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Auch mobile Massagen sind verboten

Firmen / Gewerbe | Lesezeit: ca. 32 Minuten

Die Antragstellerin betreibt seit dem Jahr 2003 mit zuletzt neun Angestellten einen mobilen Dienstleistungsbetrieb, über den sie neben verschiedenen Gruppenveranstaltungen (Fitness- und Aktivierungsveranstaltungen) für Unternehmen und Private weit überwiegend Massagen des Rückens und des Nackens in den Räumlichkeiten ihrer Unternehmenskunden anbietet. Sie begehrt die vorläufige Außervollzugsetzung von § 12 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung - CoronaSchVO) vom 30. Oktober 2020 (GV. NRW. S. 1044b), zuletzt geändert durch Verordnung vom 9. November 2020 (GV. NRW. S. 1046a).

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, es bestehe eine nicht durch Sachgründe gerechtfertigte Ungleichbehandlung in der Totaluntersagung der Gewerbeausübung im Bereich der Massagen im Verhältnis zu den Dienstleistungen von Logopäden, Hörgeräteakustikern, Optikern sowie zu Fußpflege- und Friseurleistungen. Die Verordnung erlaube sogar gesichtsnahe Dienstleistungen ohne weitere Voraussetzung und fordere lediglich für gesichtsnahe Tätigkeiten, bei denen der Kunde bzw. die Kundin keine Mund-Nase-Bedeckung trage, einen höherwertigen Schutz für die Dienstleisterin oder den Dienstleister. Noch offensichtlicher werde der Verstoß im systematischen Zusammenhang der Dienstleistungen der Nr. 1 und 2 im Verhältnis zu Nr. 3. Danach werde sogar die kosmetische Fußpflege privilegiert, da die medizinisch notwendige Fußpflege, etwa für Diabetiker, ohnehin nach Nr. 3 privilegiert sei. Die vom Verordnungsgeber vorgenommene Differenzierung sei willkürlich und beruhe nicht auf einer sinnvollen Risikoeinschätzung, sie sei insbesondere nicht als Teil eines stringenten Gesamtkonzepts zu rechtfertigen. Nachvollziehbare Differenzierungskriterien seien nicht erkennbar. Der Verordnungsgeber dürfe nicht auf der Basis einer gesellschaftlich erwünschten Grundhaltung bestimmte Betriebe von der Schließung ausnehmen. Angesichts des breit gefächerten Angebots im Bereich der mobilen und stationären Massagen sei eine konkret betriebsbezogene Betrachtung unter Berücksichtigung der - bei ihr vorhandenen - Sicherungsmaßnahmen erforderlich. Die erforderliche Binnendifferenzierung fehle. Das Schutzkonzept der Coronaschutzverordnung werde durch die von ihr begehrte Außervollzugsetzung nicht unterminiert.

Hierzu führte das Gericht aus:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Der gemäß § 47 Abs. 6, Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 109a JustG NRW statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag ist unbegründet. Die von der Antragstellerin begehrte einstweilige Anordnung ist nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten (§ 47 Abs. 6 VwGO).

Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags in der Hauptsache, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ist danach der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Ergibt diese Prüfung, dass ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache voraussichtlich begründet wäre, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug der streitgegenständlichen Norm zu suspendieren ist. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug der Rechtsvorschrift vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist.

Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht dringend geboten, weil der Senat bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung von offenen Erfolgsaussichten eines noch zu stellenden Normenkontrollantrags ausgeht (I.), die deswegen anzustellende Folgenabwägung aber zu Lasten der Antragstellerin ausfällt (II.).

I. 1. Bei summarischer Prüfung erweist sich noch nicht als offensichtlich, dass § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG als hinreichende, dem Parlamentsvorbehalt genügende Ermächtigungsgrundlage für die derzeit erneut (in § 12 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO) geregelten Dienstleistungsverbote aufgrund der sich mit zunehmender Häufung intensivierenden Eingriffe in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG von vornherein nicht mehr in Betracht kommt. Zwar gewinnen die in der Rechtsprechung des erkennenden Senats bereits angesprochenen, zu Beginn der Pandemielage jedoch verworfenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG als Grundlage für allgemeine flächendeckende Betriebsverbote, mit Fortdauer der Pandemielage und Wiederholung der verordneten Betriebsschließungen zunehmend Gewicht. Insoweit spricht einiges dafür, dass der Gesetzgeber auf Dauer besonders grundrechtsintensive flächendeckende Maßnahmen, wie etwa Untersagungen unternehmerischer Tätigkeiten, selbst tatbestandlich und auf Rechtsfolgenseite konkretisieren und möglicherweise auch eine Entscheidung über etwaige Entschädigungsleistungen (wie sie bereits im 12. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes für andere Sachverhalte normiert wurden) treffen muss.

