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Messung der Körpertemperatur an Schulen

Corona-Virus | Lesezeit: ca. 20 Minuten

Der Antragsteller, Schüler der 6. Klasse, wendet sich gegen die Anordnung des Antragsgegners, zur Messung der Körpertemperatur an Schulen.

Er besucht ab dem 2. Juni 2020 wieder den Präsenzunterricht in einem Schulgebäude im Gebiet des Antragsgegners. Die Schule verfügt über einen Hygieneplan.

Der Antrag bleibt ohne Erfolg.

Vorliegend erweist sich die Allgemeinverfügung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes jedenfalls nicht offensichtlich als rechtswidrig.

Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in §§ 29 bis 31 IfSG genannten, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Nach § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG werden die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) insoweit eingeschränkt.

Der Anwendungsbereich des § 28 IfSG ist grundsätzlich eröffnet. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass es sich bei der Erkrankung COVID-19 um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG handelt. Eine übertragbare Krankheit mit einer erheblichen Anzahl von Erkrankungen mit teilweise letalem Ausgang ist festgestellt. Es ist nicht ernstlich streitig, dass derzeit weiterhin - trotz Rückgangs insbesondere der Fallzahlen von Neuinfektionen - eine nach dem Infektionsschutzgesetz zu bekämpfende übertragbare Krankheit festzustellen ist. Dass es sich bei der Coronavirus-Krankheit COVID-19 um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG handelt, unterliegt keinem Zweifel. Sie ist im ganzen Bundesgebiet - einschließlich Thüringen - nach der Einschätzung des vom Gesetzgeber durch § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 IfSG hierzu vorrangig berufenen Robert Koch-Instituts - nachdem die Weltgesundheitsorganisation bereits seit dem 11. März 2020 von einer weltweiten Pandemie ausgeht - verbreitet.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist das Fiebermessen vor dem Betreten der Schule nicht ersichtlich unverhältnismäßig und insbesondere ungeeignet.

Nach der derzeit maßgeblichen Einschätzung des RKI handelt es sich bei der COVID-19-Pandemie um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche Krankheitsverläufe kommen vor. Die Anzahl der neu übermittelten Fälle ist zurzeit rückläufig. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit jedoch weiterhin insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch. Zwar verläuft die Krankheit COVID-19 in der überwiegenden Zahl mild, die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Diese Gefährdung variiert von Region zu Region. Die Belastung des Gesundheitswesens hängt maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (Isolierung, Quarantäne, physische Distanzierung) ab und kann örtlich sehr hoch sein, wiewohl sie aktuell in weiten Teilen Deutschlands gering ist. Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern. Wie die Entwicklungen in Italien oder Frankreich gezeigt haben, kann ohne wirksame Gegenmaßnahmen eine Überlastung des Gesundheitswesens eintreten mit der Folge, dass aus Kapazitätsgründen nicht mehr alle Patienten, die einer intensivmedizinischen Behandlung bedürfen (insbesondere auch die zahlreichen Patienten, die eine Behandlung nicht wegen einer schweren Erkrankung an COVID-19 dringend benötigen), ausreichend versorgt werden können.

Nach der der Kammer allein möglichen summarischen Prüfung der vorliegenden sachverständigen Äußerungen. Es ist jedenfalls aktives Infektionsgeschehen vorhanden. Ohne weiterhin wirkende Gegenmaßnahmen sind eine Verbreitung des Corona-Virus und der Anstieg schwerer bis tödlicher Erkrankungen sowie eine damit einhergehende Überlastung des Gesundheitswesens immer noch zu befürchten. Ein exponentielles Wachstum der Infektionen mit unmittelbaren, nicht absehbaren Folgen für Gesundheit, Leib und Leben durch vorschnelle Aufhebung der Schutzmaßnahmen gilt es deshalb weiterhin zu vermeiden.

Die sehr weite Eingriffsermächtigung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG beschränkt sich nicht allein auf Maßnahmen gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern. Nach dem Wortlaut der Norm dürfen auch „Personen“, d. h. nicht nur Personen im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG (sog. Nichtstörer) bei denen noch nicht einmal ein Ansteckungsverdacht besteht, in Anspruch genommen werden. Die generelle Ermächtigung sollte ausweislich der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ausdrücklich auch gegenüber „Nichtstörern“ getroffen werden können. Ebenso lässt sich der Systematik des Gesetzes im Vergleich mit §§ 16 ff. IfSG im Ergebnis keine Beschränkung der Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG auf Nichtstörer entnehmen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb im Rahmen der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten weitere Befugnisse bestehen sollen, als in dem Fall, dass bereits eine Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit nötig geworden ist. Die Gefahrenlage ist hier deutlich höher. Durchgreifende verfassungsrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage sind im Rahmen einer summarischen Prüfung im Eilverfahren nicht festzustellen.

