Grundsätzlich stellen Ladungen zu Prüfungsterminen keine Verwaltungsakte dar, sondern sind nur unselbständige, nicht eigenständig anfechtbare Verfahrenshandlungen gemäß § 44a VwGO.
Das gilt auch, wenn die Ladung zu einem außerplanmäßigen, wegen eines Verfahrensfehlers angeordneten, Wiederholungstermin erfolgt und zu einem Zeitpunkt stattfinden soll, zu welchem die Infektionszahlen aufgrund der derzeitigen Corona-Pandemie wieder exponentiell steigen und weitreichende Hygienemaßnahmen einzuhalten sind.
Ein erheblicher Verfahrensmangel, der zur Wiederholung der Prüfungsleistung von allen Prüflingen führen muss, liegt jedenfalls dann vor, wenn die Prüfungsaufgaben einer nicht feststellbaren Vielzahl von Prüflingen vor dem Prüfungstag bekannt geworden sind. Ein solcher Mangel ist erheblich, weil sein Einfluss auf das Prüfungsergebnis nicht ausgeschlossen werden kann und zur Wiederholung dieser Leistung führen muss, weil wegen des gestörten Prüfungsverlaufs eine zuverlässige Grundlage für die Ermittlung der tatsächlichen Kenntnisse und Fähigkeiten der Prüflinge fehlt und die Chancengleichheit aller Prüflinge verletzt wurde.
Schon die vorherige Kenntnis eines Kandidaten von den Prüfungsaufgaben oder Teilen von Prüfungsaufgaben aufgrund eines vorherigen Bekanntwerdens dieser stellt zur Überzeugung des Gerichts einen Verfahrensfehler dar. Dies ist nicht zu verwechseln mit der Situation, dass ein Prüfling einen persönlichen Vorteil hat, weil er das „Glück“ hat, die Prüfungsaufgabe zu kennen, weil er beispielsweise einen ähnlichen Fall in einem Lehrbuch gelesen hat oder der Klausursachverhalt an einer ihm bekannten Entscheidung eines Gerichts angelegt ist. Solche persönlichen Vorteile – umgekehrt aber auch der „Nachteil, kein solches Glück zu haben,“ – sind Unwägbarkeiten des Prüfungsgeschehens, die damit zusammenhängen, dass der Prüfungserfolg zu einem gewissen Teil auch „Lebensschicksal“ ist und verletzen nicht die Chancengleichheit.
Durch den im Vorhinein bekannt gewordenen Teil des Prüfungsgegenstands kam es bei der Durchführung der Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einem prüfungsrechtlich erheblichen Verfahrensfehler, den der Antragsgegner nicht nur korrigieren durfte, sondern durch Anordnung der Wiederholung der Klausur für alle Prüflinge in Baden-Württemberg auch korrigieren musste, um die Prüfung unter einheitlichen Bedingungen durchzuführen und damit die durch Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistete Chancengleichheit der Prüflinge insgesamt sicherzustellen.
Zwar stellt eine Wiederholung der Klausur zu Zeiten der dritten Welle der Corona-Pandemie und nach bereits abgelegten sechs Klausuren in den drei Rechtsgebieten Zivilrecht, Öffentliches-Recht und Strafrecht sicherlich eine schwere psychische Belastung dar und ist mit einem gewissen Infektionsrisiko verbunden. Diese Belastungen und Risiken müssen jedoch vorliegend zur Beseitigung der Verletzung der Chancengleichheit, dem wichtigsten Grundsatz des Prüfungsrechts, zurücktreten. Dies gilt ebenfalls für lange Anreisen zu der Prüfung.
Es müssen aufgrund der Bedeutung von Abschlussklausuren und der sonst unausweichlichen Verzögerung des Ersten Staatsexamens bzw. der beruflichen Karriere staatliche Prüfungen auch trotz der aktuellen Situation stattfinden können, solange Hygienemaßnahmen getroffen werden.