Allerdings ist in der Rechtsprechung auch anerkannt, dass es im Rahmen unvorhergesehener Entwicklungen aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls geboten sein kann, nicht hinnehmbare gravierende Regelungslücken für einen Übergangszeitraum insbesondere auf der Grundlage von Generalklauseln zu schließen, um so auf schwerwiegende Gefahrensituationen auch mit im Grunde genommen näher regelungsbedürftigen Maßnahmen vorläufig reagieren zu können.

Dass ein solcher Übergangszeitraum - die grundsätzliche Notwendigkeit einer näheren Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unterstellt - im Zeitpunkt des Verordnungserlasses bereits abgelaufen war, kann im Verfahren der einstweiligen Anordnung nicht als offensichtlich angenommen werden, sondern bedarf eingehender Prüfung in einem Hauptsacheverfahren.

2. Die bis zum 30. November 2020 erfolgte Untersagung der hier in Rede stehenden körpernahen Dienstleistung (mobile Massagen) durch § 12 Abs. 2 Satz 1 CoronaSchVO erweist sich im Übrigen nicht als offensichtlich rechtswidrig.

Das in § 12 Abs. 2 Satz 1 CoronaSchVO enthaltende Verbot gilt in Bezug auf Massagen nicht ausnahmslos. Untersagt sind lediglich Massagen, die von nicht im Gesundheitswesen tätigen Dienstleistern (§ 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 CoronaSchVO) oder ohne konkrete medizinische Indikation (§ 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 CoronaSchVO) angeboten werden. Dienstleister bzw. Handwerker im Sinne des § 12 Abs. 2 Satz 1 CoronaSchVO sind die exemplarisch benannten Physio-, Ergotherapeuten, Logopäden, Hebammen, Hörgeräteakustiker, Optiker, orthopädischen Schuhmacher, hingegen nicht etwa Sportlehrer oder Fitnesstrainer, die in Ausübung ihrer berufstypischen Aufgabenstellung körpernahe Dienst- bzw. Handwerksleistungen im Gesundheitswesen erbringen.

Daran fehlt es etwa bei Tätigkeiten in Einrichtungen, in denen körpernahe Dienstleistungen (Massagen) vornehmlich zum Zweck der Entspannung, der Erholung oder zur Förderung des allgemeinen Wohlbefindens angeboten werden, wie etwa Wellnesshotels oder Studios, in denen erotische Massagen angeboten werden.

Auf die medizinische Notwendigkeit stellt diese Ausnahmevorschrift, anders als § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 CoronaSchVO, nicht ab. Erforderlich aber auch ausreichend ist, dass die körpernahe Dienstleistung in Ausübung der den Dienstleistern obliegenden bestimmungsmäßigen Aufgabe im Gesundheitswesen erbracht wird. Unabhängig vom Dienstleister sind köpernahe Dienstleistungen nach § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 CoronaSchVO zudem dann erlaubt, wenn sie medizinisch notwendig sind. Medizinisch notwendig sind Massagen, wenn sie eine nach objektiven medizinischen Befunden erforderliche Heilbehandlung darstellen.

Das in diesem Sinne zu verstehende Dienstleistungsverbot ist voraussichtlich nicht zu beanstanden.

