Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die nordrhein-westfälische Coronaschutzverordnung vom 22. März 2020.
1. Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen erließ am 22. März 2020 die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) vom 22. März 2020 (GV. NRW. S. 178a). Die Verordnung wurde auf §§ 32, 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 in der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Fassung gestützt. Nach der Änderung des Infektionsschutzgesetzes durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) erließ der Minister die Verordnung zur Änderung der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 30. März 2020 (GV. NRW. S. 202). Diese Verordnung trat mit Ablauf des 19. April 2020 außer Kraft. Sie wurde durch die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) vom 16. April 2020 (GV. NRW. S. 222a) ersetzt, die am 20. April 2020 in Kraft trat.
Die Coronaschutzverordnung enthält in ihrer bis einschließlich 19. April 2020 gültigen Fassung unter anderem Regelungen zu Betretensverboten für Reiserückkehrer aus Infektionsgebieten (§ 1), Besuchsverboten in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen (§ 2), Betriebsuntersagungen für Freizeit-, Kultur-, Sport- und Vergnügungsstätten (§ 3), Zugangsbeschränkungen zu Bibliotheken (§ 4), ferner Einschränkungen und Untersagungen im Handel (§ 5), Handwerk und Dienstleistungssektor (§ 7), im Bereich Tourismus (§ 8) und in der Gastronomie (§ 9). Die Verordnung trifft außerdem Regelungen zu Veranstaltungen und Versammlungen (§ 11) und zu Zusammenkünften und Ansammlungen im öffentlichen Raum (§ 12). Die Coronaschutzverordnung vom 16. April 2020 modifiziert und ergänzt einige dieser Regelungen, so etwa zur erweiterten Zulässigkeit von Handelseinrichtungen (§ 5 Abs. 2). Die Geltungsdauer der aktuell gültigen Verordnung ist befristet, sie tritt mit Ablauf des 3. Mai 2020 außer Kraft.
2. Der Beschwerdeführer hat am 19. April 2020 Verfassungsbeschwerde gegen die Coronaschutzverordnung vom 22. März 2020 in Gänze erhoben. Die Verordnung sei verfassungswidrig und geeignet, die verfassungsmäßige Ordnung im Land Nordrhein-Westfalen zu gefährden. Sie sei unverhältnismäßig und verletze ihn in zahlreichen Grundrechten. So könne er unter anderem einen Freund nicht im Krankenhaus besuchen und müsse vor Einzelhandelsgeschäften des täglichen Bedarfs Warteschlangen in Kauf nehmen. Auch sei die Vorbereitung dieser Verfassungsbeschwerde durch die Einschränkung des Bibliotheksbetriebs erschwert gewesen. Der Beschwerdeführer verweist auf zahlreiche Stellungnahmen und Quellen und hält keine reale, über das hinzunehmende Maß hinausgehende Gefahrensituation durch das Coronavirus SARS-CoV-2 für gegeben. Die getroffenen Maßnahmen seien daher viel zu weitgehend und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt gerechtfertigt. Die bisherigen Tests und die darauf gestützte Datenerhebung seien fehlerhaft, nicht aussagekräftig und wissenschaftlich nicht belastbar. Der Anstieg der Fallzahlen sei durch Regierung und Medien bislang stark irreführend präsentiert worden. Um aussagekräftige Daten zur Ausbreitung des Virus zu erhalten, müsse fortlaufend und regelmäßig ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung untersucht werden. Dies geschehe jedoch nicht. Die Hochrechnungen des Robert Koch-Instituts, der Bundesregierung, sonstiger Politiker oder Interessierter basierten somit allesamt nicht auf validen Zahlen. Im Vergleich seien etwa im Jahr 2018 mehr Menschen an der SARS-Influenza-Grippe gestorben, ohne dass es einen Aufschrei in der Bevölkerung, der Politik oder der Medizin gegeben habe.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1, § 59 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG durch die Kammer zurückgewiesen, weil sie unzulässig ist.
