Der Antrag, mit dem der Antragsteller als Grundschüler in der 3. Klasse aufgrund der Corona-Pandemie eine vorläufige Befreiung vom Präsenzunterricht begehrt, ist zulässig und begründet.
1. Ein Anordnungsanspruch liegt vor. Der Antragsteller hat mit der erforderlichen weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte Befreiung in der Hauptsache glaubhaft gemacht.
Grundsätzlich beinhaltet die Schulpflicht nach § 28 Abs. 2 HmbSG auch die Präsenzpflicht. Die einschlägige Anspruchsgrundlage für das Begehren der zeitweisen Befreiung vom Präsenzunterricht ist wie auch von der Antragsgegnerin angenommen § 28 Abs. 3 Satz 1 HmbSG. Danach kann die Schule auf Antrag Schülerinnen und Schüler aus wichtigem Grund vom Unterricht bis zur Dauer von sechs Wochen beurlauben oder von der Teilnahme an einzelnen Unterrichtsveranstaltungen befreien, ohne dass das Schulverhältnis unterbrochen wird.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen liegen vor. Der Antragsteller hat die begehrte Befreiung, vertreten durch seine beiden Eltern, mit E-Mail vom 2. November 2020 beantragt.
Es liegt auch ein wichtiger Grund vor. Die Voraussetzung ist grundsätzlich eng zu verstehen. Eine Befreiung nach § 28 Abs. 3 Satz 1 HmbSG setzt als Ausnahmeregelung von der in § 28 Abs. 2 HmbSG geregelten Präsenzpflicht besondere Umstände voraus. Denn der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag nach Art. 7 Abs. 1 GG und § 2 HmbSG beinhaltet grundsätzlich auch die Befugnis des Staates zur Planung, Organisation, Leitung und inhaltlich-didaktischer Ausgestaltung des öffentlichen Schulwesens sowie des dort erteilten Unterrichts. Zudem sind auch die für den Antragsteller entstehenden Nachteile in Bezug auf Sozialkontakte und Unterricht im Klassenverbund zu berücksichtigen, was ebenfalls gemäß § 2 Abs. 1 1. Spiegelstrich HmbSG zum Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule gehört und nicht der freien Disposition der Eltern als gesetzliche Vertreter unterliegt. Die Organisation der Befreiung eines Schülers vom Präsenzunterricht fordert von der jeweiligen Schule und den unterrichtenden Lehrkräften überobligatorische Anstrengungen, um eine ordnungsgemäße Beschulung des befreiten Schülers im Distanzunterricht sicherzustellen. Als wichtiger Grund für eine Befreiung von der Präsenzpflicht kommt jedoch auch eine konkrete Gesundheitsgefährdung der mit dem Schüler oder der Schülerin in einem Haushalt lebenden Familienangehörigen in Betracht (Art. 2 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1 GG), da den Familienangehörigen eine längere räumliche Trennung aufgrund des gesetzlich geforderten Schulbesuchs regelmäßig nicht abverlangt werden kann. Diesbezüglich ist davon auszugehen, dass wegen der im Schulbetrieb nicht zu verhindernden Sozialkontakte auch in Schulen Infektionen im Rahmen des insgesamt nicht mehr gänzlich nachvollziehbaren Infektionsgeschehens stattfinden dürften.
Auch in der aktuellen – sicherlich für alle Beteiligten eine Ausnahmesituation darstellenden – Lage darf dennoch nicht vorschnell ein ausreichend gewichtiger Grund angenommen werden, also jedes gesteigerte Risiko einen Befreiungsgrund darstellen, weil dies verhindern würde, dass Schulen überhaupt wieder in einen geregelten Betrieb übergehen könnten, wenn sie stattdessen eine Vielzahl von Einzelbefreiungen handhaben müssten. Deswegen dürfte auch in der aktuellen Situation ein solcher wichtiger Grund nur anzunehmen sein, wenn eine über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehende, medizinisch indizierte, besondere Gefährdungslage im Fall des die Befreiung begehrenden Schülers selbst oder aber in seinem unmittelbaren häuslichen Umfeld vorliegt. Insbesondere ist dabei im Einklang mit den vom sachverständigen Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlichten „Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf“ mit Stand vom 29.10.2020 davon auszugehen, dass eine generelle Festlegung zur Einstufung in eine Risikogruppe nicht möglich sei. Vielmehr erfordere dies eine individuelle Risikofaktoren-Bewertung, im Sinne einer (arbeits-)medizinischen Begutachtung.
