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Beschränkung privater Feierlichkeiten und sonstiger Veranstaltungen wegen der Corona-Pandemie

Corona-Virus | Lesezeit: ca. 14 Minuten

Nr. 2 der Allgemeinverfügung zur Beschränkung privater Feierlichkeiten und sonstiger Veranstaltungen" des Ordnungsamtes der Stadtgemeinde Bremen vom 08.10.2020 ist bei summarischer Prüfung rechtmäßig.

Ein Ermessensfehler bei der Entscheidung des Gesundheitsamtes über die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung führt im vorliegenden Eilverfahren lediglich zu einer Verpflichtung zur Neubescheidung, nicht aber zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung. Dies wäre nur der Fall, wenn das Ermessen mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit auf Null reduziert wäre.

Hierzu führte das Gericht aus:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus den mit ihr dargelegten Gründen, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht die Anträge zu Unrecht abgelehnt hat.

1. Das Verwaltungsgericht hat zunächst ausgeführt, dass der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen Ziffer 2 der „Allgemeinverfügung zur Beschränkung privater Feierlichkeiten und sonstiger Veranstaltungen“ des Ordnungsamtes der Antragsgegnerin vom 08.10.2020 anzuordnen, unbegründet sei, weil diese Regelung der Allgemeinverfügung bei summarischer Prüfung nicht in unverhältnismäßiger Weise in die Rechte der Antragstellerin eingreife.

Mit ihrer Beschwerde stellt die Antragstellerin dies nicht durchgreifend in Frage. Nr. 2 der Allgemeinverfügung, mit der die Zahl der Teilnehmer an Veranstaltungen (weiter) beschränkt wird, findet voraussichtlich in § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) i.V.m. § 22a Abs. 3 der Achtzehnten Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 07. Oktober 2020 (Brem.GBl. 1086) – Achtzehnte Coronaverordnung – eine geeignete Rechtsgrundlage. § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG verpflichtet die Behörde zum Handeln, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen (sog. gebundene Entscheidung). Sie setzt tatbestandlich lediglich voraus, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder es sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass diese Voraussetzungen angesichts der anhaltenden SARS-CoV-2-Pandemielage unzweifelhaft vorliegen. Zudem sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22a Abs. 3 der Achtzehnten Coronaverordnung erfüllt. Laut Veröffentlichung des Robert Koch-Instituts ist in der Stadtgemeinde Bremen seit dem 07.10.2020 eine Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS CoV-2 von 50 pro 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen (Inzidenzwert) überschritten.

Der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG ist umfassend und eröffnet der Infektionsschutzbehörde ein breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen, welches allerdings durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt wird. Notwendig sind Maßnahmen, „soweit“ sie zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit „erforderlich“ sind. Weiterhin betont das Gesetz den zeitlichen Aspekt: Maßnahmen dürfen nur getroffen werden, „solange“ sie erforderlich sind. Insgesamt sind dem Ermessen damit durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt.

Das Verwaltungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass die (weitere) Beschränkung der Teilnehmerzahl bei Veranstaltungen einen legitimen Zweck, nämlich unmittelbar die Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19, der durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Erkrankung, und damit mittelbar die Verhinderung der Überlastung des Gesundheitssystems verfolgt und zur Erreichung des legitimen Zwecks auch geeignet und erforderlich ist. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist es nicht erforderlich, dass die Antragsgegnerin belegt, dass gerade auch von Theater- bzw. Varieté-Veranstaltungen ein signifikantes Ausbreitungsrisiko für Covid-19 ausgeht. Es ist vielmehr ausreichend, dass nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen u.a. auch des Robert-Koch-Instituts der Aufenthalt einer größeren Anzahl von nicht in einem Haushalt zusammenlebenden Personen in einem geschlossenen Raum über einen längeren Zeitraum das Ausbreitungsrisiko erheblich erhöht. Besonderen Umständen des Einzelfalles kann gerade durch die Möglichkeit, Ausnahmen zuzulassen, Rechnung getragen werden.

Auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass Nr. 2 der Allgemeinverfügung im Hinblick auf die zuletzt in Bremen und deutschlandweit stark gestiegene Zahl der Infizierten angemessen ist, ist nicht zu beanstanden. Die Maßnahme führt zwar unverkennbar zu Grundrechtseinschränkungen von erheblicher Intensität, wobei in erster Linie das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) betroffen ist. Dieses Grundrecht gilt jedoch nicht unbeschränkt, sondern unterliegt einem Gesetzesvorbehalt und tritt hier im Ergebnis angesichts der aktuell wieder drohenden Überforderung des Gesundheitswesens gegenüber dem mit der Verordnung bezweckten Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zurück. Nach einer Phase der Konsolidierung der Zahl der Neuinfizierten ist diese zuletzt wieder stark angestiegen. Der Anstieg setzt sich auch weiterhin fort: In der Stadtgemeinde Bremen sind heute (10.10.2020) 108 Neuinfizierte gemeldet worden, das ist die höchste Zahl seit Beginn der Pandemie. Die Zahl der bestätigten Infektionen innerhalb von sieben Tagen ist damit mittlerweile auf über 70 pro 100.000 Einwohner angestiegen. Damit liegt die Zahl erheblich über dem Schwellenwert, bis zu dem die Exekutive eine Nachverfolgung der Kontakte der Infizierten noch gewährleisten kann. Damit droht derzeit die Ausbreitung der Erkrankung außer Kontrolle zu geraten. Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit durch die in die Allgemeinverfügung aufgenommene Ausnahmeregelung abgemildert wird. Beim Vorliegen eines geeigneten Schutz- und Hygienekonzepts kann das Gesundheitsamt Bremen Ausnahmen von der Beschränkung der Teilnehmerzahl zulassen. Damit ist ausreichend sichergestellt, dass die Berufsfreiheit nicht mehr als erforderlich eingeschränkt wird.

