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Anordnung einer Untersuchung auf Verdacht von SARS-CoV-2

Arbeitsrecht | Lesezeit: ca. 16 Minuten

Der Antragsteller wendet sich im Wege vorläufigen Rechtschutzes gegen eine vom Antragsgegner erlassene Allgemeinverfügung, mit der eine Mitarbeiteruntersuchung auf das Corona Virus (SARS-CoV-2) angeordnet wurde.

Der Antragsteller ist Mitarbeiter der Firma ... GmbH, ... Die ... AG ist eine weltweit tätige deutsche Unternehmensgruppe der Lebensmittelindustrie mit Schwerpunkt Fleisch und Fleischwaren.

Mit Allgemeinverfügung des Landratsamtes ... vom 18. Mai 2020 wurde angeordnet, dass sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma ... GmbH, ...-Straße, die an diesem Standort beschäftigt sind, einer Untersuchung auf das neuartige Corona Virus (SARS-CoV-2) zu unterziehen haben (Ziffer I.). Ziffer II. erstreckt diese Verpflichtung zur Durchführung einer Untersuchung auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Subunternehmen, beauftragten Unternehmen, Dienstleistern oder vergleichbaren Dritten, die am vorbezeichneten Standort tätig sind. In den Gründen des Bescheids ist ausgeführt, dass in Bayern seit einigen Monaten ein starkes Risiko der Infektion mit dem neuartigen Corona Virus (SARS-CoV-2) gegeben sei. Es sei eine hohe Anzahl von Infektionen in Schlachthöfen zu verzeichnen. Im Rahmen der strikten Containment-Strategie in Bayern solle nach einem Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 14. Mai 2020 möglichst zeitnah eine Untersuchung des Personals großer bayerischer Schlachthöfe auf eine mögliche Covid-19-Erkrankung durchgeführt werden. Insbesondere Mitarbeiter von Subunternehmen in diesem Bereich seien aufgrund der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, dem gemeinsamen Arbeitsweg und den oftmals sehr beengten Verhältnissen und der hohen körperlichen Arbeitsbelastung einem höheren Risiko für eine Infektion mit SARS-CoV-2 ausgesetzt. Die Firma ... GmbH falle nach dem Schreiben des Ministeriums in die Prioritätsstufe 1 (hohe Priorität). Nach § 25 Abs. 3 Infektionsschutzgesetz (IfSG) könnten Personen, bei denen anzunehmen sei, dass sie krank, krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig oder Ausscheider seien, durch das Gesundheitsamt verpflichtet werden, Untersuchungen und Entnahmen von Untersuchungsmaterial an sich vornehmen zu lassen. Bei SARS-CoV-2 handele es sich um einen Krankheitserreger im Sinne des § 2 Nr.1 IfSG, der sich in kurzer Zeit weltweit verbreitet habe. Gerade angesichts schwerer und lebensbedrohlicher Krankheitsverläufe müsse es Ziel sein, eine Ausbreitung der Infektion mit SARS-CoV-2 weiter einzudämmen. Eine Reihenuntersuchung bei besonders ansteckungsgefährdeten Bereichen sei dabei ein geeignetes Mittel, um mögliche Infektionsketten zu unterbrechen. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig. Ein Rachenabstrich sei unter Einhaltung der im Bescheid dargelegten Hinweise ein geeignetes Mittel, um die Ansteckungsgefahr für andere Personen möglichst gering zu halten. Sie sei ein erforderliches Mittel, da ein fehlender Nachweis weitere Neuinfektionen hervorrufen könne. Die sich aus der Anordnung ergebenden Einschränkungen stünden nicht außer Verhältnis zu dem Ziel, eine Weiterverbreitung des Krankheitserregers in der Bevölkerung zu verhindern.

Hierzu führte das Gericht aus:

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

Die gerichtliche Entscheidung ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kommt nur in Betracht, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der beanstandeten Verfügung bestehen, das heißt, dass ein Erfolg der Klage wahrscheinlicher wäre als ein Misserfolg, oder wenn sonst Umstände vorliegen, welche ein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelung begründeten. Dies folgt aus der Wertung des Gesetzgebers, der gemäß § 25 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, § 16 Abs. 8 IfSG die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage bei Maßnahmen der Ermittlung nach § 25 IfSG ausgeschlossen hat.

