Mit seinem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgt der Antragsteller das Ziel, den Vollzug der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) vom 19. Juni 2020 (2126-1-10-G, BayMBl. 2020 Nr. 348) einstweilen auszusetzen, soweit durch § 5 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV Veranstaltungen, Versammlungen und öffentliche Festivitäten untersagt werden.
Mit weiterem Schriftsatz vom 6. Juli 2020 hat der Antragsteller sein bisheriges Vorbringen bekräftigt und ergänzend ausgeführt, dass Evaluierungen der Beschränkungen für Volksfeste und Kirchweihen gerade für kleinere und mittlere Feste dieser Art nicht erkennbar seien. Vielmehr scheine der Antragsgegner seine Maßnahmen ausschließlich an großen und sehr großen Volksfesten auszurichten. Für kleinere Feste sei eine pauschale Untersagung jedoch nicht gerechtfertigt.
Der zulässige Eilantrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor.
1. Der Eilantrag ist zulässig. Als Veranstalter von Kirchweih- und Volksfesten wird der Antragsteller durch das mit § 5 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV ausgesprochene Veranstaltungsverbot möglicherweise unmittelbar in seinen Rechten berührt. Denn selbst wenn - wie der Antragsgegner argumentiert - derartige Feste regelmäßig als gemeindliche Einrichtung i.S.d. Art. 21 Abs. 1 GO organisiert sein mögen und die Entscheidung für oder gegen die Durchführung eines Festes jedenfalls insoweit nicht allein dem Antragsteller zusteht, hat der Antragsteller unabhängig davon stets die Möglichkeit, ein Kirchweih- oder Volksfest als Spezial- oder Jahrmarkt i.S.d. § 68 GewO zu veranstalten; diese Möglichkeit wird ihm durch das angegriffene Veranstaltungsverbot genommen.
2. Der Antrag hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
a) Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn - wie hier - die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.
Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist.
b) Nach diesen Maßstäben kommt eine Außervollzugsetzung der in der Hauptsache angegriffenen Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV hier nicht in Betracht. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind derzeit als offen anzusehen (aa), weshalb im Wege der Folgenabwägung über den Antrag zu entscheiden ist. Die Folgenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass eine Außervollzugsetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV nicht dringend geboten ist (bb).
aa) Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind derzeit als offen anzusehen.
Bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten sieht sich der Senat mit einer Vielzahl komplexer fachlicher und rechtlicher Fragen konfrontiert, die einer abschließenden Klärung in einem Eilverfahren nicht zugänglich sind. Die im Verlauf der COVID-19-Pandemie erlassenen Maßnahmen der Infektionsschutzbehörden werden bislang auf Rechtsgrundlagen - insbesondere die §§ 28, 32 IfSG - gestützt, die trotz punktueller, als „Klarstellung“ bezeichneten Änderungen des § 28 IfSG zum 28. März 2020 (vgl. BGBl. 2020 I S. 587 ff., BT-Drucks 19/18111 S. 25) als Generalklauseln auf eine Pandemie dieser Größenordnung und derart weitreichende Maßnahmen nicht zugeschnitten sind. Eine etwa dem Art. 40 des Schweizerischen Epidemiengesetzes vom 28.9.2012 (AS 2015, 1435; SR 818.101) oder dem § 15 des Österreichischen Epidemiegesetzes 1950 vom 8.8.1950 (BGBl. 1950, 839) bzw. den §§ 1 f. des Österreichischen COVID-19-Maßnahmengesetzes vom 15. März 2020 (BGBl. I Nr. 12/2020) vergleichbare Rechtsgrundlage für allgemeine Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung und bestimmten Personengruppen fehlt bislang. Es wird deshalb in einem Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob die aufgrund der 6. BayIfSMV getroffenen Maßnahmen mit den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts vereinbar sind, da erhebliche Grundrechtseingriffe über einen längeren Zeitraum allein aufgrund §§ 28, 32 IfSG durch die Exekutive erfolgen.
Ebenso muss der Klärung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, ob und ggf. in welchem Umfang dem Antragsgegner ein Beurteilungsspielraum bei der Einschätzung der Gefährdungslage zusteht und ob ihm - was er ausdrücklich beansprucht - darüber hinaus ein gesonderter Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung zukommen kann, in welchen Schritten und nach welchen Kriterien einmal erlassene Infektionsschutzmaßnahmen wieder aufgehoben werden. Zu klären bleibt insbesondere, ob der prognostische Spielraum bei der Aufhebung von Infektionsschutzmaßnahmen größer sein kann als bei deren Anordnung.
