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Regelung zur Quarantäne für Ein- und Rückreisende in der vom 10. April bis 15. Mai 2020 geltenden Fassung verfassungsgemäß

Reiserecht | Lesezeit: ca. 11 Minuten

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Gegenstand des Popularklageverfahrens ist eine Regelung der zur Bekämpfung des Corona-Virus erlassenen Einreise-Quarantäneverordnung in der vom 10. April bis 15. Mai 2020 geltenden Fassung. Danach waren Personen, die auf dem Land-, See-, oder Luftweg aus einem Staat außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in den Freistaat Bayern einreisten, verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die eigene Wohnung oder eine andere geeignete Unterkunft zu begeben und sich für einen Zeitraum von 14 Tagen nach ihrer Einreise ständig dort abzusondern. Die angegriffene Regelung beruht auf der bundesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage des § 32 i. V. m. §§ 28 ff. Infektionsschutzgesetz (IfSG).

1. Der Antragsteller macht geltend, die angegriffene Verordnungsregelung habe gegen das Grundrecht auf Freiheit der Person verstoßen, weil den hiervon Betroffenen das Recht genommen worden sei, sich an jedem beliebigen Ort aufzuhalten. Dieser Grundrechtseingriff sei von der Ermächtigungsgrundlage nicht gedeckt gewesen. Die Absonderungspflicht habe auch gegen das Übermaßverbot verstoßen. Die für bestimmte Berufsgruppen und Fallgestaltungen vorgesehenen Ausnahmen erschienen willkürlich. Es sei beispielsweise nicht einzusehen, weshalb sich der Antragsteller nach der Rückkehr von einem länger als 48 Stunden dauernden Jagdaufenthalt in seinem von ihm allein genutzten Jagdhaus in Österreich in häusliche Absonderung hätte begeben müssen, während eine Stewardess, die bei Auslandsflügen in voll besetzten Maschinen mit eingeschränkter Luftzirkulation wesentlich höherer Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen sei, hiervon verschont geblieben wäre. Auch das Grundrechte auf Freizügigkeit, die allgemeine Handlungsfreiheit, die Berufsfreiheit und das Eigentumsgrundrecht seien verletzt.

2. Die Bayerische Staatsregierung hält die Popularklage für unzulässig, weil die angegriffene Regelung bereits außer Kraft getreten sei. Jedenfalls sei sie unbegründet, weil weder gegen Grundrechte noch gegen andere Normen der Bayerischen Verfassung verstoßen worden sei.

II.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat die Popularklage am 23. November 2020 abgewiesen.

1. Die Regelung zur häuslichen Quarantäne für Ein- und Rückreisende in der vom 10. April bis zum 15. Mai 2020 geltenden Fassung war mit der Bayerischen Verfassung vereinbar.

2. Sie verstieß nicht wegen einer offensichtlichen und gravierenden Abweichung von den Vorgaben der bundesrechtlichen Ermächtigung im Infektionsschutzgesetz gegen das Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV).

3. Ebenso wenig wurden Grundrechte der Bayerischen Verfassung, wie insbesondere das Recht auf Freizügigkeit (Art. 109 Abs. 1 BV), in unzulässiger Weise eingeschränkt. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Normgeber dem Schutz von Leben und Gesundheit höheres Gewicht eingeräumt hat als den durch die Pflicht zur Absonderung hervorgerufenen Beeinträchtigungen.

Zu der Entscheidung im Einzelnen:

1. Die Popularklage ist zulässig, obwohl die angegriffenen Bestimmungen zwischenzeitlich außer Kraft getreten sind. Denn es ist nicht auszuschließen, dass die Frage, ob die Pflicht zur Absonderung gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EQV (in der vom 10. April bis zum 15. Mai 2020 geltenden Fassung) verfassungsgemäß war, für noch anhängige Bußgeldverfahren Bedeutung erlangen kann.

2. Die Popularklage ist unbegründet. Die angegriffenen Vorschriften waren mit dem Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung vereinbar und haben Grundrechte der Bayerischen Verfassung nicht in verfassungswidriger Weise eingeschränkt.

a) Der Verfassungsgerichtshof hat eine auf einer bundesrechtlichen Ermächtigung beruhende Vorschrift des Landesrechts – anders als die Fachgerichtsbarkeit – nicht umfassend daraufhin zu überprüfen, ob der Normgeber die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsnorm zutreffend beurteilt hat. Die Rüge, die beanstandete Regelung sei durch die bundesrechtliche Ermächtigungsnorm des § 32 i. V. m. §§ 28 ff. nicht gedeckt gewesen, kann nur mittelbar als Verletzung des in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV verankerten Rechtsstaatsprinzips geprüft werden. Eine offensichtliche und gravierende Abweichung des § 1 Abs. 1 Satz 1 EQV von den Vorgaben der Ermächtigung lässt sich jedoch nicht feststellen.

