Wird ein Rücksichtnahmeverstoß aufgrund von Immissionsbelastungen geltend gemacht, ist zur Konturierung der Zumutbarkeitsschwelle auf die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts, also auf die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen i.S. von § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG zurückzugreifen.
Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:
Die Antragstellerin wendet sich als Eigentümerin eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die geänderte Betriebsweise einer bestehenden Pferdekoppel mit Unterstand und Heulager auf einem an der gemeinsamen Erschließungsstraße gegenüberliegenden Grundstück.
Die der Beigeladenen ursprünglich erteilte Baugenehmigung vom 7. September 2016 enthielt u.a. Nebenbestimmungen zum Immissionsschutz. Danach durften auf der Koppel maximal drei Pferde gehalten werden. Die dauerhafte Unterbringung war nur in den Monaten November bis Februar gestattet. Außerhalb dieses Zeitraums durfte die tägliche Unterbringungszeit fünf Stunden nicht überschreiten. Kot war regelmäßig zu entfernen und musste außerhalb des Baugrundstücks gelagert werden.
Auf Antrag der Beigeladenen, die auf dem Baugrundstück auch ihre Tierarztpraxis betreibt, erteilte das zuständige Landratsamt die Änderungsgenehmigung vom 23. November 2021, die die immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen der ursprünglichen Baugenehmigung ausdrücklich neu fasst und bestimmt, dass die Pferdekoppel im Rahmen der tierärztlichen Tätigkeit zur Einstellung und Beobachtung von Patientenpferden sowie durch Dritte als Wechselkoppel genutzt werden darf. Es dürfen maximal fünf Pferde gehalten werden. Kot ist täglich zu entfernen. Zudem wurden Zeiten festgelegt, in denen die An- und Abtransporte der Pferde mit Kraftfahrzeugen und Anhängern stattzufinden haben.
Am 22. Dezember 2021 erhob die Antragstellerin gegen die Änderungsgenehmigung Klage, über die noch nicht entschieden ist. Ihren Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen und die Bauausführung zu stoppen, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 3. Mai 2022 abgelehnt. Die Antragstellerin könne keinen Gebietserhaltungsanspruch geltend machen. Ihr Grundstück befinde sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 12, der ein allgemeines Wohngebiet festsetze, während das Baugrundstück im unbeplanten Innenbereich liege, der wohl einem Misch- oder Dorfgebiet entspreche. Das Vorhaben verstoße auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Abgesehen davon, dass in Anbetracht der aneinandergrenzenden Baugebietstypen hier auch eine Mittelwertbildung in Betracht komme, bestünden bei der geringen Anzahl von Tieren und im Hinblick darauf, dass nächtliche An- und Abtransporte nicht erlaubt seien, keine Anhaltspunkte für die Überschreitung der „Lärmgrenzwerte“ eines allgemeinen Wohngebiets nach der hier jedenfalls als Orientierungshilfe anwendbaren TA Lärm. In Bezug auf Geruchsimmissionen sei nach der Ausarbeitung des Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ (Stand 12/2015) bei 5,5 GV an Pferden und einem Abstand von über 40 m zwischen einem Emissionsschwerpunkt und dem regelmäßigen Aufenthaltsort von Menschen in einem Wohngebiet von einer zumutbaren Situation auszugehen. Das Vorhaben mit einem Abstand zwischen Unterstand und Wohnhaus der Antragstellerin von ca. 40 m sei somit im Grenzbereich zwischen zu vermutender Unbedenklichkeit und erforderlicher Einzelfallprüfung anzusiedeln. Es seien hier aber keine Besonderheiten des Einzelfalls greifbar, die das Hervorrufen von erheblichen Geruchsbelästigungen plausibel erscheinen ließen. Hinsichtlich der Lage des östlich benachbarten Grundstücks der Antragstellerin in einer Westwindzone sei zu berücksichtigen, dass erst unter einem Abstand von 20 m erhebliche Geruchsbelästigungen stets zu vermuten und Pferdehaltungen nach der Ausarbeitung des Arbeitskreises grundsätzlich positiv bezüglich Sauberkeit zu bewerten seien. Überdies sei keine Mistlagerung auf dem Grundstück zulässig. Eventuell komme auch eine Vorbelastung durch die nahegelegene Reithalle in Betracht. Eine von der Antragstellerin vorgetragene Erkrankung und Schwerbehinderung oder Verstöße gegen die Baugenehmigung in der Vergangenheit seien nicht relevant.
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