Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. November 2024 (Az:
1 BvL 1/24) sind für die Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB aF und die Nachfolgeregelung in
§ 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB, soweit sie verfassungswidrig sind, für ihren jeweiligen zeitlichen Anwendungsbereich vorübergehend bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung anwendbar.
Ärztliche Zwangsmaßnahmen dürfen danach nur in einem Krankenhaus durchgeführt werden. Darunter fällt der von einem Betroffenen bewohnte Wohnverbund, bei dem es sich um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung im Sinne des Zweiten Teils des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch handelt, auch dann nicht, wenn darin die gebotene medizinische Versorgung des Betroffenen einschließlich der erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist.
Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:
Die im Jahr 1963 geborene Betroffene leidet an einer paranoiden Schizophrenie sowie an einem schizophrenen Residuum. Für sie ist deswegen seit dem Jahr 2000 eine Betreuung eingerichtet. Der
Aufgabenkreis des
Berufsbetreuers (Beteiligter zu 1) umfasst unter anderem die
Gesundheitssorge und die
Aufenthaltsbestimmung.
Die Betroffene ist seit dem Jahr 2008 - mit zwischenzeitlichen Klinikaufenthalten - in einem Wohnverbund in L. geschlossen untergebracht. Sie wurde regelmäßig ärztlich in einem dem Wohnverbund nahegelegenen Krankenhaus (L.-Klinik) zwangsbehandelt.
Mit Schreiben vom 11. August 2022 und 7. September 2022 hat der Betreuer beantragt, die (weitere) ärztliche Zwangsbehandlung der Betroffenen mit bis zu 4 ml Haldol Decanoat intramuskulär 28-tägig im Rahmen einer stationsäquivalenten Behandlung auf der Station des von der Betroffenen bewohnten Hauses, hilfsweise in der L.-Klinik, für den Zeitraum von sechs Wochen zu genehmigen.
Das Amtsgericht hat die beantragte ärztliche Zwangsmaßnahme (nur) im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus bis zum 1. November 2022 genehmigt. Das Landgericht hat die hiergegen von dem Betreuer namens der Betroffenen eingelegte Beschwerde, mit der er weiterhin die Genehmigung der ärztlichen Zwangsmaßnahme in der Wohneinrichtung der Betroffenen begehrt hat, zurückgewiesen.
Mit der Rechtsbeschwerde möchte die Betroffene - nachdem der Zeitraum für die beantragte Zwangsbehandlung in ihrer Wohneinrichtung nach Einlegung der Rechtsbeschwerde abgelaufen ist - die Feststellung erreichen, dass sie die Beschlüsse von Amtsgericht und Landgericht in ihren Rechten verletzt haben, soweit darin die Vornahme der ärztlichen Zwangsmaßnahme in ihrer Wohneinrichtung abgelehnt worden ist.
Der Senat hat das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob es mit der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar ist, dass § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2426) für die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme die Durchführung der Maßnahme in einem Krankenhaus auch bei solchen Betroffenen voraussetzt, die aus medizinischer Sicht gleichermaßen in der Einrichtung, in der sie untergebracht und in der ihre gebotene medizinische Versorgung einschließlich ihrer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, zwangsbehandelt werden könnten und die durch die Verbringung in ein Krankenhaus zwecks Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme in ihrer Gesundheit beeinträchtigt werden.
Mit Urteil vom 26. November 2024 (Az:
1 BvL 1/24) hat das Bundesverfassungsgericht die Vorlagefrage dahingehend beantwortet, dass § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2426) mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG unvereinbar ist, soweit Betreuten im Einzelfall aufgrund der ausnahmslosen Vorgabe, ärztliche Zwangsmaßnahmen im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus durchzuführen, erhebliche Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit drohen und zu erwarten ist, dass diese Beeinträchtigungen bei einer Durchführung in der Einrichtung, in der die Betreuten untergebracht sind und in welcher der Krankenhausstandard im Hinblick auf die konkret erforderliche medizinische Versorgung einschließlich der Nachversorgung voraussichtlich nahezu erreicht wird, vermieden oder jedenfalls signifikant reduziert werden können, ohne dass andere Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit oder einer anderen grundrechtlich geschützten Position mit vergleichbarem Gewicht drohen. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung auf die Nachfolgenorm des § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BGB erstreckt sowie angeordnet, dass der Gesetzgeber spätestens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 zur Neuregelung verpflichtet ist und bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung das bisherige Recht fortgilt.
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