Unabhängig vom Vorstehenden ergeben sich bei summarischer Prüfung zudem Anhaltspunkte dafür, dass die Normadressaten durch die angegriffene Bestimmung in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sein könnten. Das gilt vor allem im Hinblick auf die Frage, ob von Veranstaltungen wie Kirchweih- und anderen Volksfesten tatsächlich - wie vom Antragsgegner behauptet - auch bei überschaubarer Größe, eingeschränktem Betrieb und unter Beachtung eines Hygienekonzepts größere Infektionsgefahren ausgehen als von den nach der 6. BayIfSMV zulässigen Freizeitangeboten, insbesondere den ortsfesten Freizeitparks i.S.d. § 11 Abs. 1 6. BayIfSMV, die ebenfalls durch eine Kombination aus Unterhaltungs- und Gastronomieangeboten geprägt werden und bei denen - jedenfalls in der Fassung der Änderungsverordnung vom 7. Juli 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 387) - mittlerweile sogar Angebote innerhalb geschlossener Räume zulässig sind.
Fraglich erscheint insofern, ob ein Kirchweih- oder Volksfest spezifische Infektionsgefahren begründet, denen nur mit dem in § 5 Abs. 1 6. BayIfSMV enthaltenen repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt begegnet werden kann. Soweit der Antragsgegner das Verbot mit den großen Besucherzahlen von Veranstaltungen i.S.d. § 5 Abs. 1 6. BayIfSMV begründet, lässt er offen, warum den damit verbundenen Infektionsgefahren nicht auch durch eine Beschränkung der zulässigen Besucherzahlen (wie sie etwa nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 6. BayIfSMV für ortsfeste Freizeitparks gilt) begegnet werden könnte. Inwiefern eine Kontingentierung des Zutritts zu Kirchweih- und Volksfesten - anders als bei ortsfesten Einrichtungen - von vornherein ausgeschlossen sein sollte, erschließt sich nicht. Vielmehr liegen den bislang ausnahmsweise zugelassenen Veranstaltungen - soweit erkennbar - genau solche Kontingentlösungen zugrunde, bei denen im Vorverkauf Zugangsberechtigungen zum Marktgelände erworben werden müssen (vgl. etwa https://flohmarkt-riem.com/, zuletzt abgerufen am 13.7.2020). Ebenso zweifelhaft ist das Argument des Antragsgegners, wegen des kulinarischen Angebots auf Kirchweih- und Volksfesten sei eine Maskenpflicht i.S.d. § 1 Abs. 2 6. BayIfSMV „nicht ohne weiteres möglich“. Denn zum einen kollidiert eine Maskenpflicht mit allen - auch den nach § 13 6. BayIfSMV zulässigen - gastronomischen Angeboten, zum anderen wäre denkbar, die gastronomischen Angebote im Rahmen einer Veranstaltung räumlich so von den sonstigen, insbesondere Unterhaltungsangeboten zu trennen, dass einer Maskenpflicht in den Unterhaltungsbereichen keine grundsätzlichen Bedenken entgegenständen. Jedenfalls kann die pauschale Annahme des Antragsgegners, die konsequente Einhaltung eines hygienisch vertretbaren Abstands sei auf Kirchweih- und Volksfesten „unrealistisch“, allenfalls für solche Veranstaltungen gelten, die gerade keinen Zugangs- und sonstigen (etwa hygienischen, angebotsbezogenen oder zeitlichen) Beschränkungen unterliegen. Warum solche Beschränkungen aber speziell bei den von § 5 Abs. 1 6. BayIfSMV erfassten Veranstaltungen nicht ausreichend sein sollten, um den infektiologischen Gefahrenlagen gerecht zu werden, hat der Antragsgegner nicht dargelegt.
