Mit seinem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgt der Antragsteller das Ziel, den Vollzug der „Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung“ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 1. Mai 2020 einstweilen auszusetzen, soweit der Antragsteller durch § 2 Satz 1 Nr. 2, § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4, § 8 Satz 1 und § 9 Nr. 5 Buchst. b), Nr. 6 Buchst. c) und Nr. 9 3. BayIfSMV verpflichtet wird, eine Mund-Nasen-Bedeckung (im Folgenden: MNB) zu tragen.
Hierzu führte das Gericht u.a. aus:
Auch wenn die Anordnung zum Tragen einer MNB in Gottesdiensten und Zusammenkünften anderer Religionsgemeinschaften, in den Geschäften des Einzelhandels und im öffentlichen Personennahverkehr formell wirksam (1) und von der Ermächtigungsgrundlage der § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gedeckt sein dürfte (2), begegnet das Fehlen einer normierten Befreiungsmöglichkeit von dieser Verpflichtung rechtlichen Bedenken im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG). Ob eine verfassungskonforme Auslegung der angegriffenen Normen diese Bedenken zu beseitigen vermag, muss der Klärung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben (3).
(1) Der Senat geht davon aus, dass die angegriffenen Bestimmungen der Verordnung formell wirksam, insbesondere ordnungsgemäß bekanntgemacht worden sind. Auch wenn die Verordnung im Hinblick auf die in § 9 3. BayIfSMV normierten Ordnungswidrigkeiten als bewehrte Verordnung anzusehen ist, dürfte nach der zum 1. Mai 2020 erfolgten Aufhebung der bisherigen Veröffentlichungspflicht im Gesetz- und Verordnungsblatt nach Art. 51 Abs. 2 LStVG a.F. durch § 2 Nr. 2 Buchst. a) des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Land- und Amtsarztgesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 27. April 2020 (GVBl. 2020 S. 236, vgl. auch LT-Drs 18/7347) die hier erfolgte Bekanntmachung durch Veröffentlichung im Bayerischen Ministerialblatt sowie den Hinweis auf die Fundstelle im Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl. 2020 S. 255) auf der Grundlage von Nr. 2 Satz 3 VeröffBek ausreichend sein.
(2) Im Hinblick auf die gesetzliche Grundlage der angegriffenen Bestimmungen hat sich der Senat bereits in mehreren Eilentscheidungen (BayVGH, 30.03.2020 - Az: 20 NE 20.632; 09.04.2020 - Az: 20 NE 20.663; 20 NE 20.688;
20 NE 20.704; 28.04.2020 - Az:
20 NE 20.849) mit der Außervollzugsetzung von Teilregelungen der 1. und 2. BayIfSMV auseinandergesetzt. Dabei ist der Senat im Rahmen der Eilverfahren davon ausgegangen, dass die Bestimmungen in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG grundsätzlich eine ausreichende Rechtsgrundlage finden dürften (vgl. zum Begriff der Schutzmaßnahme auch BayVGH, 30.03.2020 - Az:
20 CS 20.611).
Nach den in den genannten Entscheidungen dargestellten Maßstäben ist auch die vom Antragsteller angegriffene Verpflichtung zum Tragen einer MNB voraussichtlich von der Ermächtigungsgrundlage in § 28 Abs. 1 IfSG gedeckt. Nach § 28 Abs. 1 IfSG trifft die Behörde bei Vorliegen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, worunter die Anordnung zum Tragen von Schutzmasken grundsätzlich fallen dürfte.