Hinsichtlich der Art und des Umfanges der Bekämpfungsmaßnahmen wird der Behörde durch die Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG ein Ermessen eingeräumt, denn es lässt sich nicht im Vorfeld für sämtliche Krankheiten bestimmen, welche Schutzmaßnahmen notwendig, d.h. zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit erforderlich sind. Darüber hinaus dürfen Maßnahmen nur getroffen werden, „solange“ sie erforderlich sind. Insgesamt sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt. Bei der Entscheidung für eine Schutzmaßnahme ist der zuständigen Stelle angesichts der bestehenden erheblichen Ungewissheiten und der sich ständig weiterentwickelnden fachlichen Erkenntnisse eine entsprechende Einschätzungsprärogative im Hinblick auf das gewählte Mittel einzuräumen, soweit sich nicht andere Maßnahmen eindeutig als gleich geeignet und weniger belastend darstellen. Angesichts einer erheblichen Risiko- und Gefahrenlage, aber nur beschränkten Erkenntnissen über Art, Ursache und Verbreitung der übertragbaren Krankheit, ist der Behörde - solange keine gegenläufigen gesicherten Tatsachen vorliegen - hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen ein Entscheidungsspielraum einzuräumen, dem auch notwendigerweise Pauschalierungen, Verallgemeinerungen und Generalisierungen innewohnen.

Vorliegend beschreibt das Robert Koch-Institut die Symptome von COVID-19 als unspezifisch und vielfältig. Von den erfassten Fällen weisen lediglich 41 % Fieber auf. Gleichzeitig ist klar, dass Fieber nicht notwendig auf eine Infektion mit COVID-19 hinweist, sondern es zahlreiche andere Ursachen geben kann. Dementsprechend weist das RKI im Rahmen einer Fachlichen Einschätzung zur Durchführung von Temperaturmessungen und anderen Methoden im Rahmen von Entry- und Exit-Screening an Flughäfen während der COVID-19-Lage, Deutschland darauf hin, dass im Hinblick auf Erkrankte, die keine Symptome entwickeln bzw. die in der Frühphase der Erkrankung zwar schon ansteckend, aber noch frei von Symptomen sind sowie unter Berücksichtigung der Möglichkeit der Einnahme fiebersenkender Mittel das Fiebermessen nicht dazu führt, dass sämtliche infizierte Personen erkannt werden. Das RKI weist zwar darauf hin, dass sich der Einsatz von Entry- und Exit-Screening-Maßnahmen an Flughäfen bei früheren Ausbrüchen von SARS (2003) und einer Pandemischen Influenza A (H1N1, 2009) nicht als wirksam erwiesen habe, um Fälle zu erkennen und die damit verbundenen erheblichen personellen Ressourcen in anderen Bereichen sinnvoller eingesetzt werden könnten. Gleichzeitig wird aber auch ausgeführt, dass ein Entry-Exit-Screening, wenn es zur Anwendung gelange, nur als ergänzende Maßnahme zu Informationsstrategien, epidemiologischen Untersuchungen, Ermittlung von Kontaktpersonen, Quarantäne und Labordiagnostik betrachtet werden dürfe.

Auch seien am Beginn des COVID-19-Ausbruchs vereinzelt Fälle bei Entry-Screening-Maßnahmen identifiziert worden, das Screening habe aber eine Ausbreitung in den Ländern nicht verhindern können. Dies lässt sich mit der Charakteristik der COVID-19-Erkrankung erklären. Jedenfalls kann im Rahmen einer summarischen Prüfung im Eilverfahren nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass eine Fiebermessung i.V.m. dem Unterrichtsausschluss angesichts des Umstandes, dass 41 % der Infizierten Fieber aufweisen, völlig ungeeignet ist, die Ausbreitung von COVID-19 einzuschränken, auch wenn dies angesichts der bisherigen Entwicklung in den anderen Landkreisen ggf. nicht zwingend erforderlich sein sollte.
Vorliegend geht es in erster Linie auch nicht um die vollständige Verhinderung der Ausbreitung, sondern um die Vermeidung eines exponentiellen Infektionsgeschehens. Hierzu trägt bereits jede Vermeidung weiterer Infektionen durch Unterbindung von Kontakt mit anderen bei, der in Einrichtungen mit einer Vielzahl an Personen regelmäßig besteht. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass die Temperaturmessung nicht die einzige Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie ist, wie die ThürSARS-CoV-2-MaßnFortentwVO sowie die schulischen Hygienepläne zeigen. Gleichzeitig weist der Antragsgegner darauf hin, dass der mit der Temperaturmessung verbundene Ressourceneinsatz in den Schulen vernachlässigt werden könne.