Der mit der streitigen Maßnahme in erster Linie verbundene Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit und gegebenenfalls die von Art. 14 GG geschützte Eigentumsgarantie der Betreiber entsprechender Dienstleistungsbetriebe genügt bei summarischer Bewertung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (a) und begründet danach wohl auch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG (b).

a) Die Untersagung dient dem legitimen Zweck, die Weiterverbreitung des SARS-CoV-2-Virus einzudämmen. Der Verordnungsgeber darf davon ausgehen, dass die Corona-Pandemie angesichts der in jüngster Zeit erfolgten rapiden und flächendeckenden Zunahme der Zahl der nachweislich infizierten Personen eine ernstzunehmende Gefahrensituation begründet, die staatliches Einschreiten nicht nur rechtfertigt, sondern mit Blick auf die Schutzpflicht des Staates für Leib und Gesundheit der Bevölkerung auch gebietet.

Die gegenwärtige Situation ist durch ein exponentielles Ansteigen der Infektionszahlen gekennzeichnet. Die 7-Tage-Inzidenz liegt mit Stand vom 25. November 2020 für ganz Deutschland bei einem Wert von 140 und für Nordrhein-Westfalen nochmals deutlich darüber bei einem Wert von 158. Die berichteten R-Werte liegen derzeit bei 0,76 (4-Tage-R-Wert) und 0,87 (7-Tage-R-Wert). Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fälle ist in den vergangenen Wochen von 618 Patienten am 13. Oktober 2020 auf 3.781 Patienten am 25. November 2020, von denen mehr als die Hälfte invasiv beatmet werden müssen, versechsfacht. Dies lässt sich auch nicht mehr durch wenige einzelne Ursachen erklären. Vielmehr stellt sich das aktuelle Infektionsgeschehen sehr diffus dar.

Angesichts dessen sieht der Verordnungsgeber zu Recht einen dringenden Handlungsbedarf. Ziel seiner Maßnahmen ist es, in dieser Situation durch eine allgemeine Reduzierung von Kontakten vor allem im Privaten und im Freizeit- und Unterhaltungsbereich bei gleichzeitiger Offenhaltung von Schulen und Kitas und weitgehender Schonung der Wirtschaft im Übrigen den exponentiellen Anstieg des Infektionsgeschehens bis auf eine wieder nachverfolgbare Größe von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner pro Woche zu senken, um eine Überforderung des Gesundheitssystems zu vermeiden.

Zur Erreichung dieses Ziels dürfte das angefochtene Dienstleistungsverbot geeignet (aa), erforderlich (bb) und angemessen sein (cc). Ebenso wie für die Eignung einer Maßnahme kommt dem Gesetz- bzw. im Rahmen der Ermächtigung dem Verordnungsgeber für ihre Erforderlichkeit ein Beurteilungs- und Prognosespielraum zu.

Diesen hat der Verordnungsgeber nicht erkennbar überschritten, zumal es die einzig richtige Maßnahme nicht gibt.

aa) Dass Maßnahmen zur Reduzierung von Kontakten grundsätzlich geeignet sind, Infektionsrisiken zu reduzieren, ist angesichts des Hauptübertragungswegs, der respiratorischen Aufnahme virushaltiger Partikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen oder Niesen entstehen, nicht zweifelhaft. Das Verbot, die streitgegenständlichen körpernahen Dienstleistungen zu erbringen, trägt hierzu bei. Eine Verbreitung von Tröpfchen und Aerosolen in der Luft lässt sich wegen des nicht einzuhaltenden Mindestabstands von 1,5 Metern zum Kunden trotz weiterer Hygienevorkehrungen (z. B. Gesichtsmasken, Desinfektion) nicht vollständig ausschließen. Massagen werden regelmäßig in geschlossenen Räumlichkeiten erbracht und nehmen einen nicht unerheblichen Zeitraum in Anspruch. Das Verbot trägt zudem dazu bei, Kontakte weiter zu reduzieren, die andernfalls nicht nur in den Räumen, sondern auch bei deren Betreten und Verlassen sowie dem Weg dorthin stattfinden würden, und auf die die Antragstellerin, gerade weil sie ihre Massagen außer Haus in Unternehmen und Büros anbietet, trotz aller eigener Hygienekonzepte und Schutzvorkehrungen wenig Einfluss hat. All dies sind Umstände, die eine Infektion über Tröpfchen und Aerosole begünstigen können und eine erhöhte Infektionsgefahr begründen.