Vorliegend kann nicht von einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 18. Mai 2020 ausgegangen werden, sodass der in der Hauptsache eingelegte Rechtsbehelf des Antragstellers voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird.

a) Der Bescheid wurde formell rechtmäßig erlassen.

aa) Soweit der Antragsteller darauf verweist, dass die streitgegenständliche Allgemeinverfügung lediglich an die Mitarbeiter der .. GmbH und deren Subunternehmen gerichtet ist, ist dieser Umstand nicht geeignet, die Rechtswidrigkeit des Bescheides zu begründen. Maßgeblich ist insoweit ausschließlich die im regelnden Teil der Allgemeinverfügung (Ziffern I. und II. des Bescheids) getroffene Anordnung gegenüber allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Firma ... GmbH und deren Subunternehmen, beauftragten Unternehmen, Dienstleistern oder vergleichbaren Dritten, die am Standort .. tätig sind. Insoweit ist auch der Adressatenkreis der Allgemeinverfügung hinreichend bestimmt bzw. bestimmbar. Auch erschließt sich dem Gericht nicht, inwieweit der Antragsteller überhaupt durch die in der Versandanschrift gewählte Bezeichnung der Adressaten in eigenen Rechten verletzt sein sollte.

bb) Ebenfalls unschädlich ist, dass der Allgemeinverfügung vom 18. Mai 2020 keine Rechtsbehelfsbelehrung:beigefügt wurde. Insoweit gilt lediglich § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach in Fällen, in denen die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt ist, die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Öffnung oder Verkündung zulässig ist, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist in Folge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. Abgesehen vom Fristenlauf gegen die zugrundeliegende Entscheidung, hat eine fehlende Rechtsbehelfsbelehrung:keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit des Bescheids.

cc) Der Antragsgegner konnte hier auch in Form der Allgemeinverfügung tätig werden. Die Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihrer Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft (Art. 35 Satz 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz - BayVwVfG). Personenbezogene Allgemeinverfügungen richten sich aus Anlass einer bestimmten konkreten Situation an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Kreis von Adressaten, wobei die Konkretheit des geregelten Sachverhalts als entscheidendes Kriterium für die Abgrenzung zur Rechtsnorm dient .

Die vom Antragsteller angegriffenen Regelungen genügen diesen Anforderungen sowohl im Hinblick auf den betroffenen bestimmbaren Personenkreis der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Firma .. GmbH bzw. deren Subunternehmen, als auch hinsichtlich der konkreten Situation der geforderten Reihentestung.

b) Bei der in der Sache gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung von Sach- und Rechtslage begegnet auch der Inhalt der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung keinen rechtlichen Bedenken.

aa) Ermächtigungsgrundlage für die angeordneten Untersuchungen in Ziffern I. und II. der Allgemeinverfügung vom 18. Mai 2020 ist § 25 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 und 2 IfSG. Nach § 25 Abs. 1 IfSG stellt das Gesundheitsamt die erforderlichen Ermittlungen an, wenn sich ergibt oder anzunehmen ist, dass jemand krank, krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig oder Ausscheider ist, oder dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war. Die Ermittlungen können sich hierbei insbesondere auf Art, Ursache, Ansteckungsquelle oder Ausbreitung der Krankheit beziehen. § 25 Abs. 3 Satz 1 IfSG ermächtigt das Gesundheitsamt dazu, die in Abs. 1 genannten Personen vorzuladen. Nach § 25 Abs. 3 Satz 2 IfSG können diese Personen durch das Gesundheitsamt u.a. verpflichtet werden, Untersuchungen und Entnahmen von Untersuchungsmaterial an sich vornehmen zu lassen, insbesondere die erforderlichen äußerlichen Untersuchungen, Röntgenuntersuchungen, Tuberkulintestungen, Blutentnahmen und Abstriche von Haut und Schleimhäuten durch die Beauftragten des Gesundheitsamts zu dulden und das erforderliche Untersuchungsmaterial auf Verlangen bereit zu stellen.

bb) Die angeordneten Untersuchungsmaßnahmen sind aller Voraussicht nach rechtmäßig, weil die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1, Abs. 3 Sätze 1 und 2 IfSG vorliegen und sich die getroffenen Maßnahmen auch als verhältnismäßig erweisen.