1. Es kann offen bleiben, ob dem Beschwerdeführer bereits das Rechtsschutzbedürfnis für seine Rechtssatzverfassungsbeschwerde deshalb fehlt, weil die von ihm ausdrücklich allein angegriffene Coronaschutzverordnung vom 22. März 2020 seit dem 20. April 2020 nicht mehr in Kraft ist und durch die Neufassung vom 16. April 2020 ersetzt wurde. Grundsätzlich entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde, wenn die von dem angegriffenen Rechtsakt ausgehende Beschwer deshalb wegfällt, weil die Vorschriften durch eine umfassende Neuregelung ersetzt worden sind. Die Verfassungsbeschwerde datiert vom 19. April 2020, bezieht aber die zu diesem Zeitpunkt bereits veröffentlichte Neufassung nicht in ihre Begründung ein. Auf die mit der Coronaschutzverordnung vom 16. April 2020 eingeführten Modifizierungen geht die Verfassungsbeschwerde nicht ein, sondern verweist unter dem Gesichtspunkt der gegenwärtigen Betroffenheit für den Fall einer Erledigung der Coronaschutzverordnung auf eine etwaige Wiederholungsgefahr und – ohne dies weiter zu spezifizieren – auf ihre Nachwirkung. Ob hier aufgrund des in zentralen Punkten inhaltsgleichen Regelungsgehalts der bis zum Ablauf des 19. April 2020 in Kraft gewesenen Coronaschutzverordnung einerseits und der aktuell gültigen Fassung andererseits eine Ausnahme vom obigen Grundsatz geboten ist, bedarf keiner Vertiefung. Gleiches gilt für die Frage, ob sich der Beschwerdeführer auf eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich des außer Kraft getretenen Rechtsakts berufen kann. Denn die Verfassungsbeschwerde ist aus anderen Gründen unzulässig.
2. Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg entgegen § 54 Satz 1 VerfGHG nicht erschöpft. Nach dieser Vorschrift kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden, wenn gegen die behauptete Verletzung der Rechtsweg zulässig ist. Der Beschwerdeführer richtet sich unmittelbar gegen Vorschriften der Coronaschutzverordnung und nicht gegen einen Umsetzungsakt. Auch diese Verordnung selbst kann er unmittelbar vor dem Oberverwaltungsgericht angreifen. Seit dem 1. Januar 2019 können Verordnungen des Landes gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 109a Justizgesetz NRW im Verfahren der Normenkontrolle durch das Oberverwaltungsgericht überprüft werden. Der hierdurch eröffnete Rechtsschutz kann den Bürgerinnen und Bürgern auch in der derzeitigen Situation zeitnah und effektiv gewährt werden, zumal kein Instanzenzug zu durchlaufen, sondern das Oberverwaltungsgericht erst- und letztinstanzlich zuständig ist. Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht auch eine einstweilige Anordnung erlassen.
Eine Entscheidung vor Erschöpfung dieses Rechtswegs ist nicht angezeigt. Diese Möglichkeit besteht gemäß § 54 Satz 2 VerfGHG ausnahmsweise, wenn die Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde. Zwar hat die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Coronaschutzverordnung allgemeine Bedeutung. Die Abwägung im Rahmen des dem Verfassungsgerichtshof durch § 54 Satz 2 VerfGHG eröffneten Ermessens fällt aber dennoch gegen eine sofortige Sachentscheidung des Verfassungsgerichtshofs aus. Eine derartige Vorabentscheidung kommt in der Regel nämlich dann nicht in Betracht, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen noch nicht aufgeklärt sind oder die einfachrechtliche Lage nicht hinreichend geklärt ist. Es obliegt vorrangig den Fachgerichten, einfachrechtliche Vorschriften auszulegen und die zur Anwendung der Vorschriften erforderlichen Ermittlungen sowie die Würdigung des Sachverhaltes vorzunehmen. Die grundsätzliche Notwendigkeit der Rechtswegerschöpfung soll dabei unter anderem gewährleisten, dass dem Verfassungsgerichtshof in der Regel nicht nur die