Es besteht kein Anspruch auf Nachteilsausgleich durch Vorlesen oder technische Vorlesehilfen sowie durch Diktiermöglichkeiten. Diese Maßnahmen überschreiten die Grenzen des Nachteilsausgleichs und würden die prüfungsrelevanten Kernkompetenzen in den Bereichen Lesen und Schreiben ersetzen, anstatt lediglich die Bedingungen zur Darstellung des Leistungsvermögens anzupassen.
Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich ergibt sich aus Art. 52 Abs. 5 Satz 1 BayEUG in Verbindung mit § 33 Abs. 1, Abs. 3 BaySchO. Schülerinnen und Schüler mit lang andauernder Beeinträchtigung erhalten Anpassungen der Prüfungsbedingungen, sofern das fachliche Anforderungsniveau gewahrt bleibt. Die Vorschrift verlangt, dass die wesentlichen Leistungsanforderungen, die sich aus den allgemeinen Lernzielen und Kompetenzen der jeweiligen Schulart ergeben, erhalten bleiben.
Die diagnostizierte Lese-Rechtschreib-Störung stellt eine Behinderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG dar (vgl. BVerfG, 22.11.2023 - Az:
1 BvR 2577/15 u.a.; BVerwG, 29.07.2015 - Az: 6 C 35/14). Benachteiligungen sind danach nur dann gerechtfertigt, wenn sie nicht durch behinderungsspezifische Hilfen ausgeglichen werden können. Gleichwohl sind nur solche Maßnahmen verpflichtend, die die Chancengleichheit wahren, ohne die Prüfungsanforderungen inhaltlich abzusenken.
Das selbständige Lesen und Schreiben ist nach den Vorgaben des Lehrplans der Mittelschule in der Jahrgangsstufe 9 wesentlicher Bestandteil der schulischen Leistungsanforderungen. Der Fachlehrplan Deutsch unterscheidet zwischen den Kompetenzbereichen „Lesen – mit Texten umgehen“ und „Sprechen und Zuhören“. Eigenständiges Lesen und die Erschließung von Texten bilden zentrale Leistungsziele, die sich auch im Fach Englisch und im Fach Mathematik wiederfinden. Auch das Schreiben wird als eigenständiger Kompetenzbereich geprüft, der das Planen, Verfassen und Überarbeiten eigener Texte umfasst. Vorlesen oder Diktieren ersetzt diese Kernanforderungen und würde den Charakter der zu bewertenden Leistung verändern.
Ein Vergleich mit sehbehinderten oder hörgeschädigten Schülern führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Auch diese Schüler erlernen Schriftsysteme wie Braille oder Schwarzschrift und müssen Lese- und Schreibkompetenzen nachweisen. Unterschiede in den Prüfungsbedingungen beruhen auf spezifischen Behinderungsarten und stellen sachlich gerechtfertigte Differenzierungen dar.
Im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG liegt zwar eine mittelbare Benachteiligung legasthener Schülerinnen und Schüler vor. Diese beruht jedoch auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage, da Lesen und Schreiben elementare Bestandteile schulischer Bildung sind und damit Prüfungsgegenstand sein müssen. Das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG gebietet keine Ergebnisgleichheit, sondern nur die Sicherung chancengleicher Bedingungen im Rahmen der bestehenden Leistungsanforderungen.