Qualitätsanforderungen an die Schutzfunktion stellen die hier angegriffenen Normen der 3. BayIfSMV nicht auf, sodass grundsätzlich jegliche Bedeckung den Anforderungen der Verordnung gerecht wird. Der Senat geht davon aus, dass nur Schutzmasken mit der Kategorie FFP2 und FFP3 für den Träger selbst das Infektionsrisiko vermindern. Für medizinische Mund-Nasen-Bedeckungen und FFP1-Masken ist nachgewiesen, dass sie als Spuck- und damit Fremdschutz wirksam sind und für den Träger das Risiko von Schmierinfektionen durch den Schutz der Berührung von Mund und Nase verringern können. Insoweit sieht der Senat grundsätzlich keinen Anlass, an der Wirksamkeit einer Verpflichtung zum Tragen einer MNB in Bezug auf die Verringerung des Infektionsrisikos zu zweifeln.
Die Eignung sog. „Community-Masken“ als Mittel zur Verringerung der Infektionszahlen ist zwar bisher nicht wissenschaftlich nachgewiesen (vgl. auch NdsOVG, 05.05.2020 - Az:
13 MN 119/20). Gleichwohl dürfte auch die Anordnung zum Tragen von MNB ohne Qualitätsnachweis noch vom Wortlaut des § 28 Abs. 1 IfSG gedeckt sein, weil nach derzeitiger Erkenntnislage zumindest viel dafür spricht, dass auch die Community-Masken bei sachgemäßer Anwendung und ergänzender Beachtung der allgemein geltenden Abstands- und Hygieneregeln einen gewissen Fremdschutz gewährleisten und das Infektionsrisiko insoweit verringern können, als der Tröpfchenauswurf in die Umgebungsluft durch eine stoffliche Barriere vor Mund und Nase reduziert wird (vgl. auch NdsOVG, 05.05.2020 - Az:
13 MN 119/20). Dieser Auffassung hat sich auch das nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 IfSG besonders zur Beurteilung der epidemiologischen Lage berufene RKI angeschlossen. Die Schutzfunktion der Community-Masken sei jedenfalls plausibel und ihre Verwendung als Baustein neben anderen Maßnahmen zur Reduktion der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus geeignet.
Nach dem aktuellen Situationsbericht des RKI vom 6. Mai 2020 handelt es sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an.
Die Reproduktionszahl liegt bundesweit bei 0,65. Die Gefährdung für die Bevölkerung in Deutschland wird derzeit, bei einer Rückläufigkeit der Anzahl der neu übermittelten Fälle, insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch.
In einer solchen Situation obliegt es dem Verordnungsgeber im Rahmen des § 28 Abs. 1 IfSG, der die Behörden zu einem infektionsschutzrechtlichen Tätigwerden verpflichtet und ihnen dabei ein weites Handlungsermessen einräumt, alle Maßnahmen zu ergreifen, solange und soweit diese die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der angestrebte Erfolg zumindest teilweise eintritt. So liegt es hier. Das Tragen einer MNB erscheint in der derzeitigen Situation als grundsätzlich geeignet, die Infektionszahlen zu reduzieren. Diese Eignung ergibt sich auch vor dem Hintergrund der Rückkehr zu einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben, indem das allgemeine Gebot zum Tragen einer MNB, zusätzlich zur Beachtung der allgemeinen Hygieneregeln und Abstandsgebote, ermöglichen kann, andere Beschränkungen und Verbote zu lockern bzw. aufzuheben.
Damit bestehen jedenfalls bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine durchgreifenden Zweifel, dass es sich bei der Anordnung zum Tragen einer (auch Community)-MNB im Rahmen von Gottesdiensten und religiösen Zusammenkünften, in den Ladengeschäften des Einzelhandels sowie in den Verkehrsmitteln des öffentlichen Personennahverkehrs und den dazugehörenden Einrichtungen um eine grundsätzlich geeignete Schutzmaßnahme i.S.d. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG handelt.
