Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 26. August 2020 wird mit der nachfolgenden Maßgabe und Beschränkung wiederhergestellt:
Der Antragsteller hat mittels beständig wiederholter Durchsagen und unter Einsatz seiner Ordner sicherzustellen, dass die Mindestabstände der teilnehmenden Personen zueinander von 1,50 m durchgängig eingehalten werden.
Insoweit wird der Antrag abgelehnt.
Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:
Mit Bescheid vom 26. August 2020 erließ der Polizeipräsident in Berlin für die vom Antragsteller angemeldete Versammlung ein Verbot, zugleich ordnete der Polizeipräsident die sofortige Vollziehung des Bescheids an. Die Versammlung am 29. August 2020 (Thema „Ende der Corona Maßnahmen usw.“, 10.30 Uhr bis 15.00 Uhr) soll mit bis zu 5.000 Teilnehmenden und 6 bis 17 Fahrzeugen als Aufzug von der Hofjägerallee über Klingelhöfer Straße, Lützowplatz, An der Urania, Tauentzienstraße, Kurfürstendamm, Lewishamstraße, Bundesstraße 2 bis zum Großen Stern stattfinden.
Gegen den Bescheid vom 26. August 2020 legte der Antragsteller am 29. August 2020 Widerspruch ein. Mit dem am 29. August 2020 eingegangen Eilantrag wendet sich der Antragsteller gegen die sofortige Vollziehung des Versammlungsverbots.
Hierzu führte das Gericht aus:
Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO zulässige Antrag des Antragstellers ist in dem im Tenor bestimmten Umfang begründet.
Das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers, von den Folgen des Bescheids vorläufig verschont zu werden, überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids vom 26. August 2020. Bei der hier allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweist sich der angegriffene Bescheid des Antragsgegners als offensichtlich rechtswidrig, weil dieser zumindest ermessensfehlerhaft ist.
Rechtsgrundlage für den Erlass eines Versammlungsverbots ist § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersammlG). Danach kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Wegen der besonderen Bedeutung der grundrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit (Art. 8 Grundgesetz - GG) für die Funktionsfähigkeit der Demokratie darf deren Ausübung nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begrenzt werden.
Vorliegend kann offen bleiben, ob hier überhaupt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeben ist. Die SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung des Landes Berlin vom 23. Juni 2020 (SARS-CoV-2-InfektionsschutzVO) enthält für die Durchführung von Versammlungen keine konkreten Vorgaben. In § 5 Abs. 2 SARS-CoV-2-InfektionsschutzVO hat der Verordnungsgeber allerdings festgelegt, dass der Veranstalter einer Versammlung ein individuelles Schutz- und Hygienekonzept zu erstellen hat. Aus diesem müssen die vorgesehenen Maßnahmen zur Gewährleistung des Mindestabstands und der jeweils zu beachtenden Hygieneregeln sowie zur Gewährleistung der nach der nutzbaren Fläche des Versammlungsortes zulässigen Teilnehmendenzahl hervorgehen. Ein solches Konzept hat der Antragsteller ausweislich des Bescheids des Antragsgegners vom 26. August 2020 vorgelegt. Dessen Inhalt ist hier aufgrund der maßgeblichen summarischen Prüfung und ohne Vorlage der Verwaltungsvorgänge nicht ersichtlich. Er kann jedoch dahinstehen, denn das Versammlungsverbot ist jedenfalls unverhältnismäßig.
Ein Verbot der Versammlung scheidet nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus, solange das mildere Mittel der Erteilung von Auflagen nicht ausgeschöpft ist. Reichen Auflagen zur Gefahrenabwehr nicht aus, kommt ein Verbot in Betracht, wenn es unter Berücksichtigung des Art. 8 GG zum Schutz elementarer Rechtsgüter angemessen ist. Gemessen an diesen Maßstäben leidet die streitbefangene Verbotsverfügung an einem Ermessensfehler im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO. Die diesbezügliche Ermessensentscheidung erfordert eine hinreichende Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Lediglich pauschale Erwägungen, die jeder Versammlung aus Gründen des Infektionsschutzes entgegengehalten werden könnten, würden dem durch den Normgeber eröffneten Entscheidungsspielraum, von dem die Verwaltung unter Berücksichtigung des Individualgrundrechts aus Art. 8 GG Gebrauch zu machen hat, nicht gerecht. Hier geht der Antragsgegner mit seiner Bescheidbegründung nicht einmal im Ansatz auf die individuelle Gefahrensituation ein. Es wird stattdessen nur pauschal auf eine – behauptete – allgemeine Gefahrenlage am 29. August 2020 abgestellt. Dies reicht für eine Individualisierung nicht aus. Die zuständige Behörde hat eigene Überlegungen zur weiteren Minimierung von Infektionsrisiken anzustellen. Die Verantwortung dafür trifft nicht allein den Anmelder der Versammlung. Da der Antragsgegner davon ausgeht, dass ein Verbot der Versammlung alternativlos sei, fehlt es an Überlegungen, wie Infektionsrisiken minimiert werden könnten, wenn die Versammlung grundsätzlich wie angemeldet stattfände. Überdies muss sich die Behörde vor dem Erlass einer Beschränkung der Versammlungsfreiheit um eine kooperative, einvernehmliche Lösung mit dem Versammlungsveranstalter bemühen.
Auch in Kenntnis der Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28./29. August 2020 zu vergleichbaren Versammlungen am heutigen Tag hat der Antragsgegner seine Gefahrenprognose nicht individualisiert.
Insgesamt spricht nach den erkennbaren Umständen Überwiegendes dafür, dass mittels der tenorierten Auflage Verstöße gegen § 1 Abs. 2 SARS-CoV-2-InfektionsschutzVO unterbunden werden können.