Eine Tätigkeit als "Au-Pair" in einer Gastfamilie in Deutschland kann eine
Arbeitnehmertätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU darstellen.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist der insoweit maßgebliche Arbeitnehmerbegriff i.S. des Art. 45 AEUV (Arbeitnehmerfreizügigkeit) ein autonomer Begriff des Unionsrechts, der nicht eng ausgelegt werden darf (vgl. EuGH, 21.02.2014 - Az: C-46/12). Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Die beschränkte Höhe dieser Vergütung oder der Umstand, dass sie nur eine geringe Anzahl von Wochenstunden Arbeit leistet, schließen es nicht aus, dass eine Person als Arbeitnehmer i.S. des Art. 45 AEUV anerkannt wird. Allerdings ist für die Qualifizierung als Arbeitnehmer erforderlich, dass eine Person eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, die keinen so geringen Umfang hat, dass sie sich als vollständig untergeordnet und unwesentlich darstellt. Die Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft erfordert eine Gesamtbeurteilung aller Umstände des Einzelfalles.
Diese Maßgaben konkretisierend muss die Vergütung in einem Arbeitsverhältnis nicht unterhaltssichernd sein (EuGH, 03.06.1986 - Az: C-139/85; EuGH, 04.02.2010 - Az: C-14/09), sie darf aber nicht nur symbolischen Charakter haben. Bereits die Gewährung von Kost und Logis kann ausreichen, wenn dieses im Verhältnis zu Art und Umfang der Tätigkeit nicht völlig unangemessen ist (EuGH, 05.10.1988 - Az: C-196/87; EuGH, 24.01.2008 - Az: C-294/06; LSG Niedersachsen-Bremen, 11.11.2014 - Az: L 8 SO 306/14 B ER). Ab einer Arbeitsstundenzahl von zehn Wochenstunden ist in aller Regel von einem
Arbeitsverhältnis auszugehen (vgl. SG Aachen, 24.06.2016 - Az: S 14 AS 525/16 ER).
Im zu entscheidenden Fall wurden im Rahmen der Au-Pair-Beschäftigung neben mtl. 260 EUR auch Kost und Logis, mtl. 50,- EUR zur Teilnahme an einem Sprachkurs, Unfall- und Krankenversicherung iHv mtl. 60,- EUR, bezahlter Urlaub, eine Prepaid-Telefonkarte sowie die freie Benutzung eines Autos inkl. zweier Tankfüllungen pro Monat geleistet. Daher ist nach Überzeugung des Gerichts an einem Arbeitsverhältnis im unionsrechtlichen Sinne nicht zu zweifeln. Die „Vergütung“ erreichte leicht den Gegenwert von über 1.000,- EUR mtl. Hinzu kommt der bezahlte Urlaub. Im Gegenzug ist eine tägliche „Arbeitszeit“ von 4 - 5 Stunden an wohl sechs Wochentagen als nahezu Vollzeitbeschäftigung anzusehen.