Die Haftung eines pharmazeutischen Unternehmers nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG setzt voraus, dass die beim bestimmungsgemäßen Gebrauch auftretenden schädlichen Wirkungen aus medizinischer Sicht unvertretbar sind. Die medizinische Unvertretbarkeit ist anhand einer Risiko-Nutzen-Abwägung zu ermitteln, wobei die therapeutischen Wirkungen eines Arzneimittels mit den schädlichen Wirkungen desselben verglichen werden. Überwiegt der therapeutische Nutzen die Risiken, so sind die schädlichen Wirkungen als medizinisch vertretbar anzusehen.
Bei der Prüfung der Unvertretbarkeit werden nicht nur die im konkreten Fall eingetretenen Schäden berücksichtigt, sondern es wird eine abstrakte Risiko-Nutzen-Abwägung vorgenommen, bei der sämtliche schädlichen Wirkungen erfasst werden. Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Bewertung ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. OLG Koblenz, 12.02.2025 - Az: 5 U 738/24).
Der Grundsatz der Vermutung der Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsakten gestattet es insbesondere anderen europäischen und nationalen Behörden sowie Gerichten in nachfolgenden Verfahren, von der Tatbestandswirkung eines europäischen Rechtsakts auszugehen. Das bedeutet, in nachfolgenden Verfahren ist bei der Rechtsprüfung das tatbestandliche Vorliegen einer rechtswirksamen Zulassung festzustellen (vgl. BVerwG, 07.07.2022 - Az: 1 WB 2/22).
Mit der Feststellung der rechtswirksamen Zulassung wird inzident das Vorliegen eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses festgestellt, da ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis Tatbestandsvoraussetzung der Zulassung eines Arzneimittels ist. Dies gilt sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene, und zwar sowohl für die bedingte Zulassung gemäß Art. 14a Abs. 3 Verordnung (EG) 726/2004 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 lit. a) Verordnung (EG) 507/2006 als auch für die ordentliche, fünf Jahre gültige Zulassung nach Art. 14a Abs. 8 Verordnung (EG) 726/2004.
Die Prüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses ist mithin wesentliche Voraussetzung sowohl für die bedingte Zulassung als auch für die Erteilung der unbedingten Zulassung, sodass mit den Zulassungsentscheidungen der EU-Kommission zugleich das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis mit Bindungswirkung auch für die Zivilgerichte festgestellt wird (vgl. BGH, 26.06.2023 - Az:
VIa ZR 335/21; LG Frankfurt, 14.02.2024 - Az:
2-12 O 264/22; BVerwG, 07.07.2022 - Az: 1 WB 2/22).
Wird eine wissenschaftliche Studie ins Feld geführt, die bestimmte Risiken belegen soll, muss diese auch tatsächlich vorgelegt werden. Die bloße Angabe einer Internetadresse, die nicht aufgerufen werden kann, genügt nicht. Internetrecherchen des Gerichts sind zudem kaum mit dem zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz in Einklang zu bringen.
Ohne Vorlage der Studie kann weder festgestellt werden, ob diese überhaupt den streitgegenständlichen Impfstoff betraf, noch ob die untersuchten Personen möglicherweise an anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen litten. Ebenso kann nicht dargelegt werden, dass etwaige relevante Ergebnisse nicht in die Risikobewertungen der zuständigen Behörden eingeflossen wären. Aus den Verlautbarungen der Europäischen Arzneimittelagentur ergibt sich vielmehr, dass bei Zulassungsempfehlungen alle verfügbaren Daten zu einem Impfstoff, einschließlich Daten zur Sicherheit, Wirksamkeit und Immunogenität, berücksichtigt wurden.
Die Haftung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG setzt - anders als nach Nr. 1 - eine doppelte Kausalität voraus: Die Rechtsgutverletzung muss auf der Anwendung des Arzneimittels beruhen und zugleich infolge der unzureichenden Arzneimittelinformation eingetreten sein (vgl. OLG München, 12.12.2024 - Az:
14 U 3100/24 e).
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