Dass das Dienstleistungsverbot möglicherweise für sich genommen nur in verhältnismäßig geringem Umfang zur Eindämmung des Infektionsgeschehens beiträgt, stellt seine Eignung, als Teil eines zahlreiche Maßnahmen umfassenden Gesamtpakets zur Eindämmung des Virus beizutragen, nicht in Frage. Die Eignung ist auch nicht deshalb zweifelhaft, weil der Verordnungsgeber nicht sämtliche körpernahen Dienstleistungen untersagt hat.

bb) Das Verbot dürfte auch erforderlich sein. Dem Verordnungsgeber wird voraussichtlich nicht vorgehalten werden können, sich nicht für ein anderes, die Berufsfreiheit der Antragstellerin weniger beeinträchtigendes Regelungsmodell entschieden zu haben. Von Massagen ausgehende Infektionsrisiken lassen sich durch Hygienemaßnahmen, anders als durch das in § 12 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO enthaltende weitreichende Verbot, nicht gleichermaßen effektiv ausschließen.

Dass sich das Dienstleistungsangebot der Antragstellerin bislang nicht als Infektionstreiber erwiesen hat, stellt die Erforderlichkeit nicht in Frage. Angesichts der Diffusität des Infektionsgeschehens und des Umstands, dass sich Infektionsketten größtenteils nicht mehr zurückverfolgen lassen, lassen sich die Ansteckungsquellen vielfach nicht mehr feststellen. Fehlende Berichte über Infektionen im Zusammenhang mit (mobilen) Massagen lassen deshalb nicht zwangsläufig den Rückschluss zu, Infektionsquellen existierten dort nicht und das Virus könne von dort aus nicht verbreitet werden. Mit dem Anstieg der Infektionszahlen dürfte sich das Risiko, sich insbesondere bei symptomlos erkrankten Personen unbemerkt anzustecken und das Virus auf diese Weise bei oder anlässlich der Erbringung der Dienstleistung weiterzutragen, erhöhen.

Im Übrigen zielt, wie dargelegt, das vom Verordnungsgeber verfolgte Schutzkonzept nicht (vorrangig) auf die Schließung von in infektionsschutzrechtlicher Hinsicht konkret gefährlichen Bereiche, sondern die Reduzierung nicht zwingend erforderlicher persönlicher Kontakte.

cc) Das Verbot dürfte sich auch als angemessen erweisen. Angemessen, d. h. verhältnismäßig im engeren Sinne, ist eine freiheitseinschränkende Regelung, wenn das Maß der Belastung des Einzelnen noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht. Hierbei ist eine Abwägung zwischen den Gemeinwohlbelangen, deren Wahrnehmung der Eingriff in Grundrechte dient, und den Auswirkungen auf die Rechtsgüter der davon Betroffenen notwendig. Die Interessen des Gemeinwohls müssen umso gewichtiger sein, je empfindlicher der Einzelne in seiner Freiheit beeinträchtigt wird. Zugleich wird der Gemeinschaftsschutz umso dringlicher, je größer die Nachteile und Gefahren sind, die aus gänzlich freier Grundrechtsausübung erwachsen können.

Davon ausgehend ist die fragliche Regelung bei vorläufiger Bewertung nicht zu beanstanden, weil die Schwere der damit erneut verbundenen Grundrechtseingriffe voraussichtlich noch nicht außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Verordnungszweck steht. Das Verbot die streitgegenständlichen Dienstleistungen zu erbringen, greift in ganz erheblicher Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und gegebenenfalls auch das von der Eigentumsgarantie erfasste Recht des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs (Art. 14 Abs. 1 GG) der davon betroffenen Betreiber ein. Infolge der im Frühjahr verordneten Schließung und der nachfolgend angeordneten Infektionsschutzmaßnahmen dürften - trotz der staatlichen Unterstützungsmaßnahmen - viele Betriebe mit ganz erheblichen wirtschaftlichen Einbußen konfrontiert sein. Die Umsatzausfälle des Monats November 2020 sollen jedoch durch staatliche Unterstützungsmaßnahmen abgefedert werden. Das außerordentliche Wirtschaftshilfeprogramm des Bundes stellt hierfür insgesamt bis zu 10 Milliarden Euro bereit. Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten erhalten eine einmalige Kostenpauschale in Höhe von bis zu 75 Prozent ihres Umsatzes von November 2019. Die Höhe errechnet sich aus dem durchschnittlichen wöchentlichen Umsatz des Vorjahresmonats, gezahlt wird sie für jede angeordnete Lockdown-Woche. Bei jungen Unternehmen, die nach November 2019 gegründet wurden, gelten die Umsätze von Oktober 2020 als Maßstab. Solo-Selbständige haben das Wahlrecht, als Bezugsrahmen für den Umsatz auch den durchschnittlichen Vorjahresumsatz 2019 zugrunde zu legen. Für größere Unternehmen gelten abweichende Prozentanteile vom Vorjahresumsatz. Die Höhe der Zuschüsse wird hier im Einzelnen anhand beihilferechtlicher Vorgaben ermittelt. Anderweitige Hilfen für den Zeitraum wie beispielsweise Kurzarbeitergeld oder Überbrückungshilfe werden vom Erstattungsbetrag abgezogen.