abstrakte Rechtsfrage und der Sachvortrag des Beschwerdeführers unterbreitet werden, sondern dass auch die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch ein für diese Materie zuständiges Gericht vorliegt. Der Vorklärung durch die Fachgerichte kommt insbesondere dort Bedeutung zu, wo die Beurteilung der mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen die Prüfung tatsächlicher oder einfachrechtlicher Fragen voraussetzt, für die das Verfahren vor den Fachgerichten besser geeignet ist. Dies ist hier der Fall. Der Beschwerdeführer stützt seine Grundrechtsrügen insbesondere auf Erwägungen zur von ihm angenommenen Unverhältnismäßigkeit der mit der Coronaschutzverordnung einhergehenden Einschränkungen des wirtschaftlichen, sozialen und privaten Lebens. Die von ihm vorgebrachten Einwände gegen die bisherige Datenerhebung und die darauf gestützten Prognoseeinschätzungen der Landesregierung können sachgerecht durch das Oberverwaltungsgericht geklärt werden. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der angegriffenen Verordnung sind die tatsächliche Entwicklung und die Rahmenbedingungen der aktuellen Coronavirus-Pandemie sowie fachwissenschaftliche – virologische, epidemiologische, medizinische und psychologische – Bewertungen und Risikoeinschätzungen von wesentlicher Bedeutung. Dies gilt umso mehr, als der Beschwerdeführer selbst auf zahlreiche Quellen verweist, welche zu anderen fachwissenschaftlichen Einschätzungen als etwa das Robert Koch-Institut gelangen sollen. Damit besteht gerade in tatsächlicher Hinsicht Bedarf an einer fachgerichtlichen Aufbereitung der Entscheidungsgrundlagen vor einer Anrufung des Verfassungsgerichtshofs.
Soweit der Beschwerdeführer hierzu geltend macht, die Anrufung der Fachgerichte sei aussichtslos, weil das Oberverwaltungsgericht im einstweiligen Rechtsschutz gestellte Anträge zurückgewiesen habe, was Erfolgsaussichten auch in der Hauptsache unwahrscheinlich mache, leuchtet dies nicht ein. Die rechtliche Bewertung in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lässt gerade in einer tatsächlich und rechtlich komplexen Sachlage wie der aktuellen Coronavirus-Pandemie keine belastbaren Rückschlüsse auf die Erkenntnisse und Ergebnisse eines Normenkontrollverfahrens im Hauptsachenrechtsschutz zu. Dem mit der vorliegenden Verfassungsbeschwerde vorzugreifen, lässt der in § 54 Satz 1 VerfGHG zum Ausdruck gebrachte Respekt vor der fachrichterlichen Entscheidungsfindung nicht zu. Insoweit liegt der Fall hier anders als derjenige eines Antragstellers, von dem im verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren das vorherige Nachsuchen um fachgerichtlichen Eilrechtsschutz zu denselben Rechtsfragen verlangt würde, zu denen ein solches Verfahren bereits ohne Erfolg geblieben ist (vgl. BVerfG, 07.04.2020 – Az: 1 BvR 755/20). Zu Unrecht beruft sich der Beschwerdeführer schließlich darauf, dass ihm durch die vorherige Anrufung des Oberverwaltungsgerichts und den damit verbunden Zeitablauf Nachteile entstehen würden. Nicht nur, dass der Beschwerdeführer diese Nachteile in keiner Weise erläutert, auch in der Sache überzeugt dies nicht. So wäre etwa fachgerichtlicher Eilrechtsschutz schon nicht mit erheblichen zeitlichen Einbußen verbunden. In Bezug auf ein etwaiges Hauptsacheverfahren ist der mit der Vorklärung durch die Fachgerichte einhergehende Zeitablauf in der vorliegenden Situation gerade kein Nachteil, sondern sinngerechte Konsequenz der von § 54 VerfGHG verlangten Rechtswegerschöpfung, um dem Verfassungsgerichtshof einen in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht aufbereiteten Sach- und Streitstoff zu unterbreiten.
Von einer weiteren Begründung des Beschlusses wird nach § 58 Abs. 2 Satz 4 VerfGHG abgesehen.