b) In den Schutzbereich des Grundrechts auf Freiheit der Person (Art. 102 Abs. 1 BV) wurde nicht eingegriffen. Zwar verpflichtete § 1 Abs. 1 Satz 1 EQV die betroffenen Personen dazu, sich nach der Einreise zu einer selbst gewählten Unterkunft zu begeben und sich dort für einen Zeitraum von 14 Tagen in Eigenregie abzusondern. Die Einreise-Quarantäneverordnung regelte jedoch keine Eingriffsbefugnisse, mittels derer ein Verbleiben in der selbst gewählten Unterkunft oder eine Rückkehr zu dieser unter Einsatz direkten Zwangs hätte durchgesetzt werden können. Als Sanktion im Fall eines Verstoßes gegen die Absonderungspflicht war vielmehr nur die Verhängung eines Bußgelds vorgesehen. Eine über die Rechtspflicht zur Anwesenheit in der Unterkunft hinausgehende, unmittelbarem Zwang vergleichbare Beschränkung der Bewegungsfreiheit wurde durch § 1 Abs. 1 Satz 1 EQV somit nicht hervorgerufen.

c) Art. 109 Abs. 1 BV (Freizügigkeit), wonach das Recht geschützt ist, sich an jedem beliebigen Ort in Bayern zu grundsätzlich jedem beliebigen Zweck aufzuhalten, wurde ebenso wenig verletzt wie die Handlungsfreiheit, die Berufsfreiheit oder das Eigentumsrecht. Der Normgeber verfolgte mit der angegriffenen Regelung das Ziel, Ansteckungen mit dem Virus SARS-CoV-2 zu vermeiden und dadurch Leben und Gesundheit zu schützen sowie eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Dabei handelte es sich um einen legitimen Regelungszweck, der eine Einschränkung des Grundrechts rechtfertigen konnte.

Die Verpflichtung zur Absonderung stellte während der Geltungsdauer der angegriffenen Regelung vom 10. April bis zum 15. Mai 2020 eine zur Erreichung des Regelungsziels erforderliche Maßnahme dar. Der Verordnungsgeber durfte ohne Überschreitung des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums davon ausgehen, dass mildere Mittel nicht in Betracht kamen. Eine bloße Verpflichtung, für einen Zeitraum von 14 Tagen in der Öffentlichkeit eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen und durchgehend einen Sicherheitsabstand zu anderen Personen einzuhalten, hätte nur einen geringeren Schutz gegen die Übertragung des Virus gewährleistet als eine Absonderung. Entsprechendes gilt für die Anordnung der Durchführung von SARS-CoV-2-Tests bei eingereisten Personen. Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass der Normgeber angesichts der weltweiten Ausbreitung des Virus eine generelle Absonderungsverpflichtung nach Einreise aus dem Ausland für erforderlich hielt, ohne eine Differenzierung danach vorzunehmen, wie sich die Infektionslage in dem Land darstellte, aus dem die Einreise erfolgte.

Die mit der angegriffenen Regelung verbundenen Einbußen an grundrechtlich geschützter Freiheit standen nicht in unangemessenem Verhältnis zu den legitimen Gemeinwohlzwecken, denen die Grundrechtsbeschränkung diente. Auf der Grundlage der wissenschaftlichen Einschätzung des Robert-Koch-Instituts durfte der Verordnungsgeber davon ausgehen, dass das Virus eine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit der Bevölkerung darstellte, und diesen Rechtsgütern höheres Gewicht einräumen als den durch die Pflicht zur Absonderung hervorgerufenen Beeinträchtigungen. Hinzu kommt, dass nach § 2 Abs. 1 Satz 2 EQV in begründeten Einzelfällen Befreiungen von der Absonderungspflicht erteilt werden konnten.

d) Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Einreisenden (Art. 118 Abs. 1 BV) war nicht gegeben. § 1 Abs. 1 Satz 1 EQV wirkte in Verbindung mit der Ausnahmeregelung des § 2 EQV vorrangig den Infektionsrisiken entgegen, die von einem nicht durch dringende Gründe gerechtfertigten Einreiseverkehr ausgingen. Dies stellte ein durch plausible, sachliche Gründe getragenes Regelungskonzept dar.


VerfGH Bayern, 23.11.2020 - Az: Vf. 59-VII-20

Quelle: PM des VerfGH Bayern

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