Hinzu tritt die Überbrückungshilfe des Bundes (2. Phase). Die 2. Phase der Überbrückungshilfe ist ein branchenübergreifendes Zuschussprogramm mit einer Laufzeit von vier Monaten (September bis Dezember 2020), welches zum Ziel hat, Umsatzrückgänge während der Corona-Krise abzumildern. Die Förderung schließt nahtlos an die 1. Phase der Überbrückungshilfe mit dem Förderzeitraum Juni bis August 2020 an. Dabei werden die Zugangsbedingungen abgesenkt und die Förderung ausgeweitet. Das Hilfsprogramm unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen sowie Solo-Selbstständige und Freiberufler, die von den Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung besonders stark betroffen sind, mit nicht-rückzahlbaren Zuschüssen zu den betrieblichen Fixkosten. Je nach Höhe der betrieblichen Fixkosten können Unternehmen für die vier Monate bis zu 200.000 Euro an Förderung erhalten.

Von Seiten des Landes Nordrhein-Westfalen wurde das Bundesprogramm durch die NRW Überbrückungshilfe Plus ergänzt (1. Phase in den Fördermonaten Juni bis August 2020). Diese stellt zusätzliche Hilfen für Solo-Selbstständige, Freiberufler und im Unternehmen tätige Inhaber von Einzelunternehmen und Personengesellschaften mit höchstens 50 Mitarbeitern in Nordrhein-Westfalen bereit. Berechtigte erhielten danach eine einmalige Zahlung in Höhe von 1.000 Euro pro Monat für maximal drei Monate. Das Programm wird für eine Laufzeit von weiteren vier Monaten (September bis Dezember 2020) fortgesetzt.

Auch wenn diese staatlichen Unterstützungsleistungen bislang lediglich angekündigt sind und ein konkreter Zeitpunkt für die Auszahlungen der sog. Novemberhilfen (erste Abschlagszahlungen sollen Ende dieses Monats erfolgen) noch nicht feststeht, dürften die mit der angefochtenen Regelung verbundenen Grundrechtseingriffe noch in einem vernünftigen Verhältnis zu dem mit der Regelung verfolgten Zweck stehen, ganz erhebliche Gefahren für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen im Falle einer unkontrollierten Infektionsausbreitung zu verhindern.

b) Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dürfte bei der derzeit allein möglichen summarischen Bewertung ebenfalls nicht vorliegen. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln.

Er verwehrt dem Normgeber nicht jede Differenzierung. Diese bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen.

Hiernach dürften die sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden Grenzen für die Infektionsschutzbehörde in der gegenwärtigen Pandemielage weniger streng sein.

Sachgründe können sich im vorliegenden Regelungszusammenhang aus dem infektionsrechtlichen Gefahrengrad der Tätigkeit, aber voraussichtlich auch aus ihrer Relevanz für das öffentliche Leben (etwa Schulen, Kitas, Bildungseinrichtungen, ÖPNV sowie die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und bestimmten (u.a. medizinischen) Dienstleistungen) ergeben.

In Anwendung dieses Maßstabs drängt sich ein Gleichheitsverstoß des Verordnungsgebers jedenfalls nicht auf. Dieser durfte im Rahmen des von ihm verfolgten Regelungskonzepts voraussichtlich das gesellschaftliche Bedürfnis nach bestimmten, weiter zulässigen (Dienst-)Leistungen ebenso wie die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der in Betracht kommenden Maßnahmen in seine Entscheidung einfließen lassen, weite Teile des öffentlichen Lebens, in denen ebenfalls Menschen in geschlossenen Räumlichkeiten zusammentreffen, nicht zu schließen.

Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der hier streitgegenständlichen Dienstleistungen liegt deshalb voraussichtlich nicht darin, dass der Verordnungsgeber medizinisch nicht notwendige, weil der Erholung und Entspannung dienende Massagen nicht grundsätzlich vom Dienstleistungsverbot ausnimmt.

Hierin dürfte wohl weder im Vergleich zu den nach § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 CoronaSchVO medizinisch notwendigen Handwerks- und Dienstleistungen noch im Vergleich zu den in § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 CoronaSchVO benannten Handwerkern und - unabhängig vom Bestehen einer eigenen Heilkundeerlaubnis - Dienstleistern aus dem Gesundheitswesen eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung liegen. Auch bei Letzteren darf der Verordnungsgeber bei zulässiger generalisierender Betrachtung voraussichtlich davon ausgehen, dass diese der Grundversorgung zuzurechnen und medizinisch nicht notwendige Leistungen in einer überwiegenden Zahl der Fälle zumindest (auch) gesundheitlich indiziert sind. Im Übrigen dürfte es auch ein berechtigtes Anliegen des Verordnungsgebers sein, die Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung im Bereich der im Gesundheitswesen tätigen Handwerker und Dienstleister im Interesse einer effektiven Infektionsbekämpfung auf diese Weise praktisch handhabbar zu halten.

Nicht zu beanstanden sein dürfte ferner, dass der Verordnungsgeber Friseurdienstleistungen und (kosmetische) Fußpflegeleistungen nicht untersagt hat (§ 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 CoronaSchVO). Hierbei handelt es sich bei pauschalierender Betrachtung typischerweise um Dienstleistungen, die schwerpunktmäßig der Grundversorgung der Bevölkerung (Waschen und Schneiden der Haare, Fußpflege insbesondere bei älteren Personen) zuzuordnen sind. Derartige Dienstleistungen werden von einem Großteil der Bevölkerung mehr oder weniger regelmäßig in Anspruch genommen, weshalb der Verordnungsgeber sie unter den gegebenen Umständen trotz hiervon ausgehender Infektionsgefahren als weniger verzichtbar ansehen durfte als medizinisch nicht notwendige oder gesundheitlich nicht indizierte Wellness- und Entspannungsmassagen.

Dass der Verordnungsgeber im Wesentlichen der Erholung, Entspannung und Erfrischung dienende (mobile) Massagen nicht der Grundversorgung zuordnet und in Abwägung des von ihnen ausgehenden Infektionsrisikos mit dem Nutzen für das öffentliche Leben keine Ausnahme vom Dienstleistungsverbot bestimmt, dürfte jedenfalls nicht willkürlich sein.

Lediglich anzumerken ist, dass der Verordnungsgeber im Falle eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG zwecks Sicherstellung der Effizienz des von ihm beschlossenen Maßnahmenpakets nicht zwangsläufig gehalten wäre, die streitgegenständlichen Dienstleistungen zu erlauben. Er könnte zwecks Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG für bislang erlaubte Dienstleistungen vielmehr auch deren Untersagungen in Erwägung ziehen.

II. Die angesichts der offenen Erfolgsaussichten anzustellende Folgenabwägung ergibt, dass die von der Antragstellerin dargelegten wirtschaftlichen Einbußen unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit des angefochtenen Verbots hinter den Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zurücktreten müssen. Angesichts des eingangs beschriebenen rasanten Anstiegs der Zahl von Neuinfektionen und der vor diesem Hintergrund konkret zu befürchtenden Überlastung der (intensiv)medizinischen Behandlungskapazitäten fallen die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm schwerer ins Gewicht als die durch die vorbeschriebenen Hilfsprogramme abgemilderten wirtschaftlichen Folgen ihres einstweilig weiteren Vollzugs.


OVG Nordrhein-Westfalen, 26.11.2020 - Az: 13 B 1636/20.NE

ECLI:DE:OVGNRW:2020:1126.13B1636.20NE.00

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