Nach Sinn und Zweck des Nachteilsausgleichs aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) ist maßgeblich, in welchem Ausmaß das Gehvermögen in einer dem Schwerbehinderten fremden Umgebung eingeschränkt ist. Unerheblich ist, ob das Gehvermögen ggfs. in vertrauter Umgebung besteht.
Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:
Bei dem geistig behinderten 12jährigen Kläger K besteht seit Geburt der Gendefekt Mikrodeletion 22q11.2 (hierbei ist ein winziger Teil der Erbinformation auf dem Chromosom 22 verloren gegangen. Jedes 4.000ste Neugeborene ist betroffen). Infolgedessen besteht eine globale Entwicklungsstörung (Störung der Körpermotorik, mittelschwere Intelligenzminderung mit Verhaltensstörung, fehlende Sprachentwicklung etc.).
Das beklagte Land Baden-Württemberg stellte u.a. einen GdB von 80 fest. Ks Antrag vom April 2016, auch die gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) festzustellen, lehnte es hingegen ab: Entscheidend sei, ob das Gehvermögen anhaltend auf das Schwerste eingeschränkt sei. K könne hier aber auf bekannten Wegen ohne Orthesen frei gehen.
Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das SG den Beklagten verpflichtet, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs aG festzustellen. Denn K bewege sich außerhalb des Hauses ausschließlich im Rollstuhl oder im Reha-Buggy. In nicht vertrauter Umgebung könne er nur sehr eingeschränkt laufen.
Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das LSG Baden-Württemberg zurückgewiesen:
Ks mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, wie sie in einer für ihn fremden Umgebung auftrete, entspreche einem GdB von mindestens 80. Sie sei vergleichbar dem Verlust beider Beine im Unterschenkel oder der Versteifung beider Hüftgelenke. Darüber hinaus sei sie auch erheblich, da sich K wegen der Schwere seiner Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeuges bewegen könne.
Zwar könne K in einer ihm bekannten Umgebung, insbesondere im häuslichen Bereich oder in der Schule, selbstständig eine Strecke von bis zu 1,5 km frei zurücklegen und habe dann auch eine große Ausdauer beim Gehen.
Der Nachteilsausgleich aG mit der Parkmöglichkeit auf Behindertenparkplätzen sei jedoch maßgeblich auf eine fremde Umgebung ausgerichtet. Denn damit sei bezweckt, die Gehstrecke in alltäglichen Angelegenheiten wie beim Arztbesuch, beim Einkaufen oder beim Besuch von kulturellen Einrichtungen zu integrieren.
In fremder Umgebung sei K aber verunsichert und benötige praktische Unterstützung bereits bei Entfernungen über wenige Meter. Dann könne er nur stark gebeugt im Kauergang laufen, müsse sich bei einer Betreuungsperson abstützen oder gar im Rollstuhl bzw. Reha-Buggy transportiert werden.