Bei Zugrundelegung eines am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten, „flexiblen“ Maßstabs dürfte auch eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit einer Infektion mit dem Coronavirus noch genügen, um Einreisende aus dem Ausland typisierend als „Ansteckungsverdächtige“ im Sinne des § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG zu verstehen und ihnen gegenüber Quarantänemaßnahmen zu erlassen.
Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:
Der Antragsteller wendet sich gegen eine durch Rechtsverordnung angeordnete vierzehntägige häusliche Quarantäne.
Am 10.04.2020 erließ das Sozialministerium des Landes auf der Grundlage von § 32 Satz 1 und 2 IfSG sowie § 3a der Corona-Verordnung der Landesregierung vom 17.03.2020 (CoronaVO) eine Verordnung zu Quarantänemaßnahmen für Ein- und Rückreisende zur Eindämmung des Virus SARS-Cov-2 (CoronaVO Einreise), die seit dem 11.04.2020 in Kraft ist. Mit einer ersten Änderungsverordnung des Sozialministeriums vom 24.04.2020 wurde u.a. die Bezeichnung in „Corona-Verordnung Einreise- Quarantäne“ (CoronaVO EQ) geändert. Mit der zweiten Änderungsverordnung vom 02.05.2020 wurde u.a. bestimmt, dass die geänderte CoronaVO EQ mit Ablauf des 10.05.2020 außer Kraft tritt. Mit der dritten Änderungsverordnung vom 09.05.2020 wurde mit Wirkung zum 10.05.2020 u.a. bestimmt, dass die CoronaVO EQ erst mit Ablauf des 24.05.2020 außer Kraft tritt. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 CoronaVO EQ (in der aktuellen Fassung vom 09.05.2020) sind Personen, die auf dem Land-, See-, oder Luftweg aus einem Staat außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in das Land Baden-Württemberg einreisen, verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die eigene Häuslichkeit oder eine andere geeignete Unterkunft zu begeben und sich für einen Zeitraum von 14 Tagen nach ihrer Einreise ständig dort abzusondern; dies gilt auch für Personen, die zunächst in ein anderes Land der Bundesrepublik Deutschland eingereist sind. § 3 CoronaVO EQ regelt Ausnahmen von der häuslichen Quarantänepflicht. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 CoronaVO EQ kann die zuständige Behörde in begründeten Einzelfällen auf Antrag weitere Befreiungen erteilen.
Der Antragsteller hat am 13.05.2020 vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Zur Begründung trägt er vor: Er sei von den Azoren kommend am 07.05.2020 nach Deutschland eingereist. Bereits vor seiner Abreise von den Azoren seien dort keine aktiven Fälle von Corona mehr nachweisbar gewesen. Die Hygienemaßnahmen dort seien streng gewesen und hätten den Notfallmaßnahmen in Baden-Württemberg nicht nachgestanden. Er sei bereits in Portugal etwa 40 Tage einer faktischen Quarantäne ausgesetzt gewesen, weil die Insel per Notverordnung für den Verkehr gesperrt worden sei. Eine Ansteckung sei danach äußert unwahrscheinlich, auch der Heimflug nach X habe eine Ansteckung kaum zugelassen, insbesondere habe er in X in einem Quarantänehotel am Flughafen übernachtet. Er sei HNO-Arzt und könne die Risiken einer Ansteckung gut einschätzen. Eine individuelle Risikoanalyse habe die Antragsgegnerin nicht durchgeführt. Die weltweiten Zahlen ließen eine aus dem europäischen Ausland einreisende Person nicht pauschal als ansteckungsverdächtig erscheinen. Das Risiko einer Ansteckung bei Pendlern, denen eine Einreise ohne Quarantäne gestattet sei, sei deutlich höher. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht habe die Quarantäne-Verordnung dieses Bundeslands als rechtswidrig angesehen. Seine wirtschaftlichen Nachteile, die durch die Quarantäne entstünden, seien substantiell.
Der Antragsteller beantragt sachdienlich,
vorläufig festzustellen, dass er nicht zur Einhaltung einer vierzehntägigen häuslichen Quarantäne nach § 1 Abs. 1 Satz 1 CoronaVO EQ verpflichtet ist;
hilfsweise, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihm vorläufig eine Befreiung von der häuslichen Quarantänepflicht zu erteilen.
Die Antragsgegnerin führt aus: Der Antrag sei unzulässig, weil sich der Antragsteller in der Sache gegen die sich unmittelbar aus der CoronaVO EQ ergebende Absonderungspflicht richte. Hiergegen sei allein im Wege eines Normenkontrollverfahrens Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg statthaft. Sie habe die Quarantäne auch nicht angeordnet, sondern mit Schreiben vom 08.05.2020 gegenüber dem Antragsteller lediglich auf die Bestimmungen der CoronaVO EQ hingewiesen. Sachdienlich müsse das Begehren als Antrag auf Befreiung von der Quarantänepflicht verstanden wären. Dieser Antrag sei aber unbegründet. Ein Anordnungsanspruch liege nicht vor. Es könne im Eilverfahren nicht beurteilt werden, ob aus dem Ausland einreisende Personen unter den in § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG aufgeführten Personenkreis fielen; im Falle einer solchen Ungewissheit bleibe die Verordnung jedoch anwendbar. Der Antragsteller habe auch einen Anspruch auf Befreiung von der Quarantänepflicht nicht glaubhaft gemacht. Es könne bei ihm nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Infektion mit dem Coronavirus ausgeschlossen werden. Er habe nicht dargetan, dass er sich in Portugal abgesondert hätte, darüber hinaus habe er auch noch zwei Flüge zur Heimreise angetreten. Soweit er über die Einschränkung seiner Freiheit hinaus wirtschaftliche Nachteile behaupte, habe er dies nicht weiter dargelegt.
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