Die Voraussetzungen für die Durchführung von weitergehenden Ermittlungen der Gesundheitsämter nach § 25 Abs. 1 IfSG liegen vor. Bei der Lungenkrankheit Covid-19 handelt es sich um eine übertragbare Krankheit (§ 2 Nr. 3 IfSG). In den vergangenen Wochen wurde eine stetig wachsende Zahl von Personen festgestellt, die mit dem Virus SARS-CoV-2 infiziert sind, ein erheblicher Anteil ist (schwer) an Covid-19 erkrankt. Dass eine Übertragung der Krankheit durch Verbreitung des Virus wohl im direkten Kontakt von Mensch zu Mensch als auch über Oberflächen stattfindet, gilt inzwischen als gesichert. Dass sich die streitgegenständlichen Untersuchungsanordnungen auf die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des fleischverarbeitenden Betriebes der .. GmbH und deren Subunternehmen erstreckt, begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Gerade in letzter Zeit kam es insbesondere in Schlachthöfen zu einer erhöhten Zahl der mit dem Virus SARS-CoV-2-Infizierten, was die getroffenen Untersuchungsanordnungen (Reihentestung) rechtfertigt.

Eine Ermittlungsmaßnahme nach § 25 Abs. 1, Abs. 3 Sätze 1 und 2 IfSG kann dabei auch gegen Personen gerichtet werden, die derzeit selbst nicht krank, krankheitsverdächtig oder ansteckungsverdächtig sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie in der derzeitigen Situation - eine Inanspruchnahme nur der Infizierten und damit als Störer einzustufenden Personen bereits daran scheitert, dass deren Störereigenschaft oftmals nicht bekannt ist, weil aufgrund der langen Inkubationszeit der Erkrankung, häufig symptomlos verlaufender Infektionen und zahlenmäßig eingeschränkter Testungen der Infektionsstatus eines wesentlichen Teils der Bevölkerung offen sein dürfte.

cc) Die angeordneten Reihentestungen sind nach summarischer Prüfung schließlich auch verhältnismäßig. Sie sind geeignet, die weitere Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus zu verhindern und damit das Infektionsgeschehen besser zu beherrschen. Sie sind auch erforderlich, weil mildere, aber gleichwirksame Mittel nicht ersichtlich sind. Solche zeigt auch der Antragsteller in seiner Antragsbegründung nicht auf.

Schließlich sind die streitgegenständlichen Regelungen auch angemessen, weil der damit verbundene Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) nicht außer Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck, der Vorbeugung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten und damit dem Schutz des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, steht. Der körperliche Eingriff (im Regelfall Rachenabstrich) ist als geringfügig zu beurteilen. Im Übrigen ermächtigt auch § 25 Abs. 5 IfSG zur Einschränkung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Im Gegensatz dazu sind die Schäden, die bei einer weiteren und vor allem ungebremsten Verbreitung des Virus und einem deutlichen Ansteigen der Erkrankungs- und Todeszahlen für eine sehr große Zahl von Menschen zu gewärtigen wären, von deutlich höherem Gewicht. Daher muss das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der getroffenen Untersuchungsanordnung überwiegen. Bei den widerstreitenden Grundrechten des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hat deshalb das Individualgrundrecht der von der Untersuchungsanordnung betroffenen Einzelperson hinter dem überragenden Schutzgut der menschlichen Gesundheit im Gesamten zurückzutreten. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund der mit einer Reihentestung verbundenen geringfügigen körperlichen Eingriffe.


VG Augsburg, 20.05.2020 - Az: Au 9 S 20.852

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