(3) Ungeachtet dessen sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache insgesamt als offen anzusehen. Da weder § 2 Satz 1 Nr. 2 noch § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 noch § 8 Satz 1 3. BayIfSMV eine Befreiungsmöglichkeit von der Verpflichtung zum Tragen einer MNB vorsehen, obwohl aber Fälle denkbar sind, in denen Personen das Tragen einer Gesichtsmaske unmöglich oder unzumutbar sein könnte, erscheint insbesondere angesichts der Bußgeldbewehrung in § 9 Nr. 5 Buchst. b), Nr. 6 Buchst. c) und Nr. 9 3. BayIfSMV fraglich, ob die Regelungen in jedem Einzelfall noch angemessen sind.. Die (mutmaßliche) Vollzugspraxis des Antragsgegner, der ausweislich seiner Veröffentlichungen in verschiedenen sozialen Medien in medizinisch begründeten Fällen von einer Verpflichtung (und Ahndung eines Verstoßes) abzusehen scheint dürfte nicht geeignet sein, dieses normative Defizit auszugleichen. Darauf hat der Antragsgegner mittlerweile reagiert und in § 1 Abs. 2 der am 11. Mai 2020 in Kraft tretenden Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 5. Mai 2020 (2126-1-8-G, BayMBl. 2020 Nr. 240) einen ausdrücklichen Befreiungstatbestand vorgesehen, ohne dass dies allerdings Auswirkungen auf die hier angegriffenen Bestimmungen hätte.
bb) Die wegen der danach offenen Erfolgsaussichten gebotene Folgenabwägung führt aber dazu, dass die vom Antragsteller geltend gemachten Gründe für die einstweilige Außervollzugsetzung die für den weiteren Vollzug der Verordnung sprechenden Gründe nicht überwiegen. Durch den Vollzug der angegriffenen Verordnung kommt es zwar zu Eingriffen in die Freiheitsgrundrechte aller Menschen, die sich im Geltungsbereich der Verordnung aufhalten. Aufgrund der Umstände, dass die Pflicht zum Tragen einer MNB aber überwiegend auf verhältnismäßig kurzfristige Situationen beschränkt ist und der Antragsgegner - wie oben dargestellt - derzeit offenbar selbst davon ausgeht, dass die Normadressaten in Härtefällen von der Tragepflicht befreit sind, wäre das Gewicht eines rechtswidrigen Eingriffs weniger hoch einzuschätzen als die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der Normen. Würde der Vollzug der angegriffenen Bestimmungen ausgesetzt, wäre mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit (deutlich) vermehrten Infektionsfällen zu rechnen, die nach dem aktuellen Situationsbericht des nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 IfSG hierzu berufenen Robert-Koch-Instituts vom 6. Mai 2020) zwingend so weit wie möglich zu verhindern sind, um das Infektionsgeschehen zu kontrollieren, die weitere Ausbreitung des Virus zu verzögern und damit Zeit für die Durchführung und Entwicklung von Schutzmaßnahmen und Behandlungsmöglichkeiten zu gewinnen. Dies gilt umso mehr, als der Pflicht zum Tragen einer MNB insbesondere im Hinblick auf die gleichzeitige Lockerung der bisher strengen Handlungsbeschränkungen und -verbote eine wesentliche Bedeutung im Maßnahmenkonzept des Antragsgegners zur Bekämpfung der Infektion zuzukommen scheint.
Bei einer Abwägung zeitlich befristeter (vom Verordnungsgeber fortlaufend auf ihre Verhältnismäßigkeit zu evaluierender, vgl. BVerfG, 10.04.2020 - Az: 1 BvQ 31/20) und nur auf wenige und kurzzeitige Situationen des Alltags beschränkter Eingriffe in das Grundrecht der Normadressaten auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) mit dem Grundrecht behandlungsbedürftiger, teilweise lebensbedrohlich erkrankender Personen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG setzt sich der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit durch (so im Ergebnis auch BVerfG, 29.04.2020 - Az: 1 BvQ 47/20; 10.04.2020 - Az: 1 BvQ 28/20; 09.04.2020 - Az: 1 BvQ 29/20; 07.04.2020 - Az: 1 BvR 755/20; BayVerfGH, 26.03.2020 - Az: 6-VII-20).