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Besuch von Kitas und der Rahmen-Hygiene-Plan in Bayern

Corona-Virus | Lesezeit: ca. 32 Minuten

Die Antragstellerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Abänderung eines „Informationsschreibens“ des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales (im Folgenden: StMFAS), um zu erreichen, dass sie in ihrer Kindertagesbetreuungseinrichtung trotz des Vorliegens geringfügiger Erkältungssymptome betreut wird. Ferner möchte sie dadurch erreichen, dass die Einrichtung ärztliche Atteste anerkennt, die sie als gesund ausweisen.

Am 20.7.2020 suchte die Antragstellerin mit ihrem Vater die Kinder- und Jugendärzte Dr. med. A. und Dr. med. B. auf, da geringfügige Erkältungssymptome bei ihr vorlagen. Die Ärzte stellten der Antragstellerin eine Bescheinigung aus, wonach sie zur Zeit frei von sichtbaren, ansteckenden Krankheiten sei. Sie könne den Kindergarten, den Kinderhort, die Schule oder die Gemeinschaftseinrichtung besuchen. Ein Corona-Test sei nicht notwendig. Am Tag der Ausstellung der Bescheinigung besuchte die Antragstellerin die Kindertageseinrichtung (Kita) nicht mehr, da sie die Arztpraxis erst um 11:20 Uhr verlassen konnte und eine Abgabe der Kinder in der Einrichtung nur bis 8:30 Uhr möglich war.

Sowohl am 21.7.2020 als auch am 22.7.2020 mussten die Eltern der Antragstellerin diese in der Kita abholen, da sie dort wegen des Vorliegens von Erkältungsanzeichen nicht betreut wurde. Sie legte dem Gericht für beide Tage jeweils ein Bestätigungsschreiben der Kita vor, aus denen sich ergibt, dass sich die Kita bei der Ablehnung der Betreuung an einem Schreiben des StMFAS vom 1.7.2020 orientierte. Dieses Schreiben legte die Antragstellerin ebenfalls vor. Es ist überschrieben mit „Coronavirus - Informationen für Eltern“. Es lautet auszugsweise:

„Seit dem 1. Juli 2020 befinden sich die Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegestellen im eingeschränkten Regelbetrieb.
Dies bedeutet zum einen, dass alle Kinder ihre Kindertageseinrichtung wieder besuchen dürfen, sofern sie
- keine Symptome einer akuten, übertragbaren Krankheit haben,
- nicht in Kontakt zu einer mit dem Coronavirus infizierten Person stehen bzw. seit dem Kontakt mindestens 14 Tage vergangen sind und
- keiner sonstigen Quarantänemaßnahme unterliegen.“

Im Folgenden wird in dem Schreiben darauf hingewiesen, dass sich die Kita an ein Schutz- und Hygienekonzept halten müsse. Die Eltern werden eindringlich gebeten, sich auch selbst an das Schutz- und Hygienekonzept ihrer Kita bzw. Tagespflegestelle zu halten. Dies gelte besonders für das Bringen und Abholen des Kindes. Sodann wird in dem Schreiben fortgeführt:

„Ihr wichtigster Beitrag zur Unterstützung des eingeschränkten Regelbetriebs ist es, ihr Kind nicht zur Betreuung zu bringen, wenn es Symptome einer übertragbaren Krankheit zeigt. Das Kind darf die Einrichtung erst wieder besuchen, wenn es ganz gesund ist.
Dabei geht es nur um akute Krankheiten: Kinder mit chronischen Krankheiten, die nicht übertragbar sind und bei denen die Ursache der Krankheitssymptome geklärt ist (z.B. Heuschnupfen, Asthma, Bronchitis), dürfen die Einrichtung besuchen.
Kinder, die beispielsweise auch nur geringfügige Erkältungssymptome haben, dürfen ihre Kita nicht betreten. Dies sollte schon im Normalbetrieb ständige Praxis sein. In Zeiten einer Pandemie muss darauf aber besonders geachtet werden. Nur so kann das Risiko der Verbreitung des Coronavirus begrenzt werden… Die Einrichtungsleitungen bzw. Tagespflegepersonen sind daher berechtigt, diese Kinder von der Kindertagesbetreuung auszuschließen. Auch ein ärztliches Attest, das ein Kind als gesund ausweist, muss nicht akzeptiert werden, wenn das Kind noch Symptome hat und diese nicht in Verbindung mit einer chronischen Erkrankung stehen. Ein ärztliches Attest muss von der Leitung der Kita bzw. von der Tagespflegeperson nur dann akzeptiert werden, wenn es bescheinigt, dass die Symptome des Kindes von einer chronischen, nicht übertragbaren Krankheit herrühren.“

Am 30.7.2020 ließ die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO stellen.

