich erheblich verstärkt. Nach dem Lagebericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 9. November 2020 ist eine weitere Zunahme der Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Die Inzidenz der letzten sieben Tage ist deutschlandweit weiter auf 139 Fälle pro 100.000 Einwohner angestiegen. Der Anteil der COVID-19-Fälle in der älteren Bevölkerung nimmt wieder zu. Die 7-Tage-Inzidenz liegt u.a. in Bayern über der bundesweiten Gesamtinzidenz. In zahlreichen Landkreisen kommt es zu einer zunehmend diffusen Ausbreitung von SARS-CoV-2-Infektionen in der Bevölkerung, ohne dass Infektionsketten eindeutig nachvollziehbar sind. Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fälle ist in den vergangenen zwei Wochen von 1.362 Patienten am 26. Oktober 2020 auf 3.005 Patienten am 9. November 2020 angestiegen, wobei in den vergangenen Wochen eine deutliche Tendenz zu einem exponentiellen Anstieg zu beobachten ist. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch. Nach wie vor gibt es keine zugelassenen Impfstoffe und die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex und langwierig.

In dieser Situation ergibt die Folgenabwägung, die auch die Bedeutung der angegriffenen Normen für die praktische Wirksamkeit des vom Normgebern zugrunde gelegten Schutzkonzepts einbezieht, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Normen - im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten durch Ausweitung der Kontaktmöglichkeiten und der Gefahr einer Übertragung von SARS-CoV-2 auf stark frequentierten öffentlichen Plätzen, schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Interessen des Antragstellers. Gegenüber den somit bestehenden Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG verpflichtet ist, müssen die Interessen der von den Kontaktbeschränkungen und der Maskenpflicht Betroffenen derzeit zurücktreten, zumal die Pflege einzelner (familiärer) Kontakte grundsätzlich nicht beeinträchtigt wird.


VGH Bayern, 10.11.2020 - Az: 20 NE 20.2477

Wir lösen Ihr Rechtsproblem! AnwaltOnline - empfohlen von WDR „Mittwochs live“

Fragen kostet nichts: Schildern Sie uns Ihr Problem – wir erstellen ein individuelles Rechtsberatungsangebot für Sie.
  Anfrage ohne Risiko    vertraulich    schnell 

So bewerten Mandanten unsere Rechtsberatung

Durchschnitt (4,85 von 5,00 - 1.239 Bewertungen) - Bereits 392.390 Beratungsanfragen

Sehr schnelle und ausführliche Beratung, die wirklich weiter hilft. Diese Unterstützung nehmen wir gerne wieder in Anspruch!

Verifizierter Mandant

Ich bin in allen Bewertungspunkten vollumfänglich zufrieden. Mein Anliegen wurde schnell, umfassend, klar strukturiert bearbeitet und das Ergebnis ...

Verifizierter Mandant