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Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr

Corona-Virus | Lesezeit: ca. 29 Minuten

Der Antragsteller ist Rechtsanwalt und macht geltend, für private und berufliche Fahrten in Nordrhein-Westfalen teilweise U-Bahnen, Regionalzüge und Taxen zu nutzen. Er wendet sich gegen die Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr.

Die beanstandete Regelung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 29. September 2022 (GV. NRW. 948b) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 15. Dezember 2022 (GV. NRW S. 1068a) lautet:

§ 3 Maskenpflicht

(1) Über die in § 28b Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I. S. 1045), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2235) geändert worden ist, geregelten Maskenpflichten hinaus ist in folgenden Einrichtungen und bei der Inanspruchnahme und Erbringung folgender Dienstleistungen mindestens eine medizinische Maske (sogenannte OP-Maske) zu tragen:

1. in öffentlich zugänglichen oder finanzierten Verkehrsmitteln, die üblicherweise für den Transport zur Schule, zur Arbeit und zu sonstigen Besorgungen des täglichen Lebens genutzt werden, wie Busse und Bahnen des öffentlichen Nahverkehrs, Schülerbeförderung und ähnliche Angebote, von Fahrgästen sowie dem Kontroll- und Servicepersonal sowie dem Fahr- und Steuerpersonal, soweit für dieses tätigkeitsbedingt physischer Kontakt zu anderen Personen besteht,

[…].

Der Antrag des Antragstellers ist in der Zusammenschau mit der Antragsbegründung gemäß §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend auszulegen, dass er sich gegen § 3 Abs. 1 Nr. 1 CoronaSchVO in der jeweils gültigen Fassung wendet.

Der so verstandene sinngemäße Antrag,

im Wege einer einstweiligen Anordnung den Vollzug von § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 29. September 2022 (GV. NRW. 948b) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 15. Dezember 2022 (GV. NRW S. 1068a) bis zur Entscheidung über den noch einzureichenden Normenkontrollantrag vorläufig auszusetzen,

hat keinen Erfolg.

Er ist zulässig, aber unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO liegen nicht vor. Nach dieser Bestimmung kann das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.

Das ist hier nicht der Fall, weil der in der Hauptsache noch zu erhebende Normenkontrollantrag des Antragstellers voraussichtlich unbegründet wäre (I.) und die deswegen anzustellende Folgenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausfällt (II.).

I. Die sich aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 CoronaSchVO ergebende Maskenpflicht für Fahrgäste im öffentlichen Personennahverkehr ist voraussichtlich rechtmäßig.

1. Durchgreifende Zweifel am Vorliegen einer hinreichenden, dem Parlamentsvorbehalt genügenden Ermächtigungsgrundlage in den §§ 32, 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, 28b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b IfSG liegen nicht vor. Solche hat auch der Antragsteller nicht vorgebracht.

2. Die streitgegenständliche Verordnung ist formell rechtmäßig. Sie ist – anders als der Antragsteller wohl meint – mit der nach § 28b Abs. 5 Satz 1 IfSG erforderlichen Begründung versehen.

3. Die streitgegenständliche Vorschrift begegnet nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung auch materiell-rechtlich voraussichtlich keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage liegen vor. Gemäß § 28b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b IfSG kann in der Zeit vom 1. Oktober 2022 bis zum 7. April 2023 die Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske (Mund-Nasen-Schutz) oder eine Atemschutzmaske (FFP2 oder vergleichbar) in Verkehrsmitteln des öffentlichen Personennahverkehrs für Fahrgäste eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG sein, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit 2019 und zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen Kritischen Infrastrukturen erforderlich ist.

Der Verweis auf die Erforderlichkeit der Maßnahme ist kein Tatbestandsmerkmal mit eigenständiger Bedeutung, denn Schutzmaßnahmen sind ohnehin nur rechtmäßig, wenn sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Dies setzt voraus, dass sie (auch) erforderlich sind. Dass der Gesetzgeber an die Erforderlichkeit einen im Vergleich dazu strengeren Maßstab anlegen wollte, ist nicht ersichtlich. Der Gesetzgeber verweist in diesem Zusammenhang lediglich darauf, dass die Ermächtigungsgrundlage der Erfahrung Rechnung trage, dass die Länder nötige weitere Schutzmaßnahmen praxisnäher ausgestalten können.

