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Pfändungsfreibetrag: Der tatsächlich geleistete Unterhalt ist maßgeblich

Familienrecht | Lesezeit: ca. 9 Minuten

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§ 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO ist dahin auszulegen, dass bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags die laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Unterhaltsberechtigten nur in dem Umfang zu berücksichtigen sind, in dem der Schuldner seine gesetzlichen Unterhaltspflichten den weiteren Unterhaltsberechtigten gegenüber erfüllt oder in dem er von den weiteren Unterhaltsberechtigten im Wege der Zwangsvollstreckung in Anspruch genommen wird (Aufgabe von BGH, 05.08.2010 - Az: VII ZB 101/09).

Hierzu führte das Gericht aus:

Betreibt der Gläubiger gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsansprüchen im Sinne des § 850d ZPO, ist dem Schuldner gemäß § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden Berechtigten oder zur gleichmäßigen Befriedigung der dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten bedarf.

§ 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO ist dahin auszulegen, dass bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags die laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Unterhaltsberechtigten nur in dem Umfang zu berücksichtigen sind, in dem der Schuldner seine gesetzlichen Unterhaltspflichten den weiteren Unterhaltsberechtigten gegenüber erfüllt oder in dem er von den weiteren Unterhaltsberechtigten im Wege der Zwangsvollstreckung in Anspruch genommen wird.

An der mit Beschluss vom 5. August 2010 (Az: VII ZB 101/09) vertretenen gegenteiligen Auffassung, wonach die gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den weiteren Unterhaltsberechtigten bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags auch dann in vollem Umfang zu berücksichtigen sind, wenn der Schuldner ihnen nur teilweise nachkommt, hält der Senat aus nachfolgenden Gründen nicht fest.

Der Wortlaut des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO ist insoweit nicht eindeutig. Er kann zwar dahin verstanden werden, dass auf den Betrag abzustellen ist, der zur Erfüllung der laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten potentiell erforderlich wäre. Es kommt jedoch auch ein Verständnis in Betracht, wonach ein Bedarf des Schuldners zur Erfüllung der laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten nur in dem Umfang anzunehmen ist, in dem er tatsächlich - sei es freiwillig oder im Wege der Zwangsvollstreckung - leistet.

Nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist indes die letztgenannte Auslegung des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO zutreffend.

Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Interessen der Unterhaltsgläubiger im Vollstreckungsrecht einen hohen Schutz genießen. Dies kommt in § 850d Abs. 1 ZPO zum Ausdruck, der die dort bezeichneten Unterhaltsgläubiger vollstreckungsrechtlich privilegiert. So ist das Einkommen des Schuldners gemäß § 850d Abs. 1 Satz 1 ZPO ohne die Beschränkungen des § 850c ZPO pfändbar und gemäß § 850d Abs. 1 Satz 2 Fall 1 ZPO ist dem Schuldner für den eigenen Bedarf ein Betrag nur insoweit pfandfrei zu belassen, als es sich um notwendigen Unterhalt handelt.

§ 850d Abs. 1 Satz 2 Fall 2 ZPO regelt dagegen die Frage, wie der pfandfreie Betrag zu bestimmen ist, wenn der Schuldner neben dem vollstreckenden Unterhaltsgläubiger auch weiteren Unterhaltsberechtigten zum Unterhalt verpflichtet ist. Zweck dieser Regelung ist es, sicherzustellen, dass die dem vollstreckenden Unterhaltsgläubiger vorrangigen oder gleichstehenden Unterhaltsberechtigten durch die Vollstreckung nicht benachteiligt werden. Diese weiteren Unterhaltsberechtigten sollen durch die Berücksichtigung der ihnen gegenüber bestehenden gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags ihre Unterhaltsansprüche in größtmöglichem Umfang gegenüber dem Schuldner realisieren können. Dieser Zweck erfordert es indes nicht, bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags auf den Betrag abzustellen, der zur Erfüllung der laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten potentiell erforderlich wäre.

Solange der Schuldner seinen laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den weiteren Unterhaltsberechtigten nur teilweise - freiwillig oder im Wege der Zwangsvollstreckung - nachkommt, werden diese durch die Vollstreckung des Unterhaltsgläubigers nicht benachteiligt. Ihnen wird, wie das Beschwerdegericht zu Recht ausführt, insbesondere auch nicht die Möglichkeit genommen, ihre Unterhaltsansprüche in größtmöglichem Umfang gegenüber dem Schuldner zu realisieren. Sie können vielmehr eine Erhöhung des pfandfreien Betrags dadurch erreichen, dass sie ihrerseits wegen ihres (teilweise) nicht erfüllten Unterhaltsanspruchs Vollstreckungsantrag stellen und gemäß § 850g Satz 2 ZPO eine Änderung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erwirken. Auch die Möglichkeit, dass der Schuldner künftig durch freiwillige Leistungen seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber den weiteren Unterhaltsberechtigten in größerem Umfang nachkommen könnte, wird hierdurch nicht ausgeschlossen. Der Schuldner, der dies beabsichtigt, kann ebenfalls gemäß § 850g Satz 1 ZPO eine Änderung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erwirken. Dem praktischen Problem, dass ihm vor einer Erhöhung des pfandfreien Betrags noch keine Mittel zur Verfügung stehen, um seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht in größerem Umfang nachzukommen, kann gegebenenfalls durch eine befristete Erhöhung Rechnung getragen werden.

Würde man dagegen dem Schuldner - unabhängig davon, in welchem Umfang er seinen Unterhaltspflichten freiwillig oder im Wege der Zwangsvollstreckung nachkommt - stets den pfandfreien Betrag in Höhe der laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten belassen, wäre gerade nicht sichergestellt, dass dieser Betrag den weiteren Unterhaltsberechtigten zufließt. Hat der Schuldner bislang seine Unterhaltspflichten nicht oder nicht in vollem Umfang erfüllt, liegt vielmehr die Prognose nahe, dass der pfandfreie Betrag nicht zur Erfüllung der laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten verwendet wird, sondern ganz oder teilweise bei ihm verbleibt. In diesem Fall läge allein eine Benachteiligung des vollstreckenden Unterhaltsgläubigers zum Vorteil des Schuldners vor, ohne dass den weiteren Unterhaltsberechtigten hiermit gedient wäre. Ein solches Ergebnis würde indes dem im Vollstreckungsrecht bezweckten Schutz der Unterhaltsgläubiger zuwiderlaufen und wäre mit deren in § 850d ZPO vorgesehenen Privilegierung nicht zu vereinbaren.


BGH, 18.01.2023 - Az: VII ZB 35/20

ECLI:DE:BGH:2023:180123BVIIZB35.20.0

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Natalie Reil, Landshut

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