Dementsprechend ist für die Annahme eines wichtigen Grundes im Sinne des § 28 Abs. 3 Satz 1 HmbSG eine aussagekräftige und individuelle medizinische Attestierung, die wegen relevanter Vorerkrankungen des Schülers oder der Schülerin oder eines in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen auf ein gesteigertes Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf schließen lässt, zu fordern.
Diese Voraussetzungen liegen hier im Fall des Antragstellers vor. Wies der Antragsteller vor Ersuchen des gerichtlichen Rechtsschutzes gegenüber der Schule lediglich ohne nähere Individualisierung eine geltend gemachte Risikoindikation für seinen Vater aufgrund dessen gesteigerten Alters nach, hat er im gerichtlichen Verfahren durch Vorlage eines noch den Substantiierungsanforderungen genügenden Attestes glaubhaft gemacht, dass im Fall seines Vaters von einer besonderen Gefährdung mit Blick auf eine Infektion mit dem Coronavirus-Sars-CoV-2 auszugehen ist. Dazu benennt das am […] ausgestellte Attest des den Vater des Antragstellers behandelnden Facharztes für […] Dr. […] eine Vorerkrankung dessen durch […] sowie […]. Dies beides sind ausweislich der Einschätzung des RKI Faktoren, die nach bisherigen Erkenntnissen das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs erhöhen.
Ist danach ein wichtiger Grund im Sinne des § 28 Abs. 3 Satz 1 HmbSG gegeben, eröffnet die Vorschrift der Antragsgegnerin einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren (§ 114 VwGO) Ermessenspielraum. Vorliegend hat die Antragsgegnerin ihr Ermessen aber dadurch auf Null reduziert, dass sie die genannten (strengen) Maßstäbe selbst zur Grundlage ihrer Entscheidungspraxis gemacht und dabei vorgesehen hat, dass bei Vorliegen dieser eine Befreiung von Präsenzunterricht immer gewährt wird:
Soweit ersichtlich ist die Antragsgegnerin von den strengen Maßstäben zur Begründung eines Ausnahmefalls auch selbst in ihren Planungen zur Schulorganisation in dieser Ausnahmesituation ausgegangen. So formulieren die „Aktuellen Hinweise zur Organisation des Unterrichts im Schuljahr 2020/2021“ der Antragsgegnerin, übermittelt an die Schulen mit Schreiben des Schulsenators vom 28. Juli 2020, dass Schülerinnen und Schüler, die unter Vorerkrankungen mit besonderer Risikolage leiden, auf Wunsch der Sorgeberechtigten zunächst im Distanzunterricht beschult werden könnten. Dieses gelte auch für gesunde Schülerinnen und Schüler, die in häuslicher Gemeinschaft mit Personen mit besonderen Gesundheitsrisiken leben. Die besondere Gefährdung sei mit einer ärztlichen Bescheinigung oder einem Schwerbehinderten- bzw. Transplantationsausweis nachzuweisen (Seite 10 des Schreibens). Aus den weiteren Ausführungen ergibt sich, dass im Einklang mit den obigen Ausführungen allein das Alter eines Elternteils nicht zur Befreiung ausreichen solle. Des Weiteren wird aus dem Schreiben deutlich, dass eine einvernehmliche Lösung gefunden werden solle, wenn das Attest von der Schule für nicht ausreichend gehalten werde.
Hat sich die Antragsgegnerin insofern vorab darauf festgelegt, dass sie bei Vorliegen dieser Voraussetzungen und insbesondere dem Nachweis mittels einer substantiierten ärztlichen Bescheinigung eine Befreiung (immer) vornehme, muss sie sich daran nun auch im Rahmen einer den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG wahrenden Entscheidungspraxis festhalten lassen. Dass diese Vorgaben in ihrer Praxis tatsächlich keine Anwendung finden würden, wie von der Antragsgegnerin auf Nachfrage zur bisherigen Verwaltungspraxis vorgetragen, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Im Gegenteil heißt es auf der Website der Antragsgegnerin weiterhin bei den Corona FAQs zu Schulen unter Angabe eines Standes vom 13.11.2020: „[f]ür alle Schülerinnen und Schüler, die unter einer oder mehrerer Vorerkrankungen leiden, die im Kontext mit einer Corona-Infektion als besonderes Risiko eingeschätzt werden bzw. die in häuslicher Gemeinschaft mit Personen leben, die im Falle einer Corona-Infektion besonders gefährdet sind, besteht die Möglichkeit im Distanzunterricht beschult zu werden. Hierfür hat die Schulbehörde einen Handlungsrahmen erarbeitet, der den Schulen als Plan B klare Rahmenbedingungen setzt. Dieser Plan B wurde den Schulen bereits vor Schuljahresbeginn übersandt.“. Der dort genannte Handlungsrahmen dürfte das angeführte Schreiben vom 28. Juli 2020 sein. Macht die Antragsgegnerin nun geltend, im Rahmen ihrer Entscheidungspraxis im Einzelfall einvernehmliche Lösungen zu suchen, steht dieses Vorgehen im Einklang mit den intern gemachten Vorgaben, so bei nicht ausreichenden Attesten vorzugehen. Dies befreit sie aber nicht davon, vorab das zum Nachweis erbrachte Attest zu prüfen und bei ausreichender Substantiierung zu akzeptieren.
Im vorliegenden Einzelfall ist im Rahmen der durch ihre eigenen Vorgaben eingeschränkten Ermessensausübung der Antragsgegnerin auch kein atypischer Fall anzunehmen, der eine andere Beurteilung rechtfertigen würde. Eine etwaige Gefährdung des Kindeswohls ist für das Gericht nicht ersichtlich. Der Antragsteller hat durch eidesstattliche Versicherung seiner Eltern glaubhaft gemacht, dass sie ihn während der begehrten Präsenzunterrichtsbefreiung schulisch und im sozialen Umfeld unterstützen würden. Das Gericht sieht vorliegend auch keinen Grund, davon abweichend von einer nicht ausreichenden Hilfestellung der Eltern auszugehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Antragsteller ausweislich des Zeugnisses des Schuljahres 2019/2020 vom […] in der Phase der vollständigen Schulschließung im Frühjahr 2020 sehr engagiert und zuverlässig am Distanzunterricht teilgenommen hat, was angesichts seines Alters insbesondere durch das Engagement der Eltern geschehen sein dürfte.
Die begehrte Befreiung für nunmehr nur noch etwa 4 Wochen hält das Gericht in der aktuellen angespannten Situation der Pandemie in Hamburg für angemessen. So wird für nach den Weihnachtsferien eine Neubewertung der Risikosituation, insbesondere unter Berücksichtigung möglicher weiterer Erkenntnisse zur Ansteckungssituation im schulischen Umfeld, ermöglicht.
2. Der Antragsteller hat darüber hinaus auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es liegt eine Eilbedürftigkeit vor. Das Abwarten der Hauptsache kann dem Antragsteller nicht zugemutet werden. Denn dies würde bedeuten, in der aktuell wieder verschärften epidemischen Lage eine mögliche Gesundheitsgefährdung seines Vaters für einen längeren Zeitraum hinnehmen zu müssen. In Verbindung mit einer nicht auszuschließenden Infektion seines Vaters, die diesen ausweislich einer ärztlichen Einschätzung besonders gefährdet drohen auch hinreichend konkret schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile.