Billiger als eine fehlerhafte Berechnung: ➠ Unterhaltsberechnung über AnwaltOnlineDie 1998 geborene Antragstellerin (Ast) zu 1 ist alleinerziehende Mutter der 2017 geborenen Ast zu 2. Sie beziehen vom Antragsgegner (Ag) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Am 13.03.2020 beantragte die Ast zu 1 einen Mehrbedarf für Vorräte wegen des Coronavirus. Da schon alle Schulen, Kitas, Kinos usw. wegen dem Virus geschlossen hätten, stehe außer Frage, dass man bald unter Hausarrest stehe. Wegen der bei ihr festgestellten Herzpalpitation und Tachykardie sei es für sie zu riskant und unzumutbar, ständig einkaufen zu gehen, da die Geschäfte wegen der Hamsterkäufe überfüllt seien. Daher sei die Gefahr zu groß, dass sie sich anstecke.
Mit Bescheid vom 16.03.2020 lehnte der Ag den Antrag ab. Die beantragte Sonderleistung sei durch den gewährten Regelbedarf gedeckt und stelle nach den vorliegenden Unterlagen keinen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes dar. Hiergegen wurde Widerspruch eingelegt.
Am 27.03.2020 stellten die mittlerweile anwaltlich vertretenen Ast einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Sie tragen vor, sie würden wegen der hohen Ansteckungsgefahr im Rahmen der Coronakrise im Augenblick nicht ihre Wohnung verlassen. Rechtsgrundlage für ihren Anspruch sei § 21 Abs. 6 SGB II. Die Coronapandemie stelle eine atypische Situation in diesem Sinne dar. Da nicht absehbar sei, wann die Krise bewältigt werde, sei ein im Einzelfall unabweisbarer laufender Bedarf gegeben und nicht nur ein einmaliger besonderer Bedarf. Der Bedarf sei auch nicht ausgleichbar durch Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten. Die Vorerkrankungen würden sie zu einem besonders gefährdeten Menschen machen, dem es möglich sei, einer erhöhten Ansteckungsgefahr zu entgehen, wenn sie Vorräte für die Bedarfsgemeinschaft anschaffen dürfte. Unabhängig von der konkreten Höhe bestehe ein Mehrbedarf dem Grunde nach. Aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes (GG) sei die Frage aufzuwerfen, ob es eine andere Anspruchsgrundlage als § 21 Abs. 6 SGB II geben sollte. Schließlich sei ein Anordnungsgrund gegeben. Sie sei Risikopatientin, ihre Tochter ein minderjähriges Kind. Es stelle einen wesentlichen Nachteil dar, wenn erwartet werde, dass sie regelmäßig in den Supermarkt gingen, um dort für den kurzfristigen Bedarf einzukaufen.
Die Ast beantragen, den Ag im Rahmen der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen einen Mehrbedarf zur angemessenen Bevorratung mit Lebensmitteln während der Coronapandemie zu gewähren, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde.
Hierzu führte das Gericht aus:
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes der Ast vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnisses zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Neben einem Anordnungsgrund, der bei der Eilbedürftigkeit der Anordnung gegeben ist, setzt die Gewährung von einstweiligem Rechtschutz einen Anordnungsanspruch voraus. Dies ist ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet werden soll. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System der gegenseitigen Wechselbeziehung. Ist etwa die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund.
Alle Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes sind – unter Beachtung der Grundsätze der objektiven Beweislast – glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Die richterliche Überzeugungsgewissheit in Bezug auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes erfordern insoweit eine lediglich überwiegende Wahrscheinlichkeit. Wenn dem Gericht im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich ist, ist auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange der Ast umfassend in die Abwägung einzustellen.
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG nicht erfüllt. Nach der hier vorzunehmenden Prüfung der Erfolgsaussicht der Hauptsache erweist sich der angegriffene Bescheid vom 16.03.2020 als offensichtlich rechtmäßig. Ein Anordnungsanspruch ist zugunsten der Ast nicht gegeben.