Während insofern die Erforderlichkeit des repressiven Veranstaltungsverbots Zweifeln unterliegt, erscheint andererseits jedoch denkbar, dass diesen Bedenken durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 2 6. BayIfSMV zumindest teilweise Rechnung getragen werden kann. Obwohl der Antragsteller pauschal bestritten hat, Ausnahmegenehmigungen für Veranstaltungen erhalten zu können, lässt die im Rahmen dieses Verfahrens maßgebliche Verordnungslage die Erteilung einer solchen Genehmigung im Einzelfall nicht nur ausdrücklich zu, sondern dürfte sie u.U. sogar erzwingen. Denn auch wenn nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 2 6. BayIfSMV lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Genehmigungsantrag für eine Veranstaltung i.S.d. § 5 Abs. 1 6. BayIfSMV besteht, spricht vieles dafür, dass vor dem Hintergrund des Art. 12 GG vielmehr ein gebundener Genehmigungsanspruch bestehen dürfte, wenn und soweit sich eine beantragte Veranstaltung aus infektionsschutzrechtlicher Sicht als vertretbar erweist. Für die Entscheidung über die infektionsschutzrechtliche Vertretbarkeit dürften die Kriterien für die Zulässigkeit ortsfester Freizeiteinrichtungen aus § 11 Abs. 1 6. BayIfSMV zumindest indizielle Bedeutung haben. Insofern ist denkbar, dass durch die vom Verordnungsgeber eröffnete Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung der Bedeutung der Grundrechte der Normadressaten aus Art. 12 GG noch hinreichend entsprochen wird.
bb) Die bei offenen Erfolgsaussichten angezeigte Folgenabwägung ergibt, dass eine Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelung nicht dringend geboten ist.
(1) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht, hätte der Normenkontrollantrag aber Erfolg, wären die von § 5 Abs. 1 6. BayIfSMV erfassten Veranstaltungen zu Unrecht untersagt worden. Durch den weiteren Vollzug der angegriffenen Regelung käme es möglicherweise zu teilweise irreversiblen Eingriffen in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der betroffenen Veranstalter mit erheblichen nachteiligen wirtschaftlichen Folgen. Die Gefahr für die wirtschaftliche Existenz der Betriebe vergrößert sich mit zunehmender Dauer des Betriebsverbots. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Untersagung nunmehr schon seit über drei Monaten andauert.
(2) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, bliebe der Normenkontrollantrag aber erfolglos, hätte die einstweilige Außervollzugsetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV zur Folge, dass die dort genannten Veranstaltungen ab sofort wieder unbeschränkt zulässig wären. Dadurch wäre mit hinreichender Wahrscheinlichkeit - in welchem Umfang auch immer - mit vermehrten Infektionen mit SARS-CoV-2 zu rechnen. Nach dem aktuellen Situationsbericht des nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 IfSG besonders zur Beurteilung der epidemiologischen Lage berufenen Robert-Koch-Instituts (im Folgenden: RKI) vom 13. Juli 2020 handelt es sich weltweit und in Deutschland auch weiterhin um eine „sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation“. Auch wenn die Anzahl der neu übermittelten Fälle seit etwa Mitte März rückläufig ist, schätzt das RKI die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin insgesamt als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch.
(3) Bei der Beurteilung und Abwägung dieser Umstände überwiegen jedenfalls derzeit noch die gegen eine vorläufige Außervollzugsetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV sprechenden Gründe.
Nach Einschätzung des RKI besteht weiterhin eine zwar abgeschwächte, in ihrem Ausmaß aber schwer einzuschätzende Gefahr einer erneuten Verstärkung des Pandemiegeschehens und damit eine Gefahr für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen, wobei die Wahrscheinlichkeit für schwere und auch tödliche Krankheitsverläufe mit dem Lebensalter und bestehenden Vorerkrankungen der Betroffenen zunimmt. Demgegenüber müssen die wirtschaftlichen Interessen der von dem Veranstaltungsverbot betroffenen Unternehmer weiterhin zurücktreten. Hierbei fällt insbesondere ins Gewicht, dass die Betroffenen einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 6. BayIfSMV stellen können. Wie oben ausgeführt, spricht bei summarischer Prüfung vieles dafür, dass diese Bestimmung einen rechtlich gebunden Genehmigungsanspruch vermittelt, wenn die geplante Veranstaltung - was im Einzelfall nachzuweisen wäre - infektionsschutzrechtlich vertretbar ist. Sollten die Genehmigungsbehörden, wie der Vortrag des Antragstellers nahelegt, diesen Maßgaben nicht entsprechen, bliebe dies ggf. einer gerichtlichen Überprüfung im Einzelfall vorbehalten.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).