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Infektionsschutzgesetz - Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung

Corona-Virus | Lesezeit: ca. 14 Minuten

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen eine Verfügung des Antragsgegners, mit der die Schließung des Betriebs „XXX“ angeordnet und die diesbezügliche Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht wurde.

Der Antragsteller ist Inhaber des Betriebs „XXX“ in ZZZ. Der Betrieb besteht ausweislich des auf seinem Internetauftritt verfügbaren Dorf-Plans aus drei Einkaufsmöglichkeiten (u.a. „XXX Bauernmarkt“), fünf gastronomischen Angeboten (u.a. „Hof-Küche“), drei „Manufakturen“ (u.a. „Bonbon-Manufaktur“), fünf Angeboten aus der Kategorie „Tierisch“ (u.a. „Piep-Show“, „Ziegenstreichel-Gehege“ und „Kinder Bauernhof“) sowie 25 weiteren „Attraktionen“ (u.a. „Schatzhöhle“, „Kartoffelsack-Rutsche“, „Feuerwehr-Spritzenspiel“, Mini-GoKart-Bahn und Schießbude).

Hierzu führte das Gericht aus:

1. Der Antrag ist zulässig. Er ist insbesondere statthaft, weil der Widerspruch des Antragstellers gegen Nr. 1 der der Verfügung nach § 16 Abs. 8 IfSG (ggf. i.V.m. § 28 Abs. 3 IfSG) und gegen Nr. 3 der Verfügung nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 248 Abs. 1 Satz 2 des Landesverwaltungsgesetzes (LVwG) keine aufschiebende Wirkung hat.

2. Der Antrag ist nicht begründet. Die Schließungsverfügung (hierzu a) und die Androhung des unmittelbaren Zwangs (hierzu b) sind offensichtlich rechtmäßig.

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs hat zu erfolgen, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollziehungsinteresse des Antragsgegners überwiegt. Im Rahmen dieser Abwägung finden vor allem die Erfolgsaussichten in der Hauptsache bei einer summarischen Prüfung Berücksichtigung. Ist die angegriffene Allgemeinverfügung offensichtlich rechtswidrig, überwiegt in der Regel das Aussetzungsinteresse, ist sie hingegen offensichtlich rechtmäßig, überwiegt in der Regel das Vollziehungsinteresse. Lässt sich bei der Prüfung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO weder die Rechtmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Allgemeinverfügung feststellen, bedarf es zur Entscheidung einer weiteren Interessenabwägung. Diese Abwägung zwischen Aussetzungs- und Vollziehungsinteresse erfordert eine Gegenüberstellung der Folgen, die eintreten, wenn die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagt würde, das Verfahren in der Hauptsache hingegen Erfolg hätte. Diese Auswirkungen sind zu vergleichen mit den Nachteilen, die entstünden, wenn die aufschiebende Wirkung angeordnet würde, dem Rechtsbehelf in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre.

a) Die Schließungsanordnung (Nr. 1 der Verfügung) ist offensichtlich rechtmäßig.

aa) Sie kann zwar nicht auf § 16 Abs. 1 IfSG gestützt werden, jedoch auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Ob sie auch auf § 174 LVwG hätte gestützt werden können (Einhaltung der Rechtsordnung in Gestalt von § 10 Abs. 4 Corona-Bekämpfungsverordnung), kann deshalb dahinstehen.

Der Anwendungsbereich der §§ 16ff. IfSG ist nur und nur solange eröffnet, wie eine übertragbare Krankheit noch nicht aufgetreten ist. Ist im Zeitpunkt der Maßnahme bereits eine Erkrankung festgestellt worden, darf sich die zuständige Behörde allein auf die §§ 24ff. IfSG stützen, unabhängig davon, wo genau diese übertragbare Krankheit aufgetreten ist. Auch im Gebiet des Antragstellers sind jedoch bereits Personen an Covid-19 erkrankt, sodass die Maßnahmen hier auf § 28 Abs. 1 IfSG zu stützen sind.

