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Aufklärungspflicht bei Covid-19-Impfungen mit einem mRNA-Impfstoff

Corona-Virus | Lesezeit: ca. 10 Minuten

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Einwilligung in eine Impfung nur wirksam, wenn über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt wurde. Einer solchen Risikoaufklärung bedarf es auch bei einer freiwilligen Impfung, und zwar selbst dann, wenn diese öffentlich empfohlen ist. Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht ist nicht ein bestimmter Grad der Risikodichte, insbesondere nicht eine bestimmte Statistik. Maßgebend ist vielmehr, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet. Grundsätzlich ist auch über äußerst seltene Risiken aufzuklären. Das gilt auch für öffentlich empfohlene Impfungen, bei denen die Grundimmunisierung der Gesamtbevölkerung zur Verhinderung einer epidemischen Verbreitung der Krankheit im öffentlichen Interesse liegt. In Fällen öffentlicher Impfempfehlung hat zwar durch die Gesundheitsbehörden eine Abwägung zwischen den Risiken der Impfung für den Einzelnen und seine Umgebung auf der einen und den der Allgemeinheit und dem Einzelnen drohenden Gefahren im Falle der Nichtimpfung auf der anderen Seite bereits stattgefunden. Das ändert aber nichts daran, dass die Impfung gleichwohl freiwillig ist und sich der einzelne Impfling daher auch dagegen entscheiden kann. Dieser muss sich daher nicht nur über die Freiwilligkeit der Impfung im Klaren sein. Er muss auch eine Entscheidung darüber treffen, ob er die mit der Impfung verbundenen Gefahren auf sich nehmen soll oder nicht. Das setzt die Kenntnis dieser Gefahren, auch wenn sie sich nur äußerst selten verwirklichen, voraus; diese Kenntnis muss ihm daher durch ärztliche Aufklärung vermittelt werden.

Für sogenannte Routineimpfungen ist es nach der Rechtsprechung des BGH in zeitlicher Hinsicht ausreichend, wenn der Impfling am Tag des Eingriffs aufgeklärt wird. Allerdings bedarf es zum Zwecke der Aufklärung auch in diesen Fällen des vertrauensvollen Gesprächs zwischen Arzt und Patienten. Das schließt jedoch nicht die Verwendung von Merkblättern aus, in denen die notwendigen Informationen zu dem Eingriff einschließlich seiner Risiken schriftlich festgehalten sind. Derartige schriftliche Hinweise sind heute weitgehend üblich und haben den Vorteil einer präzisen und umfassenden Beschreibung des Aufklärungsgegenstands sowie der für den Arzt wesentlichen Beweisbarkeit. Sie sind insbesondere bei Routinebehandlungen, also auch bei öffentlich empfohlenen Schutzimpfungen am Platze. Allerdings vermögen solche Merkblätter nicht das erforderliche Arztgespräch zu ersetzen, in dem sich der Arzt davon überzeugen muss, ob der Patient die schriftlichen Hinweise gelesen und verstanden hat, und das ihm die Möglichkeit gibt, auf die individuellen Belange des Patienten einzugehen und eventuelle Fragen zu beantworten. Doch gebietet dieses Erfordernis eines Aufklärungsgesprächs nicht in jedem Fall eine mündliche Erläuterung der Risiken. Unter Umständen, insbesondere bei öffentlich empfohlenen Impfungen, kann der Arzt ausnahmsweise davon ausgehen, dass der Patient auf eine zusätzliche gesprächsweise Risikodarstellung keinen Wert legt. Bei derartigen Routinemaßnahmen kann es genügen, wenn dem Patienten nach schriftlicher Aufklärung Gelegenheit zu weiteren Informationen durch ein Gespräch mit dem Arzt gegeben wird. Ob die Impfung in öffentlichen Impfterminen oder als Einzelimpfung vorgenommen wird, ist dabei nicht von maßgeblicher Bedeutung. Der BGH geht davon aus, dass aus dem Schweigen auf die Aussage, dass die Impfung nun vorgenommen werden könne, geschlossen werden kann, dass ein Bedürfnis nach weiterer Aufklärung nicht bestand (BGH, 15.02.2000 - Az: VI ZR 48/99).

Bei der streitgegenständlichen Impfung wurde ein neuartiger mRNA-Impfstoff verabreicht, der vorläufig von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zugelassen wurde. Aus diesem Grunde handelte es sich nicht um eine Routineimpfung im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung. Gleichwohl sind nach Auffassung der Kammer die dargelegten Grundsätze des BGH zu den sogenannten Routineimpfungen auf den vorliegenden Fall zu übertragen.

Die Ständige Impfkommission sprach für die streitgegenständliche COVID-19-Impfung unter dem 14.01.2021 (online verfügbar ab 17.12.2020) eine Empfehlung aus und gab dafür eine ausführliche wissenschaftliche Begründung (Epidemiologisches Bulletin 2/2021 des Robert-Koch-Instituts, STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung). Somit beruhte die Impfung auf einer öffentlichen Empfehlung. Die Corona-Pandemie war im Jahr 2020 das bestimmende Thema in Politik und Gesellschaft. Der mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer war seit Herbst 2020 Gegenstand der Berichterstattung in den Medien. Daher ist davon auszugehen, dass der Grund für die Impfung und der Impfstoff in der Bevölkerung allgemein bekannt war. Nach den klinischen Prüfungen, die eine hohe Wirksamkeit des Impfstoffs versprachen, war die Grundstimmung im überwiegenden Teil der Bevölkerung gegenüber der Impfung positiv. Bis heute haben 76,3 % der Bevölkerung zwei Impfdosen erhalten. Der Andrang in den Impfzentren überstieg in der Anfangszeit bei weitem die Zahl der verfügbaren Impfdosen. Die Impfung gegen COVID-19 mit mRNA-Impfstoffen war im ersten Halbjahr 2021 eine Massenimpfung von Millionen Menschen.

Würde man verlangen, dass vor jeder Impfung ein persönliches ausführliches ärztliches Aufklärungsgespräch erforderlich ist, wäre dies logistisch kaum zu leisten gewesen und hätte die Impfkampagne erheblich verzögert. Dies bedeutet nicht, dass auf das grundsätzliche Erfordernis eines persönlichen ärztlichen Aufklärungsgesprächs verzichtet werden kann. Bei dieser Gemengelage erscheint es aber angemessen und ausreichend, dass nach vorheriger schriftlicher Aufklärung mittels Merkblatt jedem Impfling die Möglichkeit gegeben wird, im mündlichen Arztgespräch vor der Impfung Nachfragen zu stellen und weitere Informationen einzuholen. Aufgrund der breiten öffentlichen Diskussion, dem hohen Informationsstand in der Bevölkerung und auch der hohen Impfbereitschaft konnte der Impfarzt davon ausgehen, dass der Impfling bei einer schriftlichen Aufklärung auf eine zusätzliche gesprächsweise Risikodarstellung keinen Wert legt. Schweigt der Impfling vor Verabreichung der Impfung auf die Frage des Impfarztes, ob noch Fragen bestünden bzw. auf die Ankündigung, dass die Impfung nun vorgenommen werden könne, kann der Arzt davon ausgehen, dass er keine weiteren Informationen zu den Risiken der Impfung möchte.

Der Aufklärungspflicht ist daher Genüge getan, wenn ein Aufklärungsmerkblatt ausgehändigt wird und zusätzlich im mündlichen Arztgespräch die Möglichkeit zu Nachfragen besteht.


LG Heilbronn, 14.02.2023 - Az: Wo 1 O 65/22

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