Bei Leistungsberechtigten wird gemäß § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der besondere Bedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II). Mit § 21 Abs. 6 SGB II ist zur Umsetzung der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 (BVerfG, 09.02.2010 - Az: 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) eine Grundlage dafür geschaffen worden, einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf zu erfassen, wenn dies im Einzelfall zur Deckung eines menschenwürdigen Existenzminimums erforderlich ist.
Ob hier ein laufender, besonderer Bedarf geltend gemacht wird, kann dahinstehen. In der Gesetzesbegründung zu § 21 Abs. 6 SGB II wird hinsichtlich des laufenden Bedarfs ausgeführt, dass es sich um einen „regelmäßig wiederkehrenden, dauerhaften, längerfristigen, unabweisbaren atypischen oder um einen ausnahmsweise überdurchschnittlichen Bedarf“ handeln müsse (BT-Drs. 17/1465, S. 9). Weiter soll für die Beurteilung der Regelmäßigkeit auf den Bewilligungsabschnitt abgestellt werden. Im Hinblick darauf, dass der Bewilligungsabschnitt vorliegend erst am 31.01.2021 abläuft, erscheint es vorliegend fraglich, ob der geltend gemachte Mehrbedarf tatsächlich dauerhaft und langfristig besteht, denn ob die Einschränkungen wegen der Pandemie so lange währen, ist ungewiss und erscheint dem Gericht nicht überwiegend wahrscheinlich.
Der streitgegenständliche Bedarf ist jedenfalls nicht unabweisbar. Zum Merkmal der Unabweisbarkeit enthält das Gesetz in § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II eine Legaldefinition. Danach ist der Mehrbedarf unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Nach dem Wortsinn muss es sich zunächst in zeitlicher Hinsicht um einen unaufschiebbaren Bedarf handeln. Weitere Voraussetzung ist, dass der Bedarf nicht in anderer Weise gedeckt werden kann. In diesem Zusammenhang gilt es ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass Grundsicherungsleistungen subsidiär erbracht werden. Zum anderen wird mit der Forderung einer erheblichen Abweichung vom durchschnittlichen Bedarf eine Bagatellgrenze eingezogen. Die Formulierung zur Höhe der Leistung ist wiederum der Entscheidung des BVerfG entnommen, das von einem so erheblichen Bedarf spricht, dass das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet ist.
Der von den Ast geltend gemachte Bedarf weicht zur Überzeugung des Gerichts nicht erheblich vom durchschnittlichen Bedarf ab. Auf den Vortrag des Ag wird zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen verwiesen. Den Ast stehen zu Monatsanfang nach Abzug der Kosten der Unterkunft Geldleistungen i. H. v. 696,30 € zur Verfügung. Dem Gericht erschließt sich nicht, dass von diesem Betrag keine ausreichende Bevorratung mit notwendigen Gütern und Lebensmitteln für die Ast zu 1 und ihrer Tochter (Ast zu 2) für den laufenden Monat möglich sein soll. Da die Ast vortragen, dass Haus derzeit nicht zu verlassen, geht das Gericht davon aus, dass es unumgänglich ist, für die Bevorratung auf dritte Personen im Verwandten- und Bekanntenkreis zurückzugreifen. Dass diese einmalig im Monat einen Vorrat an lebensnotwendigen Gütern für die Ast aus dem Leistungen des Regelsatzes anlegen, erachtet das Gericht als vollkommen ausreichend. Die Notwendigkeit eines Mehrbedarfes zur Gewährleistung eines menschwürdigen Existenzminimums ist in Anbetracht dessen nicht gegeben. Ein Anordnungsanspruch scheidet mithin aus.
Letztlich ist auch ein Anordnungsgrund nicht gegeben. Keinesfalls wird von der Ast zu 1 erwartet, dass sie regelmäßig in den Supermarkt geht, um dort für den kurzfristigen Bedarf einzukaufen. Wie bereits dargelegt, ist es ausreichend, wenn zu Monatsanfang mit den zur Verfügung stehenden Geldmitteln eine Bevorratung durch Dritte für den gesamten Monat erfolgt. Ein wesentlicher Nachteil durch die Nichtgewährung eines Mehrbedarfes ist nicht ersichtlich.