Darüber hinaus sieht die geltende Regelung in § 3 Abs. 2 ThürSARS-CoV-2-MaßnFortentwVO vom 12. Mai 2020 in der Fassung vom 4. Juni 2020 vor, dass bei sämtlichen Veranstaltungen oder Begegnungsmöglichkeiten sicherzustellen ist, dass Personen mit jeglichen Erkältungssymptomen, d.h. auch mit Fieber, auszuschließen sind. Ebenso sieht der Hygieneplan der Schule des Antragstellers vor, dass bei Krankheitszeichen (z.B. Fieber, Husten etc.) auf jeden Fall zu Hause geblieben werden solle.

Zwar sichert allein das Fiebermessen - ebenso wie die im Hygieneplan enthaltene Bestimmung, die Schule nicht mit Fieber zu besuchen - nicht, dass eine Nachverfolgung einer SARS-CoV-2-Infektion erfolgt. Allerdings muss die Allgemeinverfügung nicht bereits sämtliche Maßnahmen, die das Gesundheitsamt ergreifen könnte, regeln. Vielmehr steht es im Ermessen des Gesundheitsamtes des Antragsgegners, wie weiter zu verfahren ist. Jedenfalls dürfte schon die Vermeidung von Kontakten mit Personen mit Fieber in einer Schule dazu führen, dass die Gefahr der Verbreitung von Infektionen sinkt.

Soweit der Antragsteller rügt, eine Temperatur von 37,3°C könne auch schon durch körperliche Anstrengungen auf dem Schulweg erreicht werden, bleibt unberücksichtigt, dass der Antragsgegner diesen Wert ausweislich der Begründung der Allgemeinverfügung nur deshalb annimmt, weil er von einer Messung mit einem Infrarot-Thermometer in einem Abstand von 2 m ausgeht und hier regelmäßig niedrigere Werte im Vergleich zur Körperkerntemperaturmessung festgestellt werden. Der Antragsgegner legt seiner Entscheidung zugrunde, dass erst ab einer Körperkerntemperatur von 38°C Fieber vorliegt. Dementsprechend hat er die Regelung des § 1 c) der Allgemeinverfügung lediglich als Soll-Vorschrift ausgestaltet: „Die mit dem Infrarot-Thermometer gemessene Referenz-Körpertemperatur soll 37,3°C nicht übersteigen.“ Angesichts der Soll-Vorschrift und der Begründung der Allgemeinverfügung spricht einiges dafür, dass die Schule die konkrete Ungenauigkeitsquote des jeweiligen Fiebermessgerätes berücksichtigen und gegebenenfalls mehrfach messen muss. Auch wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass körperliche Anstrengungen zu einer erhöhten Temperatur führen, muss gegebenenfalls nach einer bestimmten Zeit nochmals gemessen werden.

Der mit der Allgemeinverfügung des Antragsgegners verbundene Eingriff in die Freiheitsrechte, die Körpertemperatur zu messen und den Schulbesuch bei Fieber zu untersagen, ist nicht ersichtlich ungeeignet, die Ansteckungsgefahr zu senken und damit ganz erhebliche Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung abzuwenden.

Die bei offenen Erfolgsaussichten notwendige Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Bei der Folgenabwägung sind dabei die Auswirkungen auf alle von der angegriffenen Regelung Betroffenen zu berücksichtigen, nicht nur die Folgen für den Antragsteller.

Würde der Aussetzungsantrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt, erwiese sich im Ergebnis des Hauptsacheverfahrens die Allgemeinverfügung aber als rechtswidrig, wäre zwar der Antragsteller - vorübergehend - in seinen Grundrechten beeinträchtigt. Der mit einer Messen der Körpertemperatur sowie der Untersagung des Schulbesuchs bei Vorliegen von Fieber verbundene Eingriff stellt sich im Vergleich mit anderen Maßnahmen zur Abwendung einer Pandemie wie dem Herunterfahren des öffentlichen Lebens nicht als derart schwerwiegend dar, zumal mit ihm keine dauerhafte und grundlegende Infragestellung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes verbunden ist.

Würde hingegen dem Aussetzungsantrag stattgegeben, erwiese sich die Allgemeinverfügung im Hauptsacheverfahren aber als rechtmäßig, träte damit eine konkrete - wie auch durch die Lage in anderen Staaten belegte - erhebliche allgemeine Risiko- und Gefährdungslage ein. Es bestehen keine sachlich begründbaren Zweifel daran, dass ein Schulbesuch trotz Fiebers zu einer Verstärkung von Infektionsketten führen kann, die wiederrum zum einen erhebliche Gefahren für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems zur Folge haben und zum anderen eine Gefahr für Gesundheit, Leib und Leben einer unüberschaubaren Vielzahl von Menschen begründen kann.


VG Gera, 05.06.2020 - Az: 3 E 737/20 GE

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Olaf Sieradzki