Im Hinblick auf den Rückgang der Zahl der Neuinfektionen in Bayern sei die restriktive Handhabung des Besuchs von Kitas, wie im Schreiben des StMFAS beschrieben, nicht zulässig. Die Antragstellerin habe gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII einen Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Die Antragstellerin begehre daher den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, mit der der Antragsgegner verpflichtet werde, eine neue „Handlungsanweisung“ an die Kinderbetreuungseinrichtungen in Bayern zu geben, und zwar dergestalt, dass Kinder auch mit geringfügigen Erkältungssymptomen zu betreuen seien. Darüber hinaus müssten ärztliche Atteste, die Kinder als gesund ausweisen, akzeptiert werden. Dieser Anspruch könne in der Hauptsache mit der Verpflichtungsklage verfolgt werden. Bei der vom StMFAS verbreiteten „Handlungsanweisung: Information für die Eltern“ vom 1.7.2020 handele es sich letztendlich nämlich um eine Allgemeinverfügung die aufgrund des Anspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII (Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege) abgeändert werden müsse.

Im Rahmen der Prüfung des Anordnungsanspruchs sei zu berücksichtigen, dass die derzeitige Handhabung des Betreuungsanspruchs das Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV verletze. Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot würden den Gesetzgeber verpflichten, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen.

Ferner werde Art. 125 Abs. 1 BV verletzt. Danach seien Kinder das köstlichste Gut eines Volkes. Sie hätten Anspruch auf Entwicklung zu selbstbestimmungsfähigen und verantwortungsfähigen Persönlichkeiten. In der Lebensphase, in der sich die Klägerin derzeit befinde, sei es von elementarer Bedeutung, Kontakt zu anderen Kindern in ähnlichem Alter zu haben.

Schließlich liege eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Art. 101 i.V.m. Art. 100 BV vor. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in der Bayerischen Verfassung stehe dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes gleich, das in Art. 2 Abs. 1 GG geregelt sei. Durch den faktischen Ausschluss aus der Kita werde die Klägerin in diesem Recht verletzt.

Der Ausschluss der Klägerin von der Betreuung verstoße auch gegen das Übermaßverbot. Zwar werde ein legitimer Zweck verfolgt, nämlich der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit. Sämtliche derzeit getroffenen infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen würden damit begründet, dass die steigende Anzahl der täglichen Neuinfektionen verhindert werden solle. Diese seien jedoch nachweislich rückläufig bzw. in R. gebe es kaum mit dem SARS-CoV-2-Virus infizierte Personen. Die Anweisung des StMFAS sei somit nicht erforderlich, um das Ziel des Lebens- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Es gebe durchaus mildere Maßnahmen um dem Gesundheitsschutz Rechnung zu tragen. So sei es etwa möglich, ausschließlich in den sogenannten Hotspots Kinder bei geringen Erkältungsanzeichen nicht an der Betreuung teilhaben zu lassen. Dies sei zur Gewährung des erforderlichen Gesundheitsschutzes ausreichend. In diesem Zusammenhang sei auch zu bedenken, dass im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung auch der psychische Gesundheitsschutz der von den Maßnahmen Betroffenen eine Rolle spiele.

Es bestehe schließlich auch ein Anordnungsgrund, da der Antragstellerin ein Abwarten bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichts nicht zuzumuten sei. Beide Eltern seien berufstätig, sodass eine Betreuung durch die Eltern nicht sichergestellt werden könne, wenn die Kita ausfalle. Die Großeltern könnten die Betreuung aufgrund der großen örtlichen Distanz nicht übernehmen. Da die Antragstellerin erst 16 Monate alt sei, sei aber eine durchgehende Betreuung erforderlich.

Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig.

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