Die Verwaltungsgerichte können die in einem Bescheid (im „Bescheidtenor“) verfügte Regelung auf einer anderen Rechtsgrundlage als der im Bescheid genannten aufrechterhalten, wenn dies die Identität der im Bescheid getroffenen behördlichen Regelung unberührt lässt. Das ist der Fall, wenn sie – wie vorliegend (vgl. § 1 Abs. 1 IfSG) – auf dasselbe Regelungsziel gerichtet bleibt und infolge des „Austauschs“ der Rechtsgrundlage keine Wesensänderung erfährt. Letzteres ist vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere eröffnen beide Vorschriften den zuständigen Behörden kein Handlungs-, wohl aber ein Auswahlermessen. Der Austausch beider Normen ließe zudem den Tenor der Grundverfügung (Nr. 1) unverändert. Er erforderte auch keine wesentlich anderen oder zusätzlichen Ermessenserwägungen.


bb) Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG liegen vor. Danach trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden. Im Gebiet des Antragsgegners wie in fast ganz Schleswig-Holstein gibt es bestätigte Infektionen mit dem neuartigen Corona-Virus SARS-CoV-2, welches die übertragbare Krankheit (im Sinne von § 2 Nr. 3 IfSG) Covid-19 auslöst.

Zwar hat die ursprüngliche Maßnahme – die Anordnung der Schließung von Freizeitparks – nicht der Antragsgegner, sondern die Landesregierung aufgrund der ihr in § 32 IfSG eingeräumten Befugnis durch eine Rechtsverordnung getroffen, deren Rechtmäßigkeit der Antragsteller auch insoweit nicht infrage stellt. Die zwangsweise Durchsetzung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Wege der Verwaltungsvollstreckung setzt jedoch grundsätzlich den vorherigen Erlass eines Verwaltungsakts voraus. Erst dadurch wird die abstrakt-generelle Verpflichtung des Gesetzes – hier § 10 Abs. 4 Corona-Bekämpfungsverordnung – für den Einzelfall konkretisiert und ein Vollstreckungstitel als materiell- und verfahrensrechtliche Grundlage für die Anwendung von Verwaltungszwang geschaffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Januar 2012 – 7 C 5/11 –, juris, Rn. 23).

Dies hat der Antragsgegner in rechtmäßiger Weise getan. Denn bei dem Betrieb des Antragstellers handelt es sich um einen Freizeitpark im Sinne von § 10 Abs. 4 Corona-Bekämpfungsverordnung.

Nach der Begründung der Verordnung gibt es in einem Freizeitpark „verschiedene Angebote und Einrichtungen, welche die Besucherinnen und Besucher nutzen können“. Beispielhaft („insbesondere“) werden Fahrgeschäfte in vielfältiger Form, gastronomische Angebote sowie Shows und Aufführungen genannt. Ein Freizeitpark gleiche dabei einer „institutionalisierten Großveranstaltung wie z.B. einem Volksfest“. Diese Umschreibung trifft auch auf den Betrieb des Antragstellers zu.

Dieser hat eine Gesamtfläche von gut 2,5 ha. Darauf wird den Besuchern eine breite Palette an Freizeitbeschäftigungen einschließlich gastronomischer Angebote, Fahrgeschäfte (Mini-GoKart Bahn, Traktor-Bahn) sowie – ausweislich der vom Antragsteller vorgelegten Begründung zum vorhabenbezogenen Bebauungsplan (S. 2 unter 2.2.) – Tiervorstellungen geboten. Die vom Antragsgegner genannte und vom Antragsteller nicht bestrittene Zahl von 500 gleichzeitig auf dem Gelände anwesenden Personen entspricht auch dem Begriff einer „institutionalisierten Großveranstaltung“, wie sich aus der Wertung in § 5 Abs. 1 Corona-Bekämpfungsverordnung ergibt, wonach Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen grundsätzlich untersagt sind.

