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Untersagung des Betriebs von Fitnessstudios weiterhin gerechtfertigt

Corona-Virus | Lesezeit: ca. 13 Minuten

Der Antragsteller beantragt, (festzustellen, dass) die 3. Thüringer SARS-CoV-2- Eindämmungsmaßnahmenverordnung vom 18. April 2020, verkündet als Artikel 1 der Thüringer Verordnung zur Verlängerung und Änderung der erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 18. April 2020, geändert durch Artikel 1 der Ersten Verordnung zur Änderung der Dritten Thüringer SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung vom 22. April 2020, zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 23. April 2020, dieser in Kraft getreten am 24. April 2020, unwirksam ist, soweit diese in § 5 Abs. 1 Ziff. 2 regelt, dass Fitnessstudios zu schließen sind.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte keinen Erfolg. Hierzu führte das Gericht u.a. aus:

Durchgreifende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bestehen nicht.

Es bestehen gegen den Erlass der Rechtsverordnung keine durchgreifenden formellen Bedenken

Auch bestehen nach einer allerdings angesichts des tatsächlichen Umfangs und der rechtlichen Schwierigkeiten der Angelegenheit nur möglichen vorläufigen Einschätzung jedenfalls keine Bedenken gegen die erlassene Verordnung, die eine materielle Rechtswidrigkeit nahelegen.

Der mit den in der Dritten Thüringer SARS-CoV-2 Eindämmungsmaßnahmenverord-nung getroffenen Regelungen bezweckte Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und insbesondere der Krankenhäuser zur Behandlung schwer- und schwersterkrankter Menschen stellt ein überragendes Gemeinwohlinteresse dar. Die so verstandene Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems durch geeignete Mittel zu gewährleisten und damit einhergehend das Leben und die Gesundheit der durch eine Überforderung des Gesundheitssystems unmittelbar Gefährdeten zu schützen, ist grundlegende (Schutz-)Aufgabe des Staates.

Der Grundannahme des Antragstellers, der epidemische Verlauf sei jedenfalls seit Anfang März 2020 beendet, ist durch die bundes- und landesweiten Zahlen von nachgewiesenen Infektionsfällen und im Zusammenhang mit der COVID-19-Erkrankung ste-hender Sterbefälle nicht zu belegen. Trotz erkennbarer Abflachung der Steigerungsraten ist weiterhin ein hoher Bestand von Erkrankungen und Todesfällen festzustellen. Auch der Umstand, dass eine „Patientenschwemme“ nicht eingetreten sei, widerspricht nicht der Feststellung eines weiterhin bestehenden Risikos. Zum einen zeigen sich durchaus regionale Unterschiede, zum anderen war die Verhinderung der Überlastung der Krankenhäuser gerade Ziel der ergriffenen Maßnahmen.

Auch der Verweis auf die Entwicklung der Reproduktionszahl führt nicht zwingend zu der vom Antragssteller vertretenen Auffassung, dass die Notwendigkeit aller getroffenen Maßnahmen in Frage zu stellen sei. Dies verkennt, dass diese Kennziffer nur ein Indikator der epidemischen Entwicklung ist.

Eine Überforderung des Gesundheitssystems durch vorschnelle Lockerungen der Schutzmaßnahmen mit nicht absehbaren Folgen gilt es deshalb weiterhin zu vermeiden.

Davon ausgehend erweist sich die Anordnung des Verordnungsgebers, Fitnessstudios vorübergehend (derzeit bis zum 25. Mai 2020) zu schließen, mit hoher Wahrscheinlichkeit als zur Zweckerreichung geeignetes und erforderliches Mittel.

Es ist auch nicht erkennbar, dass andere weniger einschneidende Maßnahmen zu ergreifen sind. Solange eine epidemische Lage wie vorliegend durch erhebliche Ungewissheiten und sich ständig weiterentwickelnde fachliche Erkenntnisse geprägt ist, ist der zuständigen Stelle - hier dem Verordnungsgeber - eine entsprechende Einschätzungsprärogative im Hinblick auf das gewählte Mittel einzuräumen, soweit sich nicht andere Maßnahmen eindeutig als gleich geeignet und weniger belastend darstellen. Angesichts einer erheblichen Risiko- und Gefahrenlage, aber nur beschränkten Erkenntnissen über Art, Ursache und Verbreitung der übertragbaren Krankheit, ist dem Verordnungsgeber - solange keine gegenläufigen gesicherten Tatsachen vorliegen - hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen ein Entscheidungsspielraum einzuräumen, dem auch notwendigerweise Pauschalierungen, Verallgemeinerungen und Generalisierungen innewohnen.

Nach dieser Maßgabe ist nicht ersichtlich, dass gleich wirksame und effektive Maßnahmen zur Gefahrvermeidung durch persönliche Kontakte als durch Schließung von Fitnessstudios zur Verfügung stehen. Annähernd vergleichbar effektive Handlungsalternativen zu einer strikten Minimierung der Kontakte in einer Umgebung, die ein erhöhtes Risiko der Ansteckung birgt, drängen sich jedenfalls derzeit nicht auf. Allein Maßnahmen wie z.B. Abstands- und Hygieneregeln oder die Steuerung der Zahl der sich gleichzeitig dort aufhaltenden Personen erscheinen auch unter dem Gesichtspunkt allgemeiner strikter Durchsetzbarkeit derzeit nicht als gleich effizient. Soweit der Antragsteller Möglichkeiten aufzeigt, sein Fitnessstudio organisatorisch und räumlich so einzurichten, dass Infektionen vermieden werden können, berücksichtigt er ungeachtet der fehlenden Glaubhaftmachung dieser allgemeinen Angaben und deren Realisierbarkeit angesichts eines typischen dynamischen Geschehens in einer solchen Sportstätte nicht, dass der Verordnungsgeber als abstraktgenerelle Regelung eine Gesamtbetrachtung aller Fitnessstudios anzustellen hat. Inwieweit die von ihm aufgestellten Standards in allen Studios eingehalten werden können, wird jedoch nicht aufgezeigt. Sie wären jedenfalls mit einem erheblichen staatlichen Kontrollaufwand verbunden.