Ob die Maßnahme einen der in der Vorschrift genannten Zwecke verfolgt, ist erst auf Rechtsfolgenebene zu prüfen.

b. Die streitgegenständliche Maßnahme ist verhältnismäßig. Sie verfolgt einen legitimen Zweck (aa.) und ist zur Erreichung dieses Zwecks geeignet (bb.), erforderlich (cc.) und angemessen (dd.).

aa. Eingriffe in Grundrechte können lediglich dann gerechtfertigt sein, wenn mit ihnen verfassungsrechtlich legitime Zwecke verfolgt werden. § 28b Abs. 2 Satz 1 IfSG präzisiert diese dahingehend, dass die auf die Vorschrift gestützten Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit 2019 und zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen Kritischen Infrastrukturen getroffen werden. Gemäß § 28b Abs. 6 IfSG sind Entscheidungen über Schutzmaßnahmen nach den Absätzen 2 bis 4 zudem insbesondere auch am Schutz von Leben und Gesundheit durch Verhinderung einer Vielzahl schwerer Krankheitsverläufe und am Schutz vulnerabler Personengruppen auszurichten.

Diese Zwecke verfolgt der Verordnungsgeber mit der streitgegenständlichen Maskenpflicht. In seiner Begründung der Verordnung vom 29. September 2022 hat er ausgeführt, dass er mit den in der Verordnung vorgesehenen Basisschutzmaßnahmen insbesondere den Schutz vulnerabler Personengruppen bezweckt. Es sei anzunehmen, dass der anstehende Herbst/Winter wie in den vergangenen Jahren mit einer erhöhten Anzahl an Infektionen mit dem Coronavirus verbunden sei. Die daraus folgenden Isolierungsverpflichtungen ließen einen erheblichen krankheitsbedingten Personalmangel, insbesondere auch in Krankenhäusern, befürchten. Dies gelte gleichermaßen für andere Bereiche der Gesundheitsversorgung und der Kritischen Infrastrukturen. Zur hier nunmehr maßgeblichen Verlängerung der Maßnahmen bis zum 31. Januar 2022 hat er ausgeführt, dass die maßgeblichen Daten zur Pandemieentwicklung zeigten, dass sich der Trend der Infektionszahlen umgekehrt habe. Während das Infektionsgeschehen bis Mitte November zurückgegangen sei, befinde sich der Trend seit Anfang Dezember in einer zunehmenden Aufwärtsbewegung. Auch im Hinblick auf die Reproduktionszahl und die Hospitalisierungsinzidenz sei eine Zunahme zu verzeichnen. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Infektionsgeschehens bleibe es erforderlich, die geltenden Basisschutzmaßnahmen in bestimmten Einrichtungen und im Öffentlichen Personennahverkehr weiter bestehen zu lassen und die Situation weiterhin engmaschig zu überwachen. Dies sei auch vor dem Hintergrund wichtig, dass bei der Inzidenz eine erhebliche Untererfassung der Infektionen vorliege.

Diese Einschätzung ist auch mit Blick auf die gegenwärtige Infektionslage nicht zu beanstanden. Insbesondere ist es – anders als der Antragsteller meint – vertretbar, dass der Verordnungsgeber bei der aktuellen Infektionslage zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems bzw. der sonstigen Kritischen Infrastrukturen einen aktuell noch bestehenden Handlungsbedarf sieht. Dabei zeigt ein Vergleich mit der Regelung in § 28b Abs. 4 IfSG, die bei Vorliegen einer vom Parlament des betroffenen Landes (nach in § 28b Abs. 7 IfSG geregelten Kriterien) für das Land oder eine oder mehrere Gebietskörperschaften festgestellten konkreten Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen Kritischen Infrastrukturen den Erlass weitergehender Maßnahmen ermöglicht, dass eine solche konkrete Gefahr für den Erlass der in § 28b Abs. 2 IfSG vorgesehenen Regelungen gerade nicht erforderlich ist.

Zudem verdeutlicht § 28a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 IfSG, dass der Gesetzgeber eine Maskenpflicht grundsätzlich als eine (niederschwellige) Schutzmaßnahme erachtet, die unabhängig von einer bereits konkret drohenden Überlastung des Gesundheitssystems auch mit präventiver Zielsetzung ergriffen werden darf.

Das zugrunde gelegt ist es rechtlich voraussichtlich nicht zu beanstanden, dass der Verordnungsgeber eine Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr zum Schutz der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung derzeit noch (bis zum 31. Januar 2023) für angezeigt hält. Gegenwärtig herrscht hinsichtlich der Verbreitung von SARS-CoV-2 noch ein nennenswertes Infektionsgeschehen. Am 13. Januar 2023 lag die bundesweite 7-Tage-Inzidenz bei 106,8; in Nordrhein-Westfalen bei 133,1. Im Bundesvergleich hat Nordrhein-Westfalen damit nach Niedersachsen und Bremen die höchste 7-Tage-Inzidenz.

Generell ist in der aktuellen Wintersaison der Infektionsdruck in allen Altersgruppen hoch. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen akuter Atemwegserkrankungen liegt auch derzeit noch auf einem hohen Niveau; besonders betroffen ist die Altersgruppe ab 60 Jahre.

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