Der Einordnung als Freizeitpark steht auch nicht entgegen, dass der Betrieb bauplanungsrechtlich oder nach dem Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung möglicherweise nicht als Freizeitpark anzusehen ist. Denn die Landesregierung hat in § 10 Abs. 4 Corona-Bekämpfungsverordnung i.V.m. der Begründung der Verordnung einen eigenständigen (infektionsschutzrechtlichen) Begriff des Freizeitparks eingeführt, der sich nicht mit dessen Definitionen in anderen Rechtsbereichen deckt und auch nicht decken muss. Eine solche „Relativität der Rechtsbegriffe“ ist in einer einheitlichen, aber je nach Sachbereichen differenzierten Rechtsordnung angelegt.

Schließlich verliert der Betrieb des Antragstellers auch nicht durch die vom Antragsteller vorgenommene Schließung einzelner Teile die Eigenschaft als Freizeitpark im Sinne der Corona-Bekämpfungsverordnung. Eine solche Differenzierung sieht die Verordnung nicht vor. Das dürfte angesichts der den Infektionsschutzbehörden bei einem dynamischen Infektionsgeschehen eingeräumten größeren Pauschalierungsbefugnis auch nicht erforderlich sein.

bb) Auf der Rechtsfolgenseite räumt § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG dem Antragsgegner ein Auswahlermessen ein. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Einzige Möglichkeit zur Durchsetzung der in § 10 Abs. 4 Corona-Bekämpfungsverordnung gesetzlich angeordneten Schließung von Freizeitparks war die Konkretisierung dieser Pflicht gegenüber dem Antragsteller durch Verwaltungsakt, um eine Grundlage für eine gegebenenfalls erforderliche Verwaltungsvollstreckung zu schaffen. Durch die Ausnahme der Gastronomie und des Bauernladens von der Schließungsverfügung (Nr. 2) hat der Antragsgegner die Eingriffstiefe für den Antragsteller sogar noch verringert.

b) Die Androhung des unmittelbaren Zwangs (Nr. 3) ist offensichtlich rechtmäßig.

Die Auswahl des Zwangsmittels liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde Dieses Ermessen hat der Antragsgegner zwar in seinem Bescheid nicht ausdrücklich ausgeübt. Das ist vorliegend jedoch unschädlich, weil sein Ermessen vorliegend auf Null reduziert war.

aa) Eine Ersatzvornahme kam vorliegend von vornherein nicht in Betracht. Bei der Schließung des Betriebs des Antragstellers handelt es sich nicht um eine vertretbare Handlung.

bb) Die Verhängung eines Zwangsgeldes war vorliegend untunlich. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn unmittelbarer Zwang zur Abwehr drohender Gefahren für bedeutende Rechtsgüter nötig ist, weil eine mit dem Versuch, den Willen des Verpflichteten zunächst durch ein Zwangsgeld zu beugen, verbundene Verzögerung nicht in Kauf genommen werden kann. Das ist vorliegend der Fall.

Der Betrieb des Antragstellers ist nach wie vor geöffnet. Das Pfingstwochenende, an dem wiederum mit einem erhöhten Besucherandrang zu rechnen sein dürfte, steht bevor. Auf das sich hieraus ergebende Infektionsrisiko musste der Antragsgegner schnell reagieren. Denn das -Koch-Institut, dessen Einschätzungen der Gesetzgeber im Bereich des Infektionsschutzes besonderes Gewicht einräumt schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland in seiner aktuellen Lageeischätzung vom 26. Mai 2020 weiterhin insgesamt als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch. Der Antragsgegner musste sich deshalb mit der sofortigen Androhung unmittelbaren Zwangs in die Lage versetzen, die Entstehung eines neuen Infektionsherds durch eigenes Handeln zu verhindern.


VG Schleswig, 28.05.2020 - Az: 1 B 92/20

ECLI:DE:VGSH:2020:0528.1B92.20.00

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