Es ist auch mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin zunächst nur die Teilnehmeranzahl von Veranstaltungen beschränkt hat, und nicht auch in Restaurants oder Einkaufszentren. Diese unterscheiden sich hinsichtlich des Ausbreitungsrisikos – jedenfalls bei zulässiger pauschalierender Betrachtung – von Veranstaltungen. In Einkaufszentren halten sich grundsätzlich nicht viele Menschen über einen längeren Zeitraum in einem Raum zusammen auf. Restaurants haben regelmäßig nicht zeitgleich über 100 Gäste.

2. Das Verwaltungsgericht hat weiterhin den Antrag, der Antragstellerin im Wege einer vorläufigen Ausnahme bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung über einen noch einzulegenden Verpflichtungsrechtsbehelf zu erlauben, Theatervorstellungen mit einem gastronomischen Angebot einschließlich Alkoholausschanks für mehr als 100 Personen auf der Grundlage des von ihr vorgelegten Hygienekonzepts zu betreiben, über den 09.10.2020 hinaus abgelehnt. Zwar sei die Entscheidung der Antragsgegnerin über die Erteilung einer Ausnahme offensichtlich ermessensfehlerhaft, daraus ergebe sich jedoch grundsätzlich nur der Anspruch auf Verpflichtung der Antragstellerin zu einer Neubescheidung des Ausnahmegenehmigungsantrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Ein Anspruch auf vorläufige Erteilung der Ausnahmegenehmigung setze dagegen voraus, dass mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass ein Anspruch auf Durchführung der Theaterveranstaltung ohne die Beschränkung besteht, dass also von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen sei. Dies könne jedoch nicht angenommen werden, insbesondere weil sich das tagesaktuelle Infektionsgeschehen in Bremen so darstelle, dass mit einem weiter steigenden Inzidenzwert, nicht jedoch mit einer Abflachung zu rechnen sei.

Auch diese Ausführungen werden mit der Beschwerdebegründung nicht in Zweifel gezogen. Der Antragstellerin ist zuzugeben, dass die Entscheidung der Antragsgegnerin über die Erteilung einer Ausnahme offensichtlich ermessensfehlerhaft ist. Daraus folgt jedoch grundsätzlich lediglich ein vorläufiger Anspruch auf Neubescheidung, nicht aber auf vorläufige Erteilung der begehrten Ausnahme von den Beschränkungen in Nr. 2 der Allgemeinverfügung. Soweit die Antragstellerin geltend macht, vorliegend sei das Ermessen der Behörde bei der Erteilung der Ausnahmegenehmigung deswegen auf Null reduziert, weil sie ein geeignetes Hygienekonzept vorgelegt habe und weil ihr ein grundrechtlicher Abwehranspruch aus Art. 12 Abs. 1 GG zustehe, greift dieser Einwand nicht durch. Wie bereits unter 1. ausgeführt, stellt die (weitere) Beschränkung der Teilnehmerzahl bei Veranstaltungen jedenfalls kombiniert mit der Möglichkeit, auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung eine Ausnahme zu erhalten, unter der gegenwärtigen Entwicklung des Infektionsgeschehens in Bremen und deutschlandweit jedenfalls bei summarischer Prüfung eine verhältnismäßige Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit dar. Deswegen ist im Rahmen der erforderlichen Ermessensentscheidung auch keinesfalls zwingend der Berufsausübungsfreiheit vor dem Schutz von Leben und Gesundheit der Vorrang einzuräumen. Im Übrigen ist auch bei Vorlage eines Schutz- und Hygienekonzeptes das Ermessen des Gesundheitsamtes nicht grundsätzlich auf Null reduziert. Vielmehr muss das Gesundheitsamt seine Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung der Eignung des Schutz- und Hygienekonzeptes zur Reduzierung des Ausbreitungsrisikos, der wirtschaftlichen Folgen für den betroffenen Betrieb sowie des aktuellen regionalen und überregionalen Infektionsgeschehens treffen. Bei der Frage, inwieweit das Schutz- und Hygienekonzept geeignet ist, das Ausbreitungsrisiko zu reduzieren und ob diese Reduzierung unter Berücksichtigung des aktuellen Infektionsgeschehens auch ausreichend ist, ist auch die Art der Veranstaltung in den Blick zu nehmen. Vorliegend spielt dabei insbesondere eine Rolle, dass es sich um artistische Darbietungen handelt, die – wie auch von der der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung ausgeführt – mit körperlicher Anstrengung verbunden sind, was nach derzeitiger wissenschaftlicher Erkenntnis zu einer höheren Atmungsfrequenz und damit zu einem erhöhten Ausstoß von Aerosolen führt. Die Antragsgegnerin muss insbesondere prüfen, ob das Schutz- und Hygienekonzept der Antragstellerin einschließlich der Belüftung der Räumlichkeiten diesen Besonderheiten der Veranstaltung hinreichend Rechnung trägt. Im Hinblick auf den Empfang und die Bewirtung der Gäste als solches sind die Einwände der Antragsgegnerin dagegen bislang unsubstantiiert und pauschal geblieben. Aufgrund des bisher von den Beteiligten vorgetragenen Sachverhalts ist es dem Senat derzeit nicht möglich, die genannten Gesichtspunkte bereits abschließend zu beurteilen.


OVG Bremen, 10.10.2020 - Az: 1 B 315/20

Vorgehend: VG Bremen, 09.10.2020 - Az: 5 V 2166/20

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