Nach der summarischen Prüfung drängt sich auch nicht auf, dass die Regelung unter Abwägung der gegenläufigen verfassungsrechtlichen Positionen unangemessen ist. Der beabsichtigte Verordnungszweck steht nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs. Die Maßnahme führt zwar unverkennbar zu Grundrechtseinschränkungen von erheblicher Intensität, vorrangig in Bezug auf das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Dieses Recht wird jedoch nicht unbeschränkt gewährt, sondern unterliegt einem Gesetzesvorbehalt und tritt hier im Ergebnis angesichts der akut drohenden Überforderung des Gesundheitswesens gegenüber dem mit der Verordnung bezweckten Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zurück. Die existenzsichernde Erzielung von Einnahmen zur Bestreitung des Lebensbedarfs in einem Bereich von gefahrerhöhender Tätigkeit hat vorübergehend zurückzustehen gegenüber der Durchsetzung überragend gewichtiger Gemeinwohlbelange. Hierbei ist neben der zeitlichen Befristung der Maßnahme auch zu berücksichtigen, dass der Bund und der Antragsgegner zahlreiche Hilfsmaßnahmen beschlossen haben, die die Existenz von Unternehmen in der Corona-Krise sichern sollen; darüber hinaus ist für die Beschäftigten die Möglichkeit eröffnet, unter vereinfachten Bedingungen Kurzarbeitergeld zu erhalten.

Soweit der Antragsteller meint, dass sich die Maßnahme insgesamt als unangemessen erweise, da der Antragsgegner gegenüber anderen ähnlichen Gesundheitsgefahren nicht in gleicher Weise vorgehe, zeigt dies auch nicht zwingend die Rechtswidrigkeit der Maßnahme auf. Insoweit fehlt es bereits an der substantiierten Darlegung der Vergleichbarkeit der Risiko- und Gefährdungslagen. Insbesondere der Vergleich zur Influenza lässt nicht den Schluss zu, dass Maßnahmen zu unterlassen wären. Ungeachtet dessen, dass die medizinische Vergleichbarkeit der genannten Krankheiten hinsichtlich ihres Aufkommens, ihrer Verbreitung und ihrer Bekämpfung mit der aktuellen Krise nicht ohne weiteres besteht, liegt die besondere Gefahr der Verbreitung des neuartigen Coronavirus in seiner dynamischen exponentiellen Ausbreitung, mit der unmittelbaren Folge der Gefahr einer Überlastung des bestehenden Gesundheitssystems und der daraus folgenden Konsequenz einer erhöhten Letalität. Dass es sich hierbei nicht nur um theoretische Befürchtungen handelt, belegen die krisenhaften Entwicklungen und Befunde in anderen vergleichbaren Regionen, wie in Norditalien, in der Region Madrid, im Elsass und in der Stadt New York.

Der Senat weist jedoch darauf hin, dass der Verordnungsgeber die fortwährende Beobachtungs- und Überprüfungspflicht hat, ob und inwieweit er an den Einschränkungen festhält. Er hat für die Dauer der Gültigkeit der Verordnung fortlaufend zu überprüfen, ob die Aufrechterhaltung der Verbote noch erforderlich und angemessen ist, wobei die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit umso strenger werden, je länger die Beschränkungen gelten. Sollten einzelnen Maßnahmen schon zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr erforderlich sein oder sich als weitgehend nutzlos erweisen, müssten diese daher umgehend aufgehoben oder modifiziert werden.

Für den Senat bestehen insoweit derzeit keine Anhaltspunkte, dass der Antragsgegner dem nicht nachkommt. Dies belegen die fortdauernden Änderungen der infektionsschutzrechtlichen Verordnungen, die je nach Erkenntnisstand und Vertretbarkeit Lockerungen bestehender Ge- und Verbote bis zu deren Aufhebung bestimmen. Dies gilt insbesondere für den Bereich sportlicher Aktivitäten, in dem der Verordnungsgeber zuletzt durch die Verordnung vom 2. Mai 2020 die Ausübung von Individualsportarten im Freien wieder ermöglicht. Das gleiches für Sportaktivitäten in geschlossenen Räumen, wie Fitnessstudios zu gelten habe, ist jedenfalls angesichts der oben genannten besonderen Risikolage derzeit noch nicht naheliegend. Zuletzt hat der Antragsgegner angekündigt auch insoweit die Tatsachenlage erneut vor dem Hintergrund der epidemischen Entwicklung und tragfähiger Sicherheits- und Hygienekonzepte zu prüfen.

Umstände, die es trotz der allenfalls offenen Prozessaussichten gebieten könnten, die einstweilige Anordnung im Rahmen der Folgenabwägung zu erlassen, sind weder durch den Vortrag des Antragstellers noch ansonsten erkennbar.


OVG Thüringen, 07.05.2020